»Ich bin in Gummistiefeln unterwegs«
Gesprächsstoff gab es beim Zustellerfest reichlich: Anekdoten wurden ausgetauscht – oder gute Tipps, wie man sich die Arbeit ein bisschen leichter machen kann, oder worauf es zu achten gilt.
Friesenheim. Anni Erdrich aus Haslach lächelt: »Wir haben heute unseren 55. Hochzeitstag.« Erst hatte sich die 74-Jährige überlegt, ob sie überhaupt zum Zustellerfest geht, aber schnell war klar: »Das gehört zu uns und unserem Leben.« Schließlich unterstützt ihr Mann sie bei den nächtlichen Runden, seit er vor 17 Jahren in Ruhestand ging. Sie selbst hat ihre Tätigkeit bereits seit 1981 angemeldet. Dass die dynamische Dame mit dem kessen Pferdeschwanz bereits Urgroßmutter ist, sieht man ihr nicht an, aber die eigenen Kinder waren damals der Grund, weshalb sie Zustellerin wurde: »Da konnte ich morgens für die Kinder da sein. Raus geht es nachts um 3 Uhr, aber das war ich ohnehin gewohnt – wegen der Hunde.« Dass sie richtig abgehärtet ist und nie krank war, verdankt sie ihrem Job, sagt Anni Erdrich. Kein Wunder, dass sie weitermachen möchte, »solange mich die Füße tragen«.
Der Kunde ist König
Sonderwünsche beim Zustellen erfüllt Anita Hätti aus Appenweier-Urloffen: »Ein Senior hat mir immer den Kescher herausgereicht, damit ich die Zeitung hineinlege«, erzählt die 54-Jährige. Seit 28 Jahren ist sie auf Tour, zunächst weil die Kinder klein waren und sie trotzdem den Tag für sie frei hatte; inzwischen aber »ist es wie eine Sucht«.
Doch momentan macht ihr eine Großbaustelle das Leben schwer. »Inzwischen bin ich in Gummistiefeln unterwegs«, sagt Hätti. Sie muss über Zäune klettern, sich an Absperrungen vorbeidrücken und in neu geschaffenen Sackgassen wieder umkehren. »Als ich gelesen habe, dass die Arbeiten bis Ende 2015 dauern, wollte ich das nicht glauben«, sagt sie.
Auch ihre Kollegin Monika Schmidt ist betroffen: »Der Sandboden ist so weich, dass man nicht einmal das Fahrrad darauf abstellen kann.« Trotzdem genießt sie es, nachts draußen zu sein. Der Sternehimmel, der Monduntergang, der Sonnenaufgang – sie liebt dieses Spektakel, das sie auf ihrer fast dreistündigen Tour Morgen für Morgen miterlebt. Manchmal nehmen die Ereignisse aber mehr Fahrt auf als ihr lieb ist. Einmal, als WM war, lag ein Mann auf der Straße. Immerhin lebte er, aber er ließ sich nicht bewegen: »Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Polizei zu rufen.« Auch die Bushaltestelle, an der sie vorbei muss, ist oft Nachtlager für müde Nachtschwärmer. »Ich hoffe dann immer, dass sie durchschlafen, bis ich wieder weg bin.«