Die SPD ist keine Volkspartei mehr
Zwei Redakteure, zwei Meinungen: Jeden Samstag stellt die Mittelbadische Presse in der Reihe "Pro & Kontra" zu einem kontroversen Thema zwei Positionen gegenüber. Ausbau der Rheintalbahn oder Nato-Einsätze - diskutiert wird, was polarisiert. An diesem Samstag lesen Sie: Nikolas Sohn und Christoph Rigling über: "Die SPD ist keine Volkspartei mehr".
Pro: Nikolas Sohn
Ein altes Leiden
Die Genossen kämpfen seit Jahren mit ihrem Profil. Umfragen sagen für 2016 schlechtere SPD-Wahlergebnisse im Südwesten als 2011 voraus, knapp 16 Prozent derzeit. Dort, im Angesicht fehlender Arbeitermilieus und schwindender Mitgliederzahlen, will die SPD immer auch noch Anwalt des Malochers sein, Gerechtigkeit und Bildung vorantreiben. Im Bund stiehlt Merkel derweil dem Juniorpartner die Show.
Doch die Landtagswahl 2016 wird eine Personenwahl zwischen Wolf, Schmid und Kretschmann. In Stuttgart gilt SPD-Parteichef Nils Schmid eher als verkopft denn charismatisch. Klarer Bonus für Kretschmann und Wolf, die volkstümlich mit der Basis flirten. 2011 konnte die SPD nach langer Zeit wieder mitregieren – freilich im Schatten Kretschmanns, der bei Ökos und Bürgerlichen beliebt ist. Ob Einschnitte durch schwarze Null oder ENBW-Schiedsverfahren – Schmids Themen sind nur allzu akademisch. Das drängende Thema Flüchtlinge: verpasst. Schmid ließ sich erst spät in den Unterkünften blicken. Seitdem die frühere Arbeiterpartei auch bundesweit immer mehr auf fremdem Terrain wildert, wird sie immer blasser.
So lapidar es klingt: Um Volkspartei zu sein, muss die SPD aufs Volk zugehen und nicht herumeiern. Schon ihr Wahlkampf-Motto »Baden-Württemberg leben« klingt weit entfernt von einer Schärfung des Parteienprofils.
Kontra: Christoph Rigling
Das ist ihr Anspruch
Natürlich ist die SPD immer noch eine Volkspartei. Und das gilt auch für Baden-Württemberg. Die Sozialdemokraten sind für Wähler und Mitglieder aller gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Weltanschauungen offen. Kleinere Parteien wie die FDP zielen auf spezielle Interessensgruppen. Ziel der SPD ist es, so viele Wähler wie möglich aus unterschiedlichsten Milieus an sich zu binden. An dieser Faktenlage ändert sich nichts, selbst wenn die SPD im Südwesten zurzeit in Umfragen bei 16 Prozent herumdümpelt.
Allerdings müssen sich die Genossen mit zwei Problemen herumschlagen. Erstens sind Grüne und Linke historisch gesehen Abspaltungen der SPD. Deren Wähler sind für die Sozialdemokraten weg. Der CDU ist es hingegen immer gelungen, Parteien am rechten Spektrum Wähler wegzunehmen. Somit sind die Zeiten der großen Arbeiterpartei definitiv vorbei. Über 30 Prozent zu kommen, wird schwierig.
Zweitens war die SPD über Jahrzehnte eine klassische Milieupartei. Doch die Arbeiterschaft gibt es nicht mehr. Deshalb müssen sich die Sozialdemokraten neu erfinden, um auch für andere Schichten interessant zu werden. In einer Perspektivkommission machen sich Parteimitglieder über die Zukunft Gedanken. Vom Ergebnis wird abhängen, ob die SPD wieder aus der Wahlergebniskrise herauskommt und ihrem Anspruch, Volkspartei zu sein, gerecht werden kann.