Kies: Fluch und Segen zugleich
Wie viele Baggerseen verträgt eine Region? Diese Frage stellt sich im Zuge der Fortschreibung des Regionalplans derzeit in Rheinau besonders vehement. Naturschützer wehren sich gegen neue Abbaustätten, Befürworter verweisen indes auf die Bedeutung der Kiespacht für die Stadtkasse.
Das »Rheinauer Gold« glänzt zwar nicht, Geld verdienen lässt sich damit aber dennoch gut: Wie zahlreiche andere Kommunen an der Oberrheinschiene sitzt die 11 200-Einwohner-Stadt auf großen Kies- und Sandvorkommen – gefragte Rohstoffe in der Bauindustrie. Seit vielen Jahren werden sie in vier Stadtteilen abgebaut: in Freistett, Diersheim, Honau und Helmlingen. Weil sich die Förderung an den bestehenden Standorten aber in absehbarer Zeit dem Ende neigt, hofft die Rheinauer Stadtverwaltung, dass im Zuge der Fortschreibung des Regionalplans weitere Areale für den Abbau freigegeben werden.
Den Kies vergolden
»Kies und Wohlstand in unserer Stadt sind derzeit untrennbar miteinander verbunden«, so Bürgermeister Michael Welsche. Ihren Kiesschatz lasse sich die Stadt in der Tat vergolden. So sei die Rheinauer Kiespacht doppelt so hoch wie in der Umgebung, betonte der Rathauschef jüngst bei der Vorlage des Haushaltszwischenberichts im Gemeinderat. »Allein in den letzten drei Jahren konnten wir eine Erhöhung der Kiespacht um fast 50 Prozent durchsetzen.«
Im Gespräch für einen erweiterten Abbau sind vor allem zwei Standorte: zum einen eine zehn Hektar große Fläche an der L 87 in den Freistetter Maiwaldwiesen, mehrere Kilometer vom Rhein entfernt, zum anderen eine doppelt so große Fläche im Helmlinger Gewann Gayling, die über ein 800 Meter langes Förderband mit der bestehenden Aufbereitungsanlage verbunden werden könnte. Wie Dieter Karlin, Verbandsdirektor des Regionalverbands Südlicher Oberrhein in Freiburg im Juli auf Anfrage der Mittelbadischen Presse erklärte, wäre in beiden Fällen grundsätzlich »ein Abbau rechtlich zulässig«.
Entschiedener Widerstand kommt vom Landesnaturschutzverband (LNV). Schon jetzt glichen die Rheinauen von oben betrachtet einem Schweizer Käse, moniert Joachim Thomas, LNV-Sprecher für Kehl, Rheinau und Willstätt, der wie sein Mitstreiter Peter Huber (Achern) im Juli das »Positionspapier Maiwaldwiesen« herausgegeben hatte. Da-rin beklagen die Naturschützer den allgemeinen ungebremsten Flächenfraß – nicht nur in Rheinau. So stünden im Fortschreibungsentwurf des Regionalplans im Ortenaukreis 27 Neuaufschlüsse beziehungsweise Erweiterungen von Baggerseen mit einer Gesamtfläche von rund 550 Hektar, so ihre Recherchen. Man sei nicht grundsätzlich gegen den Kiesabbau, wohl aber gegen den Export aus der Region.
Mit Blick auf das Freistetter Vorhaben kritisieren sie eine »völlig irrsinnige Ökopunkte-Verrechnung«, nach der der künftige Betreiber für die irreversible Umwandlung von Ackerböden in eine Wasserfläche mit rund 800 000 Ökopunkten belohnt werde. »Wir werden das nicht verhindern können«, gibt sich Huber realistisch, »aber wir werden das nicht akzeptieren, weil die Gesamtplanung fehlt.«
In Helmlingen führt Uwe Wagner, eine Privatperson, den Bürgerprotest an: Er hatte bereits Ende 2013 Unterschriften gegen das dortige Vorhaben gesammelt und dem Regionalverband übergeben. Im Juni dieses Jahres organisierte er zudem eine Demonstration vor dem Rathaus mit 100 Teilnehmern, um dem darin tagenden Ortschaftsrat den vermeintlichen Mehrheitswillen im Dorf vor Augen zu führen.
»Das wäre das Aus«
Mit einer klaren Ansage meldet sich indes die Firma Edelsplitt- und Rheinkieswerk Helmlingen zu Wort: Sollte der geplante Kiesabbau im Gayling nicht genehmigt werden, »würde das das Aus bedeuten. Die Existenz des Werks hängt an diesem Vorhaben«, so Peter Dickmeis, Vertreter der Geschäftsleitung, gegenüber unserer Zeitung. Das Unternehmen plant für Samstag, 3. Oktober, einen Info-Tag, um in der breiten Bevölkerung für seine Position zu werben.
Kiespacht
Wie wichtig die Kiespachteinnahmen für Rheinau sind, verdeutlicht ein Blick auf die Statistik: 2014 spülten diese 1,657 Millionen Euro in die Stadtkasse – und damit unterm Strich mehr als die Gewerbesteuer. Zwar lag diese im Vorjahr mit gut 6,5 Millionen Euro auf Rekordniveau, davon behalten darf die Stadt aber nur gut 20 Prozent. In den nächsten drei Jahren soll die Kiespacht den Stadtsäckel laut Rheinauer Stadtverwaltung mit rund 6,7 Millionen Euro füllen.