Männchen-Gesangverein
Der frühe Vogel fängt den Wurm – das gilt auch für angehende Hobby-Ornithologen. Wer an einer Vogelstimmen-Wanderung teilnimmt, muss früh aus den Federn.
Sonntag, 7.30 Uhr im Stadtgarten Oberkirch: Es ist etwas Vogelgezwitscher zu hören, die ersten zaghaften Sonnenstrahlen brechen durch die Äste – sie wärmen noch nicht. 30 Leute warten. Die Frühaufsteher sind gegen die Kälte gewappnet: Sie tragen warme Jacken und festes Schuhwerk – vornehmlich Wanderschuhe, genau wie in der Einladung zur Vogelstimmen-Wanderung geschrieben.
»Ich sehe, dass viele ein Fernglas dabei haben, aber das Teleskop holt die Vögel noch deutlich näher heran«, begrüßt Meinrad Heinrich vom BUND Renchtal die Teilnehmer der Exkursion. In den nächsten vier Stunden wird der Vogelkenner seiner Gruppe die Rufe und Melodien der heimischen Arten näherbringen. Sein Kollege Manfred Weber vom Naturschutzbund (Nabu) Offenburg leitet die zweite Gruppe.
Zu Beginn erläutert der passionierte Hobby-Ornithologe Heinrich die wichtigste Regel für diesen Morgen: Schweigen! Bereits im Stadtgarten sind die ersten Melodien zu hören. »Zwei Buchfinken beim Regenruf«, stellt Heinrich fest. Dies machten die Tiere häufig nach Regenschauern. Ein Teilnehmer möchte wissen, warum es nicht der Gesang des Buchfinken sein kann. Heinrich winkt ab. »Bei seinem Gesang überschlägt sich die Stimme. Das hören wir später bestimmt noch!«
Kaum hat sich die Gruppe in Bewegung gesetzt, ertönt ein »Tschilp, Tschilp«. »Das ist der Haussperling«, sagt Heinrich. Er ist froh, dass die Vögel zu Beginn der Exkursion vereinzelt ihre Stimmen erklingen lassen. Im Chor seien sie weitaus schwieriger herauszuhören. Gerade Anfänger hätten da Probleme.
Danach traut sich ein Distelfink. Während der Vogelprofi über diese Art spricht, wird die Zuhörerschaft von einem weiteren Trillern abgelenkt. »Das ist der Amsel-Warnruf«, erklärt Heinrich. »Die hat auch vorhin schon auf die Wacholderdrossel gemeckert«, fügt er hinzu und lacht. Vogelpsychologie am Morgen.
Die Teilnehmer laufen aus unterschiedlichen Gründen mit: Eine Frau aus Oberkirch erzählt, dass sie über ihre Tageszeitung auf die Wanderung aufmerksam wurde. »Ich bin zwar naturinteressiert, aber von Vögeln hab’ ich keine Ahnung«, stellt sie klar. Erika Wortberg aus Oberkirch hingegen hat einen klaren Bildungsauftrag an sich selbst: »Meine Enkelkinder wissen bald mehr als ich. Da dachte ich: Jetzt wird es Zeit! Omi muss sich schlaumachen.«
Heinrich erklärt gern und viel – vor allem aber verständlich. Die Gruppe läuft Richtung Reben. Es kommt die Frage auf, in welchen Situationen Vögel eigentlich singen. »Nur zur Territorialverteidigung und zum Locken von Weibchen«, weiß der Experte. »Außerdem«, fügt er hinzu, »singen nur die Männchen«. Einzig beim Rotkehlchen zwitschere auch das Weibchen.
Weitere Ausnahmen: »Der Specht klopft nur und der Kernbeißer macht ›tsick‹ und ›tsi‹ als Geräusche.« Immer wieder kommt es zu kleineren Pausen, in denen entweder Fragen gestellt oder von Meinrad Heinrich vogelkundliche Aspekte vorgestellt werden. Mit seinem Vogelkunde-Buch zeigt er immer wieder Bilder von den singenden Piepmatzen – sie singen an diesem Morgen oft im Verborgenen.
Da! Zwei Vögel sitzen auf einem Baum. Die Gruppe stoppt, die Ferngläser werden gezückt, scharf gestellt: Die beiden Tiere können in ihrer ganzen Pracht bewundert werden. Eine Rabenkrähe und eine Amsel. Heinrich baut das Teleskop auf und erklärt, dass man anhand von Schnabelfarbe und Gefieder eindeutig ausmachen könne, dass es sich um ein Amsel-Männchen handelt. »Man erkennt es auch an dem feinen hohen ›Ziiiiih‹-Geräusch, das es macht.«
In Reih und Glied schauen alle durchs große Teleskop. Viele »Aahhhs« und »Ooohs« sind zu vernehmen. Manfred Sutterer aus Kappelrodeck ist so begeistert von der Optik, dass er seiner Frau mit einem glückseligen Grinsen zuraunt: »Das ist d-a-s Gerät für mich!«
Auf dem Weg Richtung Schauenburg erfahren die Vogel-Interessierten, dass ein Feldsperling an seinem Ohrfleck gut zu erkennen ist, dass der Hausrotschwanz der erste Vogel ist, der morgens weit vor Sonnenaufgang mit seinem Gesang startet, und dass die Elster »schackert«. Heinrich macht das Geräusch nach: »Ijä-ijä-ijä«. Die Mönchsgrasmücke hingegen unterscheide zwischen dem Warnruf »tschak-tschak« und Gesang. »Erst murmeln sie, dann kommt der melodische Überschlag.« Am leichtesten zu erkennen sei der Zilpzalp: Er singt seinen Namen und baut dazwischen immer wieder ein ›Trrrp‹ ein. »Den sollten Sie sich merken«, schwört der Hobby-Ornithologe die Gruppe ein. Der Vogel sei leicht herauszuhören.
Bevor es in den Wald geht, zeigt Heinrich, was sein Vogelkundebuch noch alles kann: Es hat Hightech eingebaut. Mit einem elektronischen Stift können bestimmte Felder angetippt werden – und schon erklingt die Stimme des ausgewählten Vogels. Der Vogelkundler warnt jedoch vor Schabernack: »Die Tiere reagieren – und singen bis zur Erschöpfung.« Wenn es darauf ankomme, würden sie ihr Revier verlieren, weil sie ausgepowert seien.
Aber auch Heinrich hat den Schalk im Nacken sitzen: Auf Bitten einiger Damen lässt er eine Nachtigall erklingen. Danach erklärt er grinsend, dass sich sein Kollege vom Nabu jetzt bestimmt wundere, »warum am helllichten Tag ein nachtaktiver Vogel singt«.
Auf dem Weg durch den Wald bis zur Schauenburg zählt Heinrich auf, dass die Gruppe auf der Exkursion schon rund 30 bis 35 Arten zu sehen beziehungsweise zu hören bekommen hatte. Deutschlandweit gebe es rund 250 brütende Vogelarten, weltweit seien es zwischen 8000 bis 10 000. »Die Zahl der Singvögel hat sich in den vergangenen 40 Jahren halbiert«, beklagt der Vogelkundler. Der Grund sei die intensiv gewordene Landwirtschaft. Sein Appell: Auch Privathaushalte können ihren Teil zum Artenerhalt beitragen, indem eine bewusstere Gartengestaltung gewählt wird.
Begleitet von einem hoch über den Köpfen kreisenden Mäusebussard endet die Exkursion auf der Schauenburg. Ehrfürchtig flüstert einer der Teilnehmer in die Runde: »Der ist so groß wie eine halbe Ente!« Und nach dem alle den Vogel intensiv durchs Teleskop bewundert haben, entbrennt eine Diskussion über die Bestimmung von Greifvögeln. »Kein einfaches Unterfangen«, wirft Heinrich ein – und schon beginnt er, die Unterscheidungsmerkmale aufzuzählen ...