Ortenau-Reportage

Irgendwo im Nirgendwo

Patrizia Paul
Lesezeit 7 Minuten
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26. März 2015
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Nur der orangefarbene Schriftzug »Au Bord du Rhin« hebt das Bauernhaus von den anderen fünf Gebäuden auf der Rheininsel ab. ©Michael Bode

Die Speisekarte ist seit 38 Jahren die gleiche, die Öffnungszeiten sind ungewöhnlich und von alleine findet man es kaum – trotzdem ist es immer ausgebucht: das Restaurant »Au Bord du Rhin«. Über den außergewöhnlichen Erfolg eines einfachen Lokals.

Der Weg ins »Niemandsland« führt, an Allmannsweier vorbei, an die französische Grenze. Eine Grenze, die kaum als solche wahrgenommen wird. Nur ein paar Schilder und ein kleiner Laden umrahmen die Straße. Über eine Brücke überquert man den Rhein. Es riecht nach Moos, leicht vermodert, die Luft ist salzig. Man hat das Gefühl, man fährt direkt über das Wasser, so hoch steht der Fluss. Minutenlang rollt man über den einsamen Weg, kein Auto und kein Fußgänger kommen einem entgegen. Mitten auf der Landstraße geht scharf rechts ein schmaler Weg ab, den man leicht verfehlen kann. Er führt bergab in ein kleines Waldstück und nach wenigen 100 Metern zu einer kleinen braunen Holzbrücke. Man weiß nicht recht, ob die marode wirkende Brücke ein Auto aushält, anders kommt man jedoch nicht ans Ziel. Sie ist die einzige Verbindung der kleinen Rheininsel bei Gerstheim zur Zivilisation. Nur eine Handvoll Häuser stehen dort.

Eines von ihnen ist das Restaurant »Au Bord du Rhin« – übersetzt »Zum Rheinufer«. Die Insel mit dem Lokal liegt so versteckt zwischen Frankreich und Deutschland, dass die Deutschen den Ort »Niemandsland« nennen. Auf der Landkarte hat er nicht einmal einen richtigen Namen. Trotzdem ist das Restaurant immer voll. Im Niemandsland ist eben alles etwas anders. »Wir haben seit 1976 die gleiche Speisekarte«, sagt Rémy Riss, Besitzer des »Au Bord du Rhin«. Es gibt elsässisch-französische Küche: Froschschenkel, Schnecken und Filetsteak mit Morcheln. »Um typisch deutsches Essen zu bekommen, müssen die Deutschen ja nicht extra zu uns fahren, da könnten sie ja drüben bleiben«, sagt Rémy Riss und lacht.

Was sich all die Jahre bewährt hat, will Familie Riss beibehalten. »Nur unser Sohn Stéphane überlegt sich ab und zu etwas Neues für die Tageskarte«, fügt seine Frau Jacqueline hinzu. Die Gäste stört das nicht, im Gegenteil. »Wir sind eigentlich immer gut besetzt, am besten man reserviert vorher«, sagt die 58-Jährige. Die Gäste sind eine bunte Mischung aus Franzosen und Deutschen. »Am Mittag haben wir mehr Franzosen, abends ist es durcheinander.« Hauptsächlich Stammgäste, die seit vielen Jahren schon im Restaurant essen. »Unser ältester Gast kommt seit 1976 und ist mittlerweile 88 Jahre alt«, sagt der 62-jährige Rémy Riss, »von manchen Gästen hat uns nur der Tod getrennt.«

Es ist bemerkenswert, dass trotz der Abgeschiedenheit so viele Gäste den Weg zum Restaurant finden. Es gibt weder eine Internet- oder Facebookseite, noch macht die Familie Werbung. »Bei uns geht alles über Mundpropaganda, das funktioniert gut« sagt Jacqueline Riss. Die kleine Rheininsel liegt abgeschirmt hinter einem kleinen Waldstück. Nur der orangefarbene Schriftzug »Au Bord du Rhin« auf dem hellgelben Putz hebt das Bauernhaus von den anderen fünf Gebäuden auf der Insel ab. Dunkelbraune Rollläden und spärlich bepflanzte Blumenkübel am Fenster wirken wenig einladend.  Auch der Innenraum sieht aus, als hätte sich seit dem Kauf des Hauses 1976 nichts mehr verändert. Dort stehen ein Dutzend lange Holztische, gedeckt mit rosafarbenen Tischdecken. Es gibt noch einen hinteren Raum, der Platz für weitere Gäste bietet.

Eine nostalgische, dunkelbraune Bar füllt die Hälfte des Speisesaals aus. Über ihr blicken drei ausgestopfte Fischköpfe mit offenen Mäulern in den Raum. Weiße Spitzenvorhänge, die jetzt wieder modern sind, hängen an den Fensterscheiben. An den Seiten sind gelbe Gardinen mit rot-grünem Rosenmotiv angebracht. Die Wand ist bis zur Hälfte mit dunklem Holz verkleidet. An den Wänden hängen ulkige Bilder mit Tiermotiven. So ungewöhnlich wie die Inneneinrichtung sind auch die Öffnungszeiten: Montagabend und Mittwoch ist geschlossen. Sogar Samstagmittag sperrt die Familie ihr Restaurant zu. Weit nach Hause haben sie es nicht, nur 21 Stufen trennen die beiden von ihrer Wohnung über dem Lokal.

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Familie Riss hat das Haus 1976 gekauft. Gebaut wurde es 1926, schon damals war es ein Restaurant. Wie das gesamte Elsass, wurde es von der schwierigen deutsch-französischen Geschichte geprägt. Erst gehörte es zu Frankreich, während der deutschen Besetzung zwischen 1940 und 1945 wurde es in »Zum Rheinufer« umbenannt. Im Januar 1945 zerstörte eine amerikanische Bombe einen großen Teil des Gebäudes. 1950 wurde es  wieder aufgebaut, die Kosten dafür musste die Bundesrepublik tragen. Ein Schwarzweißbild, vom Haus vor dem Umbau, hängt noch jetzt im Speisesaal als Erinnerung.

»Von einer deutsch-französischen Rivalität spüren wir hier nichts«, sagt Rémy Riss. Er und seine Frau beobachten seit fast 40 Jahren die Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen. Dabei ist ihnen einiges aufgefallen: Während die Deutschen meistens eine Vorspeise und ein Hauptgericht wählen, essen die Franzosen immer gerne und viel Dessert. Die Deutschen bestellen jeweils ein Getränk für sich und zahlen getrennt, die Franzosen bestellen für den ganzen Tisch und die Rechnung wird geteilt. Familie Riss lebt zwar mittendrin zwischen beiden Nationalitäten, sie bezeichnen sich selbst aber weder als deutsch noch als französisch. »Wir sind Elsässer«, betont Rémy Riss. Tochter Catherine ist Winzerin, sie baut seit Kurzem ihren eigenen Wein an, der natürlich im Restaurant getrunken werden kann. Sonst sind nur noch eine Spülhilfe und ein Kellner fest angestellt.

Besonders zimperlich darf man nicht sein, wenn man auf die Rheininsel kommt. Regelmäßig gibt es dort Überschwemmungen. »Alle sechs bis sieben Jahre gibt es eine große und jedes Jahr, wenn es schneit, eine kleinere«, erzählt der Gastronom. »Länger als zwei bis drei Tage waren wir aber noch nie eingesperrt«, fügt er gelassen hinzu. Die letzte Überschwemmung ist noch nicht lange her. Hausherr Riss kann das nicht mehr aus der Ruhe bringen: »Früher war es schlimmer, als der Rhein noch eine stärkere Strömung hatte.«

Die Tür geht auf, ein Pärchen kommt herein, mit ihnen ein großer  schwarzer Labrador. Sie setzen sich ans Ende des zweiten Tischs. Herzlich werden sie von Rémy und Jacqueline begrüßt. Hermann und Renate Dinger sind seit 15 Jahren Stammgäste. Einmal pro Woche kommen sie aus dem rund zehn Kilometer entfernten Schwanau ins Restaurant. »Erstmal einen Picon«, bestellt Hermann Dinger, der typische Aperitif aus Orangenlikör und Bier. Wie bei fast jedem Gast, weiß Jacqueline Riss, was die beiden bestellen: »Sie mögen gerne Froschschenkel und Fischsuppe, Renate isst oft ein Steak.« Renate Dinger sagt: »Wir kommen jedes Mal gerne her, es ist unser Lieblingsrestaurant. Bei Rémy und Jacqueline schmeckt es immer gleichbleibend gut.«

Es ist Nacht, der Mond steht hoch über dem Rhein. Etwas Nebel verbreitet sich zwischen den Häusern. Alles ist dunkel und still. Vielleicht ist es gerade der Ort, der das Restaurant so besonders macht. Ein solches Restaurant muss wahrscheinlich hier stehen, damit es vom Charme dieser abgelegenen Insel profitiert, die jeden Besuch zum Erlebnis macht. So lange Jacqueline und Rémy Riss noch fit sind, wollen sie das »Au Bord du Rhin« weiterführen. Ans Aufhören denken sie noch nicht. Sie werden weiter ihren routinierten Wochenablauf haben, ihre urige Einrichtung beibehalten und weiter das Essen servieren, das den Gästen seit 38 Jahren schmeckt.

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