Die Angst vor dem Terror
Der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt (45) warnt davor, sich das Leben durch Angst diktieren zu lassen. Die Gefahr, durch einen Anschlag zu sterben, sei verschwindend gering im Vergleich zu einem Autounfall – und trotzdem setzten sich alle unbekümmert ans Steuer.
Herr Schmidt, wie wirkt sich die Angst vor Terroranschlägen auf unser Verhalten aus?
Holger Schmidt: Den meisten Terroristen ist klar, dass sie ihre Ziele politisch nicht unmittelbar erreichen können. Deshalb setzen sie einen anderen Hebel an, indem sie Angst in der Gesellschaft verbreiten. Je mehr wir uns fürchten, desto mehr laufen wir Gefahr, den Terroristen in die Hände zu spielen.
Das klingt, als hätten die Terroristen schon gewonnen.
Schmidt: Natürlich kann ich jeden verstehen, der sich nach den Anschlägen von Paris oder Brüssel Sorgen macht. Andererseits machen sich gerade islamistische Terroristen fast schon darüber lustig, wie wichtig wir in Europa ein einzelnes Leben nehmen.
Für wie groß halten Sie die Gefahr in Deutschland?
Schmidt: Sie ist real, aber statistische Prognosen dazu sind nicht möglich – zumal das das Geschäft der Terroristen wieder befeuern würde. Politiker sprechen von einer konkreten und einer abstrakten Gefahr. Letztere ist auf jeden Fall vorhanden, weil sowohl islamistische als auch rechtsgerichtete Gefährder in Deutschland leben. Das Potenzial ist da, aber abstrakt, solange keine konkreten Anschlagspläne vorliegen.
Können sich Normalbürger irgendwie vorbereiten, um für den Ernstfall gewappnet zu sein?
Schmidt: Prävention ist möglich, zum Beispiel, indem die Polizei, der Verfassungsschutz, Schulen, aber auch Nachbarn zusammenarbeiten. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, Terroristen den Nährboden zu entziehen. Wer im persönlichen Umfeld feststellt, dass sich jemand stark radikalisiert, sollte zunächst die Diskussion suchen – und wenn das nichts hilft, zur Polizei gehen.
Ist es möglich, durch ein bestimmtes Verhalten einem Anschlag zu entgehen?
Schmidt: Sie könnten natürlich theoretisch versuchen, nicht mehr U-Bahn zu fahren, aber wer will schon sein ganzes Leben danach ausrichten? In den USA gibt es Studien, die sich mit »Vermeidungsopfern« befassen. Das sind Personen, die zum Beispiel nach den Anschlägen aufs World Trade Center aufs Auto umgestiegen sind, um das Flugzeug zu meiden. Es stellte sich heraus, dass durch solches Verhalten in Relation mehr Menschen im Verkehr starben als bei den Anschlägen.
Was halten Sie von Seminaren, in denen man lernen soll, sich gegen Terroristen zu verteidigen?
Schmidt: Mit dem Grundgefühl der Unsicherheit werden Geschäfte gemacht. Aber meinen Sie, es hilft, mit Reizgas gegen den sogenannten »Islamischen Staat« vorzugehen? Insgesamt halte ich es für bedenklich, Terroristen an ihrem Verhalten erkennen zu wollen. Das mag in Einzelfällen klappen – zum Beispiel, wenn im Baumarkt eine Kassiererin Alarm schlägt, weil jemand große Mengen an Wasserstoffperoxid kauft. Aber natürlich wissen auch Terroristen um die Stereotypen: Die Kölner Kofferbomber trugen T-Shirts der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Umgekehrt grenzt es schon an Hysterie, wenn jemand aus dem Flugzeug geworfen wird, nur weil er Arabisch spricht.
Also kann man gar nichts machen?
Schmidt: Im Alltag machen wir heute schon viele Dinge, die gefährlich sind, zum Beispiel Auto fahren oder bestimmte Sportarten. Das nehmen wir als normales Risiko hin. Nur bei Terroranschlägen tritt der Gewöhnungseffekt nicht ein, weil sie so selten passieren. Trotzdem kommen durch Autounfälle in Europa weit mehr Menschen ums Leben.