Ortenau-Reportage: An Bord mit den "Helikopter-Männern"
Es sieht aus wie eine Stunt-Szene in einem Actionfilm, wenn sich der Helikopter von Uwe Heins und Pierre Brehm bis auf einen Meter einem Strommasten nähert. Die beiden Männer sitzen völlig entspannt in der Heli-Kabine. Für sie ist die Kontrolle der Stromleitungen aus der Luft reine Routine.
Uwe Heins und Pierre Brehm sind ein eingespieltes Team. Seit fast 20 Jahren sitzen die beiden in der überraschend geräumigen Helikopter-Kabine und fliegen bis auf einen Meter an die Stromleitungen heran. Was im ersten Moment nach einem waghalsigen Manöver in einer Stunt-Show klingt, ist eine Kontrolle der Stromtrasse aus der Vogelperspektive.
Heins schaltet den Motor an, die Rotorblätter knattern laut. Die Grashalme wehen zur Seite. Hektisch drehen sich die Menschen um den Landeplatz am Kehler Golfplatz vom Heli weg, um sich vor den aufgewirbelten Steinchen und Grashalmen zu schützen. Nur Heins und Brehm sind entspannt. Seelenruhig machen es sich die beiden in den klobigen Ledersitzen bequem und setzen die grauen Kopfhörer auf. Nach einem Witz übers Fliegen greift Brehm nach seinem Schreibblock und nickt Heins gemächlich zu. Zwei ruhige, kaum sichtbare Bewegungen des Steuerknüppels, und der Helikopter steht senkrecht in der Luft und fliegt die erste Stromleitung an.
Leitungen sind nicht abgeschaltet
Innerhalb von vier Tagen prüft die Besatzung für das E-Werk Mittelbaden Stromleitungen in der Ortenau. Die Aufgabenverteilung in der Kabine ist klar: Uwe Heins fliegt möglichst dicht an die Masten, und Pierre Brehm dokumentiert die Schäden. »Aus der Luft lassen sich auch beschädigte Bauteile und Seile der Stromleitungen leichter und schneller als vom Boden aus erkennen«, erklärt Brehm. Für den Strombetreiber sei die Kon-trolle günstiger als ein Schaden im Nachhinein. Daher nehmen Fachleute im Abstand von zwei Jahren die Stromleitungen aus der Vogelperspektive in Augenschein. Konzentriert blickt Brehm aus dem Fenster. Rechts ist ein Sportplatz, links ein Wäldchen. Der erste Strommast ist in Sicht, der zweite auch. Aus der Luft wirken sie wie riesige Vogelscheuchen. Die meisten sind grau und aus Beton. Einige sind aus Holz.
Der Hubschrauber bleibt plötzlich in der Luft stehen. Die Maschine vibriert. Die Motorgeräusche werden monotoner. Der Co-Pilot begutachtet den ersten Mast. Nichts darf ihm dabei entgehen. »An Mast eins fehlt eine Abdeckungskappe«, sagt er und notiert die Diagnose, während Heins die Maschine bis auf einen Meter an den Mast heransteuert. Die 20 000 Volt der Freileitung hat er direkt vor der Nase, denn die Leitungen sind während der Inspektion nicht abgeschaltet.
Angst haben Heins und sein Co-Pilot nicht. Im Gegenteil. »Das Fliegen ist für mich wie freihändig Fahrrad fahren«, sagt Heins. »Mensch und Maschine werden eins, sobald sich die Rotorblätter drehen.« Er schalte seinen Kopf aus und folge seinem Gefühl. Passiert ist ihm in den über 40 Jahren, in denen er die Inspektionsflüge macht, nichts. Er ist ein alter Hase in der Heli-Kabine. Erstmals war er 1962 für die Bundeswehr mit einem Flugzeug in der Luft. 1974 folgte der erste Kontrollflug an der Stromtrasse.
Die Konversation im Heli erinnert an eine Inventur
Seit fast 20 Jahren sitzt er mit Pierre Brehm in einem Heli. Die beiden könnten von Typ her nicht unterschiedlicher sein. Brehm ist ein braungebrannter Mann mit einer goldenen Sonnenbrille, dem man seine französischen Wurzeln anhört. Heins wirkt dagegen wie ein Seemann. Der über 60-Jährige trägt einen weißen Rauschebart, hat eine tiefe Stimme mit norddeutschem Akzent und scherzt gern. Dennoch haben sich die beiden zusammengetan und fliegen gemeinsam Stromleitungen in ganz Deutschland ab. Ihre Leidenschaft fürs Fliegen verbindet sie. Uwe Heins sagt kurz und knapp: »Kerosin hält jung und schweißt zusammen.«
Wie ein Vogel fliegt der Hubschrauber nun von Mast zu Mast. Lange, dicke Aluminiumdrähte verbinden einen Mast mit dem nächsten. Die Konversation im Heli erinnert immer mehr an eine Inventur. Jeder Mast hat eine Nummer und sein Zustand wird genau betrachtet. »An Mast vier müssen die Büsche geschnitten werden«, sagt Brehm laut und notiert es.
An diesem Tag sind die beiden Männer nicht allein an Bord. Auf dem Rücksitz sitzen ein Thermograf und ein Techniker, der sich mit den örtlichen Gegebenheiten auskennt. Ersterer überprüft mit einer Thermokamera, die er aus dem Fenster hält, die Temperaturen der Strommasten. »Anhand der Temperaturunterschiede an den Leitungen lassen sich Defekte feststellen«, erklärt Edgar Brucker, Bezirksstellenleiter bei den Netze Mittelbaden, der für Vorplanung und die anschließende Auswertung der Flüge zuständig ist. Die Schäden können dank der Kontrolle aus der Luft noch vor Eintritt einer Störung festgestellt und kurz nach dem Flug von Technikern behoben werden. Im Heli wird es immer kälter. Der Wind peitscht an die Glasscheiben, Regentropfen fallen aufs Dach. Pilot Heins beeindruckt das Wetter nicht. Er lehnt sich zurück in seinen Sitz und vertraut seiner Maschine. »Was sie will, spüre ich in der Luft, denn über den 'Popometer' geht die Bewegung bis in die Fingerspitzen«, sagt er und lacht. Wie lange eine Flugroute dauert, hängt vom Gelände und dem Wetter ab. Die diesjährige Kontrolle der Leitungen führt die Crew von Kehl über Offenburg, Gengenbach bis nach Hausach.
Im Schnitt schafft man in zehn Minuten zehn Strommasten«, erklärt der Co-Pilot. Zwei bis vier Bemerkungen dokumentiere er pro Mast. »In der Regel ist nach eineinhalb Flugstunden eine Pause von bis zu einer halben Stunde angesagt.« Denn der Überblick über die Stromtrasse verlangt von den Männern höchste Konzentration. Langsam nähert sich die Maschine dem Boden. Das Gras wird aufgewirbelt. Die Rotorblätter kreisen schwerfälliger und kommen zum Stehen. Heins und seine Crew steigen uns. Während sich Brehm mit Edgar Brucker von den Netzen Mittelbaden unterhält, zündet sich Heins einen Zigarillo an und schlürft seinen Kaffee aus der mitgebrachten Thermokanne. Den Helikopter haben die beiden dabei stets im Blick.
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