Interview des Tages

Chance für Start-ups in Straßburg

Reinhard Reck
Lesezeit 6 Minuten
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29. März 2015

(Bild 1/2) In diesem völlig renovierten und erweiterten ehemaligen Depotgebäude auf der Straßburger Malraux-Halbinsel wird auf drei Stockwerken das neue »Shadok«, ein Zentrum für digitale Kunst und Wirtschaft, eingerichtet. Auch die »Plage Digitale« wird dort Räume zur Verfügung stellen. ©Stephan Hund

Stéphane Becker (39) ist Präsident der Vereinigung »Alsace Digitale« und gleichzeitig IT-Unternehmer. »Alsace Digitale« betreibt die Straßburger Einrichtung »La Plage Digitale«. Es handelt sich um eine Art Gründerpark, in dem Start-ups Schreibtische mieten können. Die Einrichtung befindet sich beim Kaufhaus Rivétoile an der Malraux-Halbinsel. Nun wird man mehr Räumlichkeiten in dem neuen Straßburger »Shadok«, einem Forum für digitale Kunst und Wirtschaft, eröffnen.

Herr Becker, Sie sind der Präsident der Vereinigung »Alsace Digitale«, die die »Plage Digitale« in Straßburg betreibt. Wie kam es zu der Initiative?
Stéphane Becker: Vor einigen Jahren – etwa 2008 – wurde mir und einigen Mitstreitern klar, dass wir hier in Straßburg zwar eine herausragende Universität und brillante Hochschulabsolventen haben, die für die digitale Wirtschaft arbeiten können. Es fehlten aber Berufsmöglichkeiten. Außerdem vermissten wir ein Forum, bei dem sich Interessierte der Start-up-Szene treffen und gemeinsam Projekte entwickeln konnte. Unser Vorbild war damals die »Cantine numérique« in Paris – seinerzeit die erste Plattform für das »Coworking« in der Digitalbranche.
Wie ging es weiter?
Becker: Wir nahmen dann Kontakt mit der Stadt Straßburg auf, um eine ähnliche Einrichtung wie in Paris aufzubauen. Wir stießen auf offene Ohren, denn die Stadt war bemüht, die digitale Wirtschaft zu fördern. 2011 erfolgte offiziell die Gründung der Vereinigung »Alsace Digtale«, wobei besonders Akteure der Digitalwirtschaft beteiligt waren. Wir sind alle ehrenamtlich tätig.
Wie war die Resonanz bei den Start-ups?
Becker: Von Anfang an stieß unser Angebot auf großes Interesse. Wir merkten, dass es viele Leute gab, die ein Start-up gründen und sich in dieses Abenteuer stürzen wollen. Das führte dann letztlich zur Gründung der »Plage Digitale«.
Was ist das Grundprinzip dieser Einrichtung?
Becker: Es ist ein Ort für Leute, die das Risiko der Selbstständigkeit eingehen, aber gleichzeitig, was die Räumlichkeiten betrifft, genügend Flexibilität behalten. Sie mieten einen oder mehrere Schreibtische, müssen sich aber nicht langfristig festlegen. In Frankreich haben wir das Problem, dass man sich bei Unterzeichnung eines Mietvertrags für gewerblich genutzte Räume oft für mindestens drei Jahre binden muss. So eine lange Frist können viele Start-ups gar nicht überblicken. Gleichzeitig wird die Plage Digitale für viele Veranstaltungen genutzt.
Was für Events?
Becker: Wir laden beispielsweise Experten zu Vorträgen über technische Themen ein. Am letzten Freitag im Monat  findet ein Treffen statt, auf denen Neuigkeiten gezeigt werden. Wir nennen das übrigens »Hack SXB«-Events, weil SXB der internationale Code für den Flughafen von Straßburg-Entzheim ist. Auch möchte ich die vierteljährlich organisierten »Demo-Nights« erwähnen, in denen ein paar unserer Start-ups ihre Projekte präsentieren. Ein großer Erfolg war vor einer Woche auch das »Hacking Health Camp«. Es ging darum, wie die Digitaltechnik das Gesundheitswesen verändern wird. Wir hatten Vertreter dieser Branche wie Ärzte und Krankenschwestern, aber auch IT-Experten eingeladen.
Für wie viel Zeit kann man bei Ihnen einen Schreibtisch mieten?
Becker: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Leute, die sind schon ein paar Jahre bei uns, andere bleiben nur einen Tag. Sie bekommen Strom, Telefon und einen Computer.
Was kostet das?
Becker: Wenn man ein längeres festes Engagement hat, kostet das pro Monat 213 Euro ohne Mehrwertsteuer. Bei einem flexiblen Angebot kostet das pro Tag zwölf Euro. In diesem Betrag sind aber die Steuern mit dabei.
Sie wollen ja nicht nur eine Vermietungsagentur sein, sondern gemeinsame Projekte, sogenanntes »Coworking«, fördern?
Becker: Das ist richtig. Man muss aber dazu sagen, dass die meisten Start-ups die Vorteile des Coworkings erst bemerken, wenn sie einmal bei uns sind. Sie kommen meist, um relativ preisgünstig einen Arbeitsplatz zu mieten. Danach wird ihnen dann bewusst, dass sie ihre Organisation durch gemeinsame Projekte verbessern können. Oft handelt es sich um stark spezialisierten Firmen, die aber manchmal auch Unterstützung von anderen brauchen. Es zeigt sich dann, dass von einer Zusammenarbeit alle profitieren, weil neue Kundenkreise oder neue Geschäftsfelder erschlossen werden.
Beispiele?
Becker: Ich selber habe solche Erfahrungen mit meinem IT-Unternehmen »MethodintheMadness« gemacht. Wir produzieren unter anderem Videospiele  und Computersimulationen. Wir haben mit einem anderen Start-up kooperiert, das Pläne für die Weiterbildung in Unternehmen erstellt. An unsere Partner wurde der Wunsch herangetragen, Infos zu erstellen, die auch auf Tablet-Computer beispielsweise auf Baustellen oder bei anderen Einsätzen außer Haus abgerufen werden können. Da bin ich eingesprungen. Oder ein anderes Beispiel: Das Straßburger Internetportal »Rue 89« wollte seinen Auftritt optimieren und fand ebenfalls in der Plage Digitale einen Partner.
Nimmt das Interesse der Start-ups zu?
Becker: Auf jeden Fall. Wir haben mittlerweile schon eine Warteliste. Hier im Einkaufszentrum Rivétoile haben wir 37 Plätze. Der Erfolg hat uns bewogen, nun im Straßburger »Shadok«, dem neuen Forum für digitale Kunst und Wirtschaft, weitere 30 Plätze zur Verfügung zu stellen. Das Shadok wird eine zentrale Funktion bei der Förderung der digitalen Wirtschaft einnehmen.
Worauf ist der wachsende Andrang zurückzuführen?
Becker: Die Arbeitsformen verändern sich rasant. Es gibt immer mehr Leute, die auf eigene Rechnung arbeiten wollen. Sie fangen in ihrer Privatwohnung an, merken dann aber oft, dass sie nicht nur mehr Raum, sondern auch Kontakt zu anderen brauchen. Das passiert auch dann, wenn man wächst und mehr Personal einstellt. Das betrifft mein Unternehmen ebenfalls. Wir waren zunächst nur drei Teilhaber. Nun haben wir drei Angestellte, und wir arbeiten alle hier in der Plage Digitale.
Ist der Erfolg von der Plage Digitale auch auf den Boom der Digitalwirtschaft insgesamt zurückzuführen?
Becker: Sicher. Es gibt immer mehr Geschäftsfelder in der Digitalwirtschaft. Damit steigt auch die Zahl der Beschäftigten in der Branche.
Was hat das für Konsequenzen?
Becker: Die digitale Wirtschaft wird die Firmenlandschaft überall verändern. Denken Sie nur daran, in welch hohem Ausmaß die Digitaltechnik bereits die Musik- und die Filmbranche verändert hat. Das betrifft auch das Fernsehen mit neuen Programmen wie Netflix. Man kann da fast historische Parallelen ziehen. So wie früher die Barbaren die anderen Völker angriffen, so breitet sich heute die Digitaltechnik in der Wirtschaft aus.
Wo wird das hinführen?
Becker: Überall wird man sich auf die neue Entwicklung einstellen müssen, um überleben zu können. Firmen wie der Taxi-Onlinedienst »Uber« oder das Wohnungsvermittlungsportal »Airbnb« sind ohne Digitalisierung überhaupt nicht denkbar. Das wird längerfristig alle Branchen fundamental verändern. Gerade die Hotellerie ist ein gutes Beispiel dafür. Hotels oder sogar ganze Hotelketten haben Portalen wie »Tripadvisor« oder »Hotels.com« beträchtliche Anteile überlassen. Die Digitalwirtschaft definiert neu, wo sich eigentlich die Werte in einer Wertschöpfungskette befinden. Dabei tauchen ganz neue Akteure auf, die teilweise sogar ein Monopol in einem bestimmten Bereich gewinnen. Es wird sich noch viel verändern.

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