Rückkehr des Wolfs: Die Stimmung ist aufgeheizt
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Was für eine Idylle! Wer Francis Dopff an seinem Arbeitsplatz besucht, muss einfach staunen. Der 59-Jährige – weißer Bart, braun gebranntes, freundliches Gesicht – betreibt einen Bio-Bauernhof im elsässischen Orbey, rund 20 Kilometer westlich von Colmar. Seine Felder bewirtschaftet er mit dem Pferd, in der Mittagspause trinkt er mit Ehefrau Lisiane selbst gemachten Beerensaft. Ein ruhiges Leben, möchte man meinen. Doch Dopff, der Biobauer, winkt ab. »Die Mehrheit mag den Wolf«, sagt der Tierhalter. »Aber diese Leute leben in der Stadt. Wie es hier aussieht, wissen sie nicht.«
Der Wolf: Schon seit mehreren Jahren beschäftigt er die Menschen rund um Orbey. Das staatliche Forstamt geht davon aus, dass mindestens ein Paar die Vogesen durchstreift. Jahrhundertelang wurde der Wolf in Europa gejagt, galt als nahezu ausgerottet. Nun kehrt er allmählich zurück. Wie groß das Elsässer Rudel genau ist und wo es sich aufhält, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ob die Jungtiere eventuell in andere Regionen weiterwandern – und, falls ja, wohin –, ist ebenfalls unklar.
Fest steht nur, dass die einst ausgerotteten Beutegreifer allmählich zurückkehren und sich die Menschen mit ihnen arrangieren müssen. Aber wie? Dazu vertreten Landwirte, Touristiker, Tierschützer und Jäger ihre ganz eigenen Positionen.
»Wir wissen schon lange, dass der Wolf irgendwann zurückkommen würde«, sagt Dopff, der sein Geld mit Weinbau, Holz und Ziegen verdient. Im Grunde, sagt Dopff, freue er sich über den Wolf. Doch die Stimmung sei aufgeheizt. Viele Nutztierhalter verfielen in Panik, aufgestachelt durch schießwütige Jäger. Umweltschützer auf der anderen Seite begrüßten die Wölfe mit offenen Armen. »Die Regierung schaut zu, wie sich die Leute zerfleischen. In der Diskussion fehlt jegliche Sachlichkeit.«
Doch wie gefährlich ist der Wolf wirklich? Dopff sagt, bisher hätten seine 40 Ziegen Glück gehabt. Damit das so bleibt, hat er sich zwei Schutzhunde angeschafft, die die Herde verteidigen sollen. »Klappt noch nicht ganz«, sagt Dopff. »Die Hunde sind jung, manchmal kriechen sie unter dem Elektrozaun durch und laufen auf die Straße. Eigentlich müsste es Kurse geben, in denen wir lernen, wie man sie ausbildet.« So aber surfe er jeden Abend stundenlang im Internet, um sich die Schutzhund-Ausbildung selbst beizubringen. Immerhin: Ein Schild, das Spaziergängern den Umgang mit den Tieren erklärt (»nicht streicheln«), hat der Staat bezahlt.
Im 40 Kilometer entfernten Dorf La Bresse hat der Wolf schon mehrfach zugeschlagen. Als der Tierhalter Jean-Yves Poirot im Fernsehen die Bilder von blutigen toten Schafen zeigte, versetzte das viele Landwirte in Panik. Weidezäune, Schutzhunde, Absperrungen? »Zu aufwendig und am Ende doch wirkungslos«, urteilte Poirot, dessen Tiere auf weiter Fläche verteilt sind.
Biobauer Dopff sieht das anders. »Ich habe Freunde in Polen«, sagt er, »die mit dem Wolf schon länger zusammenleben.« Wenn Förster, Jäger und die Behörden kooperierten, stelle der Wolf kein Problem dar. »Man muss vernünftig diskutieren und Lösungen finden«, appelliert Dopff. Schließlich habe die Menschheit – und die Landwirtschaft – schon ganz andere Probleme gemeistert. »Viel schlimmer«, sagt er, »sind frei laufende Hunde. Mit denen haben wir mehr Ärger als mit jedem Wolf.«
Solche Worte stoßen bei Jean-Paul Lacôte auf offene Ohren. Der 70-Jährige leitet den Umweltverband »Alsace Nature« am Oberrhein. »Das Gewehr ist nie die Lösung«, betont Lacôte, zumal der Wolf für die Natur äußerst nützlich sei. »Er hilft, krankes und überschüssiges Wild zu reduzieren. Eigentlich müssten sich die Jäger über seine Hilfe freuen.« Noch immer sei aber die Mär vom »bösen Wolf« in den Köpfen verankert, klagt Lacôte. »Dabei ist ein Leben mit diesen schönen Tieren möglich.«
Am Abend dreht Biobauer Francis Dopff eine letzte Runde um seine Felder. Als er dem Zaun näher kommt, strömen Ziegen und Schutzhunde herbei. Dopff nickt zufrieden; die Hunde sind hinter dem Elek-trozaun geblieben. »Bravo!«, ruft er ihnen zu. Die stundenlange Internet-Recherche hat sich ausgezahlt.
So werden Bauern für Wolfsrisse entschädigt
Europaweit ist der Umgang mit dem Wolf unterschiedlich geregelt. Auch innerhalb der Bundesrepublik gibt es keine einheitlichen Gesetze. So mancher Nutztierhalter muss für Schutzmaßnahmen deshalb tief in die Tasche greifen, während andere vom Staat unterstützt werden.
◼ Frankreich: Wenn ein Wolf ein Nutztier reißt, wird der Halter entschädigt. Für »Nebenschäden« (Verdienstausfall, Rückgang der Milchleistung bei traumatisierten Tieren) müssen Landwirte selbst aufkommen, ebenso für die Anschaffung von Schutzzäunen und Schutzhunden. Das Forstamt stellt Schilder zur Verfügung, die Spaziergänger vor den Schutzhunden warnen.
◼ Deutschland: Eine Entschädigungspflicht gibt es nicht. In Baden-Württemberg existiert beispielsweise ein mit 10 000 Euro gefüllter Fonds, aus dem Landwirte entschädigt werden. In den Fonds zahlen Naturschutz- und Jagdverbände sowie das Land ein. Herdenschutz-Maßnahmen werden zu 70 bis 90 Prozent bezuschusst.
»Wir gehen nicht davon aus, dass zurzeit Wölfe in Baden-Württemberg leben«, sagt Reinhold Schaal, Artenschutzreferent im Stuttgarter Ministerium für Ländlichen Raum. »Trotzdem müssen wir für ihn werben.« Sollte sich der Wolf tatsächlich ansiedeln, wolle man den Fonds entsprechend vergrößern. prz