In Gengenbach entstehen ganze Fabriken am Computer
Vor 30 oder 40 Jahren wäre das in einem Science-Fiction-Film noch als Spezialeffekt durchgegangen. Professor Jürgen Köbler steht in einem Raum des Bildungscampus Gengenbach. Er und sein Besucher tragen eine Brille auf der Nase, die das räumliche Sehen ermöglichen soll.
Er nimmt seinen Gast mit auf einen Gang durch eine Fabrik, die einer seiner Stundenten geplant hat. Mit einem Gerät, das ausschaut wie die Phaser-Kanonen aus alten Star Trek Filmen, kann er Maschinen oder Menschen hin und her bewegen.
Keine Spielerei
Was Köbler vorführt, ist weit mehr als eine nett anzuschauende Spielerei. Tatsächlich werden Fabriken, ehe sie gebaut und die Maschinen aufgestellt werden, heute komplett am Computer geplant und die Produktion simuliert. Das Programm, das der Professor vorführt, ist dafür ein wichtiges Hilfsmittel.
Köbler hat sich fast sein ganzes Berufsleben damit auseinandergesetzt, wie eine Fabrik aussehen muss, mit der eine Firma möglichst viel Geld verdient und in der sich Mitarbeiter möglichst wohlfühlen und vor allem gesund und damit auch leistungsfähig bleiben.
Er genießt die Freiheit
Lange hat der promovierte Maschinenbauingenieur bei einem großen Unternehmen gearbeitet, es dort bis zum stellvertretenden Werksleiter und Leiter des Industrial Engineering gebracht. Vor acht Jahren ist er dann an die Hochschule gewechselt. »In einer Firma sind sie immer strategiegebunden«, erinnert er sich. Jetzt genieße er die Freiheit in Wissenschaft und Lehre.
Software zu teuer
Die Dienstleistungen, die die Hochschule anbieten kann und für die sie von den Firmen Drittmittel erhält, ist vor allem bei den Mittelständlern in der Region gefragt. Die könnten sich schlicht die Software nicht leisten, für die es außerdem viel Expertise brauche. Köbler hat aber auch die Erfahrung gemacht, dass das Thema in den Firmen generell stiefmütterlich behandelt wird.
Praxisnahe Ausbildung
»Die Studenten sollen praxisnah ausgebildet werden, das kommt bei den Firmen gut an«, erklärt der Professor. Das scheint keine Platitüde zu sein, wie sie Hochschulen gerne gebrauchen. Tatsächlich gibt es in der Region aber auch im Ausland, einige Fabriken, die auf den Plänen der Gengenbacher Wirtschaftsingenieure, für die Köbler zuständig ist, basieren. Der Lohn für die gute Arbeit der Studenten: Sie sind begehrte Arbeitskräfte. Immer wieder habe er seine früheren Studenten an Firmen vermitteln können, berichtet der Hochschullehrer.
»Am Anfang steht eine Ist-Analyse«, erklärt der Wissenschaftler seinen Arbeitsablauf. »Wir laufen durch die Firma und machen eine Besichtigung« »Da sehe ich dann schon, was nicht gut läuft.« Manch ein Geschäftsführer habe seine Fabrik danach mit ganz anderen Augen gesehen.
Digitaler Zwilling
Was auf den Besuch in der Firma folgt, ist eine ausführliche Analyse und ganz viel Arbeit am Computer. Dort entsteht ein »digitaler Zwilling« der künftigen Fabrik. Wenn die Wirtschaftsingenieure in der virtuellen Fabrik das Lager verlegen oder eine Maschine an eine andere Stelle verschieben, spuckt das Programm sofort aus, welche Auswirkungen das hat. Dann ändern sich zum Beispiel die Durchlaufzeiten für ein Produkt, also die Zeit, die für die Produktion benötigt wird. »Wir sehen sofort, ob wir auf dem richtigen Weg sind«, sagt Köbler.
Sehr flexibel
Die Anforderungen an eine Fabrik haben sich in den vergangenen Jahren drastisch geändert. »Die Produktionsstätten haben sich total verändert«, so der Professor. »Die Firmen wollen ein individuelles Produkt mit kurzer Durchlaufzeit zu einem optimalen Preis.« Fabriken müssten deshalb heute sehr flexibel und sehr veränderungsfähig sein.
Diese Veränderungen sind dem geschuldet, was in den Medien gerne als Industrie 4.0 bezeichnet wird. Damit gemeint, erklärt der Professor, sei die horizontale und vertikale Vernetzung, also die Vernetzung der verschiedenen Maschinen untereinander, aber auch zwischen den Firmen und ihren Kunden. Auf die Mitarbeiter in den Firmen kommen dadurch erhebliche Veränderungen zu. Es komme jetzt darauf an, die Leute mitzunehmen. Denn: »Plötzlich muss der Fräser nicht nur Fräsen, sondern auch an einer Drehmaschine arbeiten.« Das sei der zunehmenden Flexibilisierung geschuldet.
Wenn Firmen Köbler und seine Studenten beauftragen, wollen sie möglichst effizient und kostengünstig produzieren. Die Erwartungen kann der Experte meist erfüllen. »Zwischen zehn und 20 Prozent Einsparungen bei den Produktionskosten sind möglich.«
Gesunde Mitarbeiter lohnen sich
Die ökonomische Seite ist nur ein Teil der Arbeit von Köbler und seinen Studenten. Die Hochschule verfüge auch über eine Software, mit der man Arbeitsplätze ergonomisch gestalten kann. Um vorzuführen, wie die funktioniert, setzt er einen digitalen Mitarbeiter an seinen Arbeitsplatz und lässt ihn nach einem Gerät greifen. Das Programm markiert dabei seine Schulter rot. »Das bedeutet, dass diese Position den Mitarbeiter anstrengen würde.« Dass die Unternehmen darauf achten, dass ihre Mitarbeiter ein angenehmes Arbeitsklima vorfinden, hat nicht nur mit Altruismus zu tun, wie Köbler deutlich macht: »Sonst werden die Leute früher müde, manchmal sogar krank und die Leistung fällt ab.«