Sie verbringt einen Tag im Frauengefängnis
Acht Uhr morgens. Haftantritt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bühl. Ich stehe vor dem großen grauen Stahltor. Die Tür rechts daneben wirkt wie aus der Erzählung »Gullivers Reise nach Lilliput« – klein, unbedeutend und leicht zu übersehen. Sie öffnet sich, ich trete ein.
Das Frauengefängnis sticht einem nicht sofort ins Auge. Es ist ein wenig versetzt hinter dem Amtsgericht zu finden. Das Polizei-Revier ist auf der gegenüberliegenden Straßenseite ansässig. Die Haftanstalt in Bühl feierte 2014 ihr 100-jähriges Bestehen. Sie wurde seit jeher als Gefängnis genutzt. Früher für Hexen, heute für Frauen mit Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten sowie Untersuchungshaft.
Die Jeans ist zu kurz
Angelika Peters, eine zierliche Frau mit akkurat geschnittenem schwarzen Bob, nimmt mich am Eingang in Empfang. Sie ist für die Aufnahme jeder Insassin verantwortlich. Seit 35 Jahren. Im Untergeschoss drückt sie mir einen sogenannten Zugangskorb in die Hand. Darin befinden sich Bettwäsche, Plastikgeschirr, Handtücher sowie Waschzeug. Danach bekomme ich Gefängnis-Kleidung ausgehändigt. Die Jeans mit Gummizug im Bund sind mir zu kurz, der Pulli ein wenig zu weit. Aber er hält warm. »Schuhgröße?«, fragt mich Peters. Sie sucht Hausschuhe für mich heraus. Ein zueinander passendes Paar zu finden scheint nicht so einfach.
Zu viele Insassinnen
Offiziell ist die JVA für 28 Insassen ausgelegt. Aktuell sind 38 Frauen dort untergebracht. Zu viele also. Die Altersspanne der Damen liegt zwischen 15 bis 63 Jahre. »Obwohl die Frauen einen Anspruch auf Einzelunterbringung haben, müssen wir sie in mindestens Zweierzellen unterbringen«, erläutert Elisabeth Leonhard, Leiterin der JVA Bühl. Und das dauerhaft. Eine Überbelegung gehört für Leonhard und ihr Team zum Tagesgeschäft.
Von der Kleiderkammer geht’s zum Sanitäter: Katja Mayer arbeitet seit 30 Jahren im Vollzugsdienst, zehn davon in Bühl. Sie stellt mich auf die Waage (»Sie wiegen sich wirklich nie?«), misst meinen Blutdruck (»hervorragend«) und geht mit mir die Fragen des Aufnahmebogens durch (»Das war ja einfach«). »Fragen nach Drogen- und Medikamentenkonsum gehören hier dazu«, klärt sie mich auf. Ist sie bei einer neuen Insassin nicht sicher, ob diese bezüglich ihres Konsums ehrlich geantwortet hat, ist auch mal eine Urinkontrolle mit Screening fällig. »Kalten Entzug gibt es bei uns nicht.« Die Abhängigen würden deshalb Substitutionspräparate zur Therapie bekommen.
Viele Frauen, die in das Gefängnis kommen, kämpfen laut der Psychologin Bine Walter mit psychischen Problemen. Die Zahl diesbezüglicher Erkrankungen hätten gesellschaftsübergreifend in den vergangenen Jahren zugenommen – das merke man auch im Gefängnis: »Die psychische Verfassung einiger Insassen ist recht schwierig, und die Mitarbeiterinnen im Vollzugsdienst sind für solche Fälle nicht geschult. Das überfordert.« Aus den Gesprächen weiß sie, dass die Frauen dramatische Dinge erlebt haben, die sie haben straffällig werden lassen.
Bereit für einen Neustart
Auf dem Weg in die Zelle treffe ich auf Julia S. Die junge Frau kommt mit geröteten Wangen vom Arbeitseinsatz im Garten. Sie sitzt gerade in Bühl ihre viermonatige Reststrafe ab. »Meine Bewährung wurde widerrufen«, sagt die 31-Jährige schuldbewusst. Julia hat eine bewegte Vergangenheit mit Drogen und einjähriger Haft wegen Diebstahls hinter sich. Sie habe sich bemüht, ihrem Leben nach ihrer Entlassung durch Arbeit Struktur zu geben und verdrängte alles, was mit ihrem alten Leben zu tun hatte: »Und damit habe ich meine Bewährungsauflagen verletzt.« Denn Julia S. meldete sich weder bei ihrer Bewährungshelferin noch besuchte sie wie vereinbart die Drogenberatung. Bald verlässt die junge Frau die JVA Bühl. Ohne Bewährung, ohne Auflagen. Bereit für einen absoluten Neustart. Zu Hause wartet nicht nur ihr neues Leben, auch ihre Freunde und ihre Arbeitskollegen unterstützen die junge Frau auf ihrem Weg. Julia S. hat sich geschworen, nie wieder ihre Freiheit so leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Arbeit gehört zum Alltag
Arbeiten gehört für die Gefängnis-Insassinnen zum Alltag. »Nur so kommen sie aus der Zelle«, sagt Elisabeth Leonhard. Sonja Bohnert ist für den Gefängnis-Betrieb zuständig. »Die Frauen erledigen Auftragsarbeiten großer Firmen«, erläutert sie. Aktuell falten sie Mappen und bauen Schnellhefter zusammen. Der werktägliche Arbeitseinsatz geht von 7 bis 12.15 Uhr und von 12.45 bis 14.15 Uhr. Arbeiten können die Insassen auch als sogenannte »Wäsche-Mädels« oder »Stockwerk-Mädels«. Ausgenommen sind die Freigänger: Sie gehen einem regulären Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Justizvollzugsanstalt nach und schlafen lediglich im Gefängnis.
»Die Übernachtungen müssen sie deshalb auch selbst bezahlen«, sagt Elisabeth Leonhard. Denn die Freigängerinnen würden vom Arbeitgeber ihr monatliches Einkommen bekommen. »Die anderen Insassen kommen nicht raus, verdienen mit der Gefängnisarbeit recht wenig und bekommen deshalb ein ›All inclusiv‹-Paket«, fügt Bohnert hinzu.
Alles ist eng
Sonja Zoike, Auszubildende zur Vollzugsbeamtin im ersten Jahr, nimmt mich auf dem Stockwerk in Empfang. Links und rechts des Gangs sind Zellen – eine für vier Häftlinge, zwei in Einzel- und viele in Doppel- und Dreifachbelegung. Die Türen der Zellen sind recht niedrig und schmal. Zoike schließt eine Tür auf – mit jedem Klicken des Schlüssels intensiviert sich meine Gänsehaut – und der Unwillen einzutreten. Die Zelle ist klein. Schmal. Durch den verengten Zugang wirkt sie jedoch noch kleiner und enger. Ich trete ein.
Der Schlüssel dreht sich
Mein Magen zieht sich zusammen, während Zoike die Tür hinter mir schließt. Der Schlüssel dreht sich. Abgeschlossen. Eingeschlossen. Beklemmung macht sich breit. Ich versuche sie herunterzuschlucken. Setze mich hin. Die Heizung rauscht. Laut. Zu Laut. Ich lausche. Höre ich Menschen auf der anderen Seite der Tür? Ich versuche mich zu konzentrieren. Muss mich bewegen. Mit wenigen Schritten – vier in der Länge und zwei in der Breite – vermesse ich mein neues Reich. Die Heizung rauscht noch immer. Das beklemmende Gefühl in meinem Bauch breitet sich aus.
Striche an der Wand
An der Wand sehe ich Striche. Irgendeine Frau, die vor mir in dieser Zelle war, hat Zeitabstände
gemessen. Vielleicht stehen die 23 Striche für die Anzahl an Tagen, die sie hier drin verbracht hat? Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, höre ich etwas. Ganz leise. Stimmen. Draußen. Worüber sie reden? Ich weiß es nicht. Aber ich merke, wie die Anspannung ein wenig nachlässt. Nur kurz. Dann hat sie mich wieder eingefangen. Jetzt komme ich mir noch einsamer vor. Die Zeit dehnt sich wie in Zeitlupe. Wie lange ich schon in der Zelle drin bin? Das ist schwer einzuschätzen.
Ich will raus
Irgendwann drücke ich den roten Knopf. Es dauert. Nach einer Weile fragt mich eine gesichtslose Stimme: »Ja bitte?« Ich möchte rausgelassen werden. Die Stimme antwortet mit einem Lachen. »Normalerweise geht das nicht so einfach. Ich bin gleich bei Ihnen.« Der Schlüssel dreht sich im Schloss – ich bin frei! Und habe keine Lust auf eine Wiederholung.