Ortenau-Reportage

Für eine reiche Ernte

Steve Przybilla
Lesezeit 6 Minuten
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18. September 2014

(Bild 1/2) Nach getaner Arbeit: Die Erntehelfer beim gemeinsamen Essen. ©Peter Heck

Wer wie Victor Danci in Ortenberg als Erntehelfer arbeitet, braucht Standvermögen. 60 Stunden pro Woche verrichten der Rumäne und seine Kollegen harte Handarbeit für 7,90 Euro bis 8,50 Euro die Stunde. Ausgegeben wird kaum etwas – das Geld ist für ein besseres Leben in der Heimat.

Als Victor Danci die Mikrowelle öffnet, liegen schon fünf Stunden Arbeit hinter ihm. Dampf steigt in sein sonnengebräuntes Gesicht, während er das Mittagessen in den Pausenraum trägt. Der 41-jährige Rumäne trägt eine Latzhose, die mal dunkelblau war, darunter lederne Arbeitsschuhe. Die Haare sind kurz, die Fingernägel gestutzt – praktisch für die Feldarbeit, die der Erntehelfer in Ortenberg verrichtet. Unten, im Verkaufsraum, liegen Äpfel mit Namen wie Retina, Gerlinde, Sunrise oder Rubinola. Oben, im Pausenraum, stehen Buletten mit Kartoffelbrei auf dem Speiseplan.

Wer sind sie, diese Menschen, die mit einer Reisetasche voller Hoffnung ihre Heimat verlassen? Ist es so wie im Münsteraner Tatort, wo sich Spargelstecher abends in Doppelstockbetten quetschen, zwischen denen Wäscheleinen gespannt sind? Oder sieht die Realität womöglich ganz anders aus? Leicht ist es jedenfalls nicht, einen Saisonarbeiter zu begleiten. Da wäre zum einen das Zögern der Arbeitgeber: Die meisten Landwirte, die wir für diese Reportage kontaktierten, antworteten erst gar nicht. Danach kommt die zweite Hürde: die Sprache.

»Nix Deutsch!« Das erste Klischee stimmt tatsächlich, denn nach einem freundlichen Hallo sagt Victor Danci sofort diesen Satz. Die anderen lachen. Viel geredet wird ansonsten nicht, nur das Klappern der Gabeln ist zu hören. Nächster Versuch: Spricht hier irgendjemand Deutsch? Zwei Männer am vorderen Tischende melden sich. Der eine öffnet gerade eine Fischdose, der andere mampft ein selbst gemachtes Butterbrot. Man hätte es wissen müssen: Die beiden sprechen nicht nur Deutsch, sie kommen auch aus Deutschland und gehören zum einheimischen Personal.

Danci bemüht sich. »Bisschen deutsch«, sagt er schließlich und spült sein Mittagessen mit einem Glas Apfelsaft hinunter. Für seine Geschichte hat er genau eine Stunde Zeit, so lange, wie die Mittagspause der Rumänen dauert. Danci setzt seine rote Schirmmütze auf. »Gute Arbeit«, ruft er und blickt sich zur Bestätigung um. Das 32 Hektar große Gelände, auf dem die Saisonkräfte arbeiten, versprüht Bauernhof-Charme: Marien-Statuen an jedem Feldweg, frisch gepflücktes Obst im Verkaufsraum. Auf der Toilette steht eine Schiefertafel mit dem Spruch: »Erst Sonne, dann Regen kann die Früchte bewegen.« Und natürlich Danci und seine Kollegen.

Was die Gastarbeiter tagsüber im Betrieb machen, ist schnell gesagt: alles. Sie ernten Äpfel, verladen Pflaumen, mähen Gras, transportieren Kisten – je nachdem, was gerade anfällt. Interessanter ist daher die Zeit nach der Arbeit, denn auch ein rumänischer Landarbeiter hat mal Feierabend. Victor Danci verbringt ihn in einem kleinen Haus, das ihm sein Arbeitgeber gegen eine Miete von 4,70 Euro am Tag stellt. Vor der Tür parkt ein Ford mit rumänischem Kennzeichen – manche sind selbst mit dem Auto hergefahren. Als Danci den Hausschlüssel umdreht, lächelt er. »Sohn da«, sagt er, und schon kommt ein 15-jähriger Teenager aus dem Wohnzimmer.

Sofort ist klar: In diesem Haus sieht es nicht aus wie im Tatort. Die Arbeiter haben eigene Schlafzimmer, Victor Danci teilt sich ein Doppelbett mit seiner Frau, die ebenfalls in dem Betrieb arbeitet. Der Raum ist klein, aber gemütlich, rustikaler Landhausstil mit Holzschrank, Gardine und Flachbildfernseher. In der Gemeinschaftsküche riecht es nach Fett, aber die Arbeitsfläche ist picobello. Frisch gespültes Geschirr trocknet auf der Ablage, wahrscheinlich das Werk von Dancis Sohn, der seine Sommerferien in Deutschland verbringt. Der Gastgeber bietet eine Tasse Kaffee an, die er auf dem Holztisch mit Plastikdecke abstellt. An der Wand hängt ein Kruzifix – und daneben ein Pin-up-Kalender.

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Nun erscheint auch der Arbeitgeber: Erich Kiefer, Inhaber der gleichnamigen Baumschule, will die Unterkunft seiner Angestellten präsentieren. »Etagenbetten gibt’s bei mir nicht«, betont der 52-Jährige, wenngleich er weiß, dass dies in der Branche durchaus noch üblich ist. »Da lassen sich viele nicht gerne in die Karten gucken.« Er hingegen glaube, dass eine gute Zusammenarbeit nur durch »Geben und Nehmen« funktioniere. »Manchmal«, sagt Kiefer, »lade ich meine Saisonarbeiter auch in den Europa-Park ein. So etwas gehört einfach dazu.« Und die Miete für die Unterkunft? »Muss sein«, beteuert Kiefer. »Und selbst damit bekomme ich die Kosten nicht gedeckt.«

Vier bis fünf Saisonarbeiter beschäftigt Kiefer während des gesamten Jahres. Zur Hochsaison, also im Sommer, sind es neun. Die Verständigung klappe gut. »Ein paar können immer deutsch, der Rest geht mit Händen und Füßen.« Kiefer zahlt den Saisonkräften nach eigenen Angaben zwischen 7,90 und 8,50 Euro pro Stunde – und reicht damit an den gesetzlich vereinbarten Mindestlohn heran. Dieser gilt nach Angaben der Gewerkschaft IG Bau allerdings in der Branche nicht, da ein separater Tarifvertrag existiert. Dieser sieht eine allmähliche Lohnsteigerung von 7,40 Euro (ab 2015) auf 9,10 Euro (ab 2017) vor.

Was Danci mit seinem Verdienst macht, ist schnell gesagt: »Rumänien«, ruft er und meint damit offenbar, dass der überwiegende Anteil gespart und nach Hause geschickt wird. Viel Zeit, es in Deutschland auszugeben, hätte er ohnehin nicht: Seine Kollegen und er arbeiten sechs Tage pro Woche von 7 bis 17 Uhr. »Manche wollen noch mehr schaffen«, sagt Arbeitgeber Kiefer. »Das kann ich einerseits verstehen, andererseits muss ich aber auch Grenzen ziehen. Die können sich ja nicht kaputtschuften.«

Mit den allermeisten seiner Arbeiter sei er hochzufrieden, erzählt Kiefer. »Einmal hatte einer ein Alkoholproblem. Den habe ich am nächsten Tag wieder nach Hause geschickt.« Den Großteil der Erntehelfer setze er aber jedes Jahr aufs Neue ein. »Das lohnt sich für alle, weil sie schon eine gewisse Erfahrung mitbringen.« Vermittelt werden die Arbeitskräfte vom Maschinenring Ortenau, ein Zusammenschluss von Landwirten, die sich gegenseitig mit Maschinen und Arbeitskräften aushelfen.

Konflikte zwischen unterschiedlichen Nationalitäten gebe es kaum, erzählt Kiefer. Die Fehden zwischen Polen und Rumänen, wie sie der Tatort porträtiert? »Hat’s hier noch nicht gegeben«, betont der Landwirt. Hinter vorgehaltener Hand erzählen Mitarbeiter jedoch eine etwas andere Version. So hätten früher durchaus auch Polen in Ortenberg gearbeitet. Diese seien aber »gierig geworden«, wohingegen sich die Rumänen mit weniger Geld zufriedengäben. Auch Afrikaner seien schon unter den Saisonkräften gewesen. Angeblich hatten einige allerdings ein Problem, mit weiblichen Kollegen zusammenzuarbeiten – und wollten sich von ihnen etwa nichts sagen lassen.

Es ist 12.50 Uhr, die Mittagspause neigt sich dem Ende zu. Auf dem Rückweg zum Hof tippt Victor Danci eine SMS in sein Handy. »Gute Arbeit hier«, sagt er noch einmal, bevor seine Gedanken wieder zu den Verwandten in Rumänien abschweifen. Ist das Leben der meisten Saisonarbeiter also wirklich so, wie es der 41-jährige Familienvater in Ortenberg erlebt? Schwer zu sagen. In jedem Fall gibt es große Unterschiede in den Lebensbedingungen der Erntehelfer, je nachdem, wie viel Wert ihr jeweiliger Arbeitgeber darauf legt. Die Truppe in Ortenberg hat es zumindest gut getroffen.

Wie zur Bestätigung drückt Danci den Senden-Knopf auf dem Handy. Dann setzt er die rote Schirmmütze wieder auf. 13 Uhr, die Arbeit auf dem Feld kann weitergehen.

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