Offenburg - Elgersweier
Dossier: 

Handarbeit für Füße

Bettina Kühne
Lesezeit 6 Minuten
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04. Februar 2016

©Ulrich Marx

Strohschuhe sind beim »närrischen Fußvolk« beliebt, eignen sich aber auch für den Hausgebrauch. Die Strohschuhgruppe Elgersweier fertigt sie aus den Blättern von Maiskolben – in 15 Stunden langer Handarbeit.

Die Nachmittagsrunde der Strohschuhgruppe Elgersweier hat vorgearbeitet. Die Blätter der Maiskolben wurden in schmale Streifen gezupft, nun türmt sich das Material auf dem Küchentisch von Elke Ruf. Damit sie und Marion Spinner es verarbeiten können, wird es feucht gemacht. Sobald es wieder schön geschmeidig ist, werden Zöpfe daraus geflochten. Die sind meterlang. Elke Ruf spannt den Anfang in eine spezielle Schraubzwinge. »Die hat mein Mann entwickelt«, lacht sie. Der wollte vermeiden, dass sie sich schlecht hält, wenn sie stundenlang an ihrem Hobby sitzt – dem Strohschuhmachen.

Inzwischen haben sich die Schraubzwingen in der Gruppe durchgesetzt, weil sie die Arbeit erleichtern. Denn beim Flechten genügt es nicht, die drei Stränge ineinander zu schlingen. »Der neue Streifen kommt immer auf die gleiche Seite«, erklärt Elke Ruf und schlägt die Stränge zweimal übereinander, bevor sie nach dem nächsten Streifen greift. So geht das weiter und weiter – rechts, links, rechts, links, neues Blattstück von rechts. 

Jeder Handgriff sitzt. Nach vielen Jahren muss Ruf so wenig nachdenken wie Marion Spinner. Ihren Dialekt von der Lüneburger Heide kann diese nach all den Jahren noch immer nicht verbergen – aber Strohschuhe fertigt sie, als hätte das in ihrer Familie eine lange Tradition. Dabei wollte sie nur etwas gegen ihre kalten Füße tun, damals, als sie neu in der Region war und sich beim entsprechenden VHS-Kurs anmeldete. 

»Der kam aber nicht zustande«, erinnert sie sich. Stattdessen bot die damalige Leiterin der Strohschuhgruppe, Gertrud Kempf, ihr an, doch einfach zur Strohschuhgruppe dazuzustoßen. Es hat gedauert, bis der Abend kam, an dem sie bereit war, die Türklinke zum Zimmer tatsächlich herunterzudrücken – obwohl ihr Mann, ein Hiesiger, sie immer wieder ermutigt hatte. Es bereitete ihr Spaß, und außer sich selbst versorgte sie auch ihre Familie mit den bequemen Hausschuhen. Nachdem ihr Nachwuchs aus der dritten Größe herausgewachsen war, entschied sie: »Erst wieder, wenn die Füße ausgewachsen sind.«

Inzwischen leitet Marion Spinner die Gruppe mit Elke Ruf zusammen. Die größte Herausforderung für die Strohschuhflechterinnen ist es inzwischen, den Rohstoff zu bekommen. »Eigentlich ist es ein Abfallprodukt«, sagen die beiden Frauen. Genau deshalb werden Stängel und Blätter der Maiskolben zunehmend sofort auf dem Acker geschreddert und untergepflügt. Nur durch gute Kontakte gelingt es, sich Hüllblätter zu sichern. Manchmal lassen die Landwirte den Stängel stehen, andere lassen die Blätter zu Boden fallen. Wie auch immer: »Wir müssen sie sofort sammeln, sonst beginnen sie zu sporen.« Denn so robust und reißfest sie auch sind – andauernde Feuchtigkeit verzeihen sie nicht.

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Elke Ruf nimmt nur die schönsten, fast weißen Blattstreifen. Nach einiger Zeit misst sie: Viermal von der Hand zur Elle soll der besonders schöne Zopf reichen. Er ist später für die Zunge des Schuhs gedacht, die Stelle auf dem Fußrücken, die zu sehen ist. Was danach kommt, darf auch eine Nuance dunkler oder gelber sein, denn das verschwindet dann unten an der Sohle. Ist der Zopf lang genug für Schuhe in Größe 39, holt Elke Ruf einen alten Schuhmacher-Leisten. »Mittlerweile konnten wir auch welche günstig übers Internet bestellen«, verrät sie. Dieser Holzkern ist ein Muss, ohne ihn kann man keinen Schuh fertigen – noch nicht einmal die winzigen, anderthalb Zentimeter langen Mini-Schühchen für die Ohrringe oder die zwei Zentimeter langen für die Ringe.

Doch bevor die langen Flechtschnüre zum Schuh werden, braucht es ein wärmendes Futter. »Die Leute wissen schon, dass wir abgetragene Pullover sammeln«, sagt Elke Ruf. In den weichen Strickstoff nähen die Strohschuhflechterinnen die Schusterleisten ein – aber nicht aufs Geratewohl: Die Streifen und die Richtung des Strickstoffs sollen bei beiden Schuhen eines Paares gleich sein. Ist das gemacht, wird die rund gebogene Sattlernadel gefädelt. »Ich habe mich schon mehr als einmal gestochen«, sagt Elke Ruf, und Marion Spinner nickt. Das bleibt nicht aus. Denn auch wenn die Flechtschnüre nur in feuchtem Zustand verarbeitet werden können, sind sie doch kompakt. 

In der Mitte auf der Zunge geht es los, Elke Ruf windet den Zopf zu einer Schnecke, die sie fast unsichtbar auf dem Stoff befestigt. Und dann kommt der Moment, in dem auch Außenstehende erkennen können, dass ein Schuh entsteht. »Wir führen den Zopf zweimal hinter dem Fersen vorbei«, erklärt Marion Spinner. Und dann muss nur noch der Rest ausgefüllt werden – beim Schuh in Babygröße 17 geht das natürlich schneller als bei einem 46er. Damit die Leute wissen, was auf sie zukommt, hat die Strohschuhgruppe einen einfachen Staffelpreis festgelegt. »Pro Schuhgröße einen Euro« kosten die Schuhe, die man anfangs oftmals noch mit dem Schuhlöffel anziehen muss.

Die Kunden können wählen: Sowohl Sohlen aus Leder als auch aus Gummi nähen die Frauen zu guter Letzt unten an. Es ist der letzte Akt bei einer Arbeit, die insgesamt gut 15 Stunden dauert. Mal doppelt, mal einfach, je nachdem, in welcher Stärke sie den gewachsten Faden ergattern konnten, verbinden sie im Kreuzstich dann Strohschuh und Sohle. Das gibt Halt. Solche Fäden werden normalerweise beim Kürschner oder Sattler verwendet. Das Wachs bietet Spielraum und schützt den Faden vor dem Aufscheuern. Wobei: Als echtes Naturprodukt kann man den Strohschuh im Fall der Fälle auch wieder reparieren.

Und dann kommt der spannende Moment: Das Futter wird aufgeschnitten, der Leisten herausgeholt. Jetzt kann man nach den Bündchen greifen, die die Frauen der Nachmittagsgruppe gestrickt haben. Schwarze und rote sind klassisch, insbesondere bei den Narren stehen die roten hoch im Kurs. Bei den Hausschuhen darf es auch das Futter sein, das am Rand einen farblichen Akzent setzt. Apropos bunt: »Wenn wir im Kinderferienprogramm Strohschuhe machen, färben wir sie mit Lebensmittelfarbe ein.« Denn schließlich soll auch der Nachwuchs Spaß bekommen an dieser traditionellen Handarbeit für die Füße. 

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