Scherer: »Ich erwarte einen Solidarbeitrag«
Landrat Frank Scherer (53, parteilos) steht seit 2008 an der Spitze des Landkreises – und die Ortenau soll seine berufliche Heimat bleiben. Die Wiederwahl gilt als gesichert: Im September stellt sich der gelernte Jurist als Alleinkandidat zur Wiederwahl. Im Interview blickt er auf die anstehenden Aufgaben.
Herr Scherer, was hat für Sie den Ausschlag gegeben, Ende September noch mal als Landrat zu kandidieren?
Scherer: Dieses Amt ist eine große Herausforderung und eine Freude zugleich. Als Sportler brauche ich die Herausforderung. Jeder Tag ist anders und bringt etwas Neues mit sich. Ich lerne immer etwas Neues dazu.
Welche Herausforderungen meinen Sie?
Scherer: Zum einen die rund 7500 Kollegen in der Verwaltung und den Eigenbetrieben des Ortenaukreises so zu leiten, dass sie als motivierte Dienstleister für die Ortenauer Bevölkerung, Unternehmen und Rathäuser optimal und lösungsorientiert arbeiten. Zum anderen gilt es, im politischen und gesellschaftlichen Raum präsent zu sein und dabei auch menschliche Beziehungen zu beachten und zu pflegen. Wenn es um die Interessensvertretung des Ortenaukreises geht, lege ich aber auch viel Wert auf Effizienz. Das bedeutet zum Beispiel, unnötige zu Konflikte vermeiden und tragbare Kompromisse suchen, aber überzeugende Positionen nicht aufgeben.
Wie lief die Entscheidungsfindung ab?
Scherer: Ich habe mich vor rund einem Jahr gefragt, ob es das wirklich ist. Wenn ich jetzt noch mal gewählt werden sollte, dann bin ich am Ende der Amtszeit 61. Wenn man noch mal etwas völlig Anderes machen möchte, dann wäre jetzt mit 53 die Gelegenheit. Nachdem ich mit meiner Frau darüber gesprochen hatte, wollte ich natürlich wissen, wie die Sicht der Kreisräte ist. Wenn ich da die Ansage bekommen hätte, »Dich wollen wir nicht mehr«, hätte ich meinen Plan B anlaufen lassen können.
Was war Ihr größter Erfolg?
Scherer: Wir haben ordentlich investiert, unter anderem allein in den letzten vier Jahren rund 30 Millionen Euro in unsere Schulgebäude, haben zugleich die Schulden des Kreises um mehr als die Hälfte reduziert und haben dennoch die Kreisumlage auf einen Stand runtergefahren, der heute der niedrigste in ganz Baden-Württemberg ist.
In welchen Bereichen hätten Sie gerne noch mehr erreicht?
Scherer: Es ist uns bisher nicht gelungen, unseren Schulstandort in Hausach so zu stärken, wie es der Kreistag im vergangenen Jahr beschlossen hat. Danach sollte die Ausbildung der Industriekaufleute von Offenburg nach Hausach verlagert werden, was aber bisher am Widerstand der IHK und des Landes scheitert. Das ist sehr bedauerlich, denn wir brauchen die rasche Stärkung der Beruflichen Schulen in Hausach.
Und sonst?
Scherer: Auch im Öffentlichen Personennahverkehr ist meine Wunschliste lange nicht abgearbeitet. Zwei Beispiele: Im Kinzigtal muss der weggefallene Morgenzug für Pendler wieder eingeführt und die Ortenau-S-Bahn von Offenburg über den neuen Bahnhalt am Freilichtmuseum Vogtsbauernhof bis Hornberg durchgebunden werden, damit man nicht mehr in Hausach umsteigen muss.
Wieso ist der Ausbau des Breitband-Internets so wichtig, dass der Landkreis 40 Millionen Euro investiert?
Scherer: Das ist für die Unternehmen in der Ortenau mindestens so wichtig, wie eine gute Straßenanbindung. Und das ist wichtig für eine gute Lebensqualität der Menschen, die ihren Wohnsitz heute im Familienverbund festlegen. Da ist nicht nur die Meinung der Eltern relevant, sondern auch, ob der 16-jährige Sohn der Familie YouTube nutzen kann.
Bis wann kann man auch auf einem Schwarzwaldhof Filme mit Netflix streamen?
Scherer: Der Kreis will bis 2020 den glasfaserbasierten Backbone, also das Grundgerüst der Breitband-Infrastruktur, vollständig fertiggestellt haben. Daran werden die verfügbaren Ortsnetze angeschlossen sein, beziehungsweise später hinzukommende können angeschlossen werden.
Die weiteren großen Investitionen?
Scherer: Ich möchte dem Kreistag unter anderem vorschlagen, auch in den nächsten vier Jahren rund 20 Millionen Euro vor allem in unsere Schulgebäude zu investieren, wobei wir wieder einen Schwerpunkt auf die energetische Sanierung und Barrierefreiheit legen wollen. Außerdem möchte ich gerne den dritten Bauabschnitt bei den Gewerblich-Technischen Schulen in Offenburg angehen. Allein dafür müssen wir mit Kosten von rund elf Millionen Euro rechnen.
Und bei den Kliniken?
Frank Scherer: Hier stehen unter anderem in Lahr die Sanierung des Bettenhauses und in Offenburg die Erweiterung der Funktionsbereiche und teilweise der Bettenstationen an. Und der Bau des Linearbeschleunigers an der Josefsklinik bedeutet auch eine Investition von fünf Millionen Euro.
Welche Straßenbauprojekte will der Kreis verwirklichen?
Scherer: Der Kreis will auf jeden Fall den Neubau der Verbindungsstraße zwischen Fischerbach und Haslach ab 2017 angehen und wir wollen zügig mit dem Bau der Ortsumfahrung Zusenhofen-Nußbach starten. Außerdem steigen wir mit den betroffenen Gemeinden jetzt in die Planung der Bahnparallele zwischen Kippenheim, Mahlberg und Lahr ein. Und natürlich möchte ich dem Kreistag vorschlagen, unser Radwegeprogramm konsequent fortzusetzen.
Alle Prognosen sagen: Die Schülerzahlen sinken. Wie geht der Landkreis damit um?
Scherer: Voraussetzung für die Sicherung der Schulstandorte ist neben qualitativ hochwertigen schulischen Angebote eine intelligente und vorausschauende Planung. Wir haben in unserem Schulentwicklungplan die Standorte so aufgestellt, dass wir erstens alle halten können und dass wir zweitens die Schülerströme so steuern, dass sich Kompetenzzentren entwickeln, um alle Ausbildungsgänge in der Ortenau zu halten.
Wie schaut das konkret aus?
Scherer: Da, wo sich der Kreis bei Ausbildungsgängen mit zu geringen Schülerzahlen an zwei Schulstandorten selbst helfen kann, bilden wir ein Kompetenzzentrum an einer Schule. Wenn aber ein Ausbildungsgang mit zu geringen Schülerzahlen nur noch einmal in der Ortenau vorhanden ist, werde ich in den kommenden Monaten im Wege der überregionalen Schulentwicklung Verhandlungen über Bezirks- und Landesklassen für die Ortenau führen müssen.
Es kommen momentan kaum Flüchtlinge in die Ortenau. Was bedeutet das für den Landkreis?
Scherer: Bei unserem Unterbringungsmanagement haben wir uns breit aufgestellt, um flexibel reagieren zu können, das heißt bei Anmietungen haben wir kurz-, mittel- und langfristige Laufzeiten. Aktuell nutzen wir die Atempause, um organisatorisch ungünstige Kapazitäten abzubauen und damit teuren Leerstand zu vermeiden, andererseits achten wir aber auch darauf handlungsfähig zu bleiben, falls die Zuwanderung wieder zunimmt.
Es gibt immer noch Gemeinden in der Ortenau, die keine Flüchtlinge aufgenommen haben. Was sagen Sie dazu?
Scherer: Uns ist sehr daran gelegen, die Flüchtlinge im Ortenaukreis möglichst ausgewogen entsprechend der Bevölkerungszahl auf alle Kommunen zu verteilen. Dabei rechnen wir den Städten und Gemeinden die Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung, in der Anschlussunterbringung und unbegleitete Minderjährige gleichermaßen an. Deshalb bekommen diejenigen Kommunen, die sich über ihre Quote hinaus bei der vorläufigen Unterbringung oder bei der Anschlussunterbringung engagiert haben, solange keine Zuwanderer mehr zugewiesen, bis auch alle anderen ihre Quote erfüllt haben. Natürlich ist auch ein Einzelfall denkbar, wo absolut keine Unterbringungsmöglichkeit besteht. Dann erwarte ich von dieser Kommune aber einen anderen Solidarbeitrag, etwa indem Kita-Plätze für Kinder aus den Nachbarkommunen zur Verfügung gestellt werden.
Die Debatte beim Bau von Windkraftanlagen ist teilweise sehr emotional geführt worden, ist das für Sie dennoch ein Erfolg?
Scherer: Im Ortenaukreis sind wir bei der Genehmigung und dem Bau von Windkraftanlagen in Südbaden an der Spitze. Wir haben seit 2011 immerhin 20 Windkraftanlagen genehmigt, von denen sind 19 schon in Betrieb und eine Anlage wird in Kürze fertiggestellt. Und dennoch haben wir bei jeder Genehmigung auch die widerstreitenden Anliegen und Belange genau im Blick, wie zum Beispiel den Landschaftsschutz.
Was tun Sie, um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Scherer: Es gibt für mich keine starre Position für oder gegen die Windkraft. Es gilt vielmehr in jedem Einzelfall ideologiefrei den Nutzen einer Anlage mit den beeinträchtigten Belangen, die immer auch von einer solchen Industrieanlage ausgehen, abzuwägen. Dabei lassen wir uns vereinfacht gesagt unter anderem davon leiten, das, je größer der Nutzen einer Anlage ist, auch eher Beeinträchtigungen akzeptiert werden können. Deshalb haben sich Kommunen und Kreis in den letzten Jahren auf diejenigen Standorte konzentriert, wo weniger rechtliche Restriktionen bestehen und der Wind ordentlich bläst.
Viele Projekte, dazu noch die Kosten durch den Flüchtlingszustrom. Das klingt nach einer Erhöhung der Kreisumlage.
Scherer: Das möchte ich vermeiden, aber es wird nicht leicht. Dabei stehen für den Kreis weniger die Kosten der Zuwanderung als vielmehr und vor allem die Kostenexplosion im Sozialbereich, insbesondere bei der Hilfe für Menschen mit Behinderung und zur Pflege, im Mittelpunkt. Diese Entwicklung ist vor allem demografisch und durch regulatorische Vorgaben bedingt, die nicht der Kreis bestimmt. Das macht mir große Sorgen, weil wir hier nicht viel selbst steuern können. Wenn das Halten der Kreisumlage dennoch gelingen soll, brauchen wir jedenfalls eine große Haushaltsdisziplin in anderen Bereichen. Hierzu werde ich dem Kreistag Vorschläge für den nächsten Doppelhaushalt unterbreiten.
Zur Person
Frank Scherer (* 1963 in Remscheid) ist seit 2008 Landrat des Ortenaukreises.
Aufgewachsen ist er im nordrhein-westfälischen Dinslaken, zum Jura-Studium kam er nach Freiburg. In der Breisgau-Metropole hat der Vater von vier Kindern von 1995 an zwei Jahre lang als Verwaltungsrichter gearbeitet. Ab 1995 arbeitete er für zwei Jahre als Justitiar und Medienreferent des baden-württembergischen Staatsministeriums.
Von 1997 bis 2006 war er stellvertretender Präsident der Landesanstalt für Kommunikation. Vor seiner Wahl zum Landrat war er Vizepräsident im Regierungspräsidium Freiburg.