Interview des Tages mit dem Chef des Staatsgerichtshofes

Eberhard Stilz: Gerechtigkeit steht über der Macht

Christoph Rigling
Lesezeit 6 Minuten
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11. September 2014
»Zu den Grundfesten unseres modernen Rechtsstaates gehört die Gewaltenteilung und damit die Unabhängigkeit der Justiz. Kein vernunftbegabter Mensch sollte daran rütteln wollen.« Eberhard Stilz, Präsident des Staatsgerichtshofes und ehemaliger Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, gegenüber der Mittelbadischen Presse zur möglichen Einflussnahme der Politik auf die Justiz. Der 65-Jährige spricht morgen, Freitag, im Offenburger Salmen über die 13 Forderungen der Offenburger Versammlung von 1847.

»Zu den Grundfesten unseres modernen Rechtsstaates gehört die Gewaltenteilung und damit die Unabhängigkeit der Justiz. Kein vernunftbegabter Mensch sollte daran rütteln wollen.« Eberhard Stilz, Präsident des Staatsgerichtshofes und ehemaliger Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, gegenüber der Mittelbadischen Presse zur möglichen Einflussnahme der Politik auf die Justiz. Der 65-Jährige spricht morgen, Freitag, im Offenburger Salmen über die 13 Forderungen der Offenburger Versammlung von 1847. Die Veranstaltung gehört zum Offenburger Freiheitsfest und ist kostenfrei.

Die badischen Revolutionäre von 1847 forderten eine Bürgergerichtsbarkeit. Gleiches Recht für alle. Eberhard Stilz, Präsident am Staatsgerichtshof von Baden-Württemberg, spricht am Freitag, 12.September, ab 20 Uhr im Offenburger Salmen über dieses Thema. Im Interview mit der Mittelbadischen Presse macht Stilz klar, dass sich Recht weiterentwickeln muss – vor allem in Richtung Bürgerbeteiligung.

In den 13 Offenburger Forderungen von 1847 geht es neben Freiheitsrechte auch um praktische Dinge  wie eine Volksgerichtsbarkeit. Wird heute wirklich durch das Volk und in dessen Namen geurteilt?

Stilz:
Alle Urteile in Deutschland ergehen »Im Namen des Volkes« und nicht nur Berufsrichter, sondern in vielen Fällen  auch Laien, sind an der Rechtsprechung beteiligt. Aber die Rechtsprechung gänzlich Laien zu überantworten, würde heute niemand mehr wollen. Das wäre schon mit der Bindung an Recht und Gesetz nicht wirklich zu vereinbaren, wäre also undemokratisch, und es würde der Willkür Tür und Tor öffnen.

Manchmal hat der Bürger jedoch den Eindruck, dass mit zweierlei Maß gemessen oder unverhältnismäßig geurteilt wird. Ist das jetzt mehr Folklore oder sind deutsche Gerichte tatsächlich immer gerecht?
Stilz:
Niemand ist immer gerecht.
Es ist schon viel, wenn wir immer nach Gerechtigkeit streben und uns unserer Vorurteile und Fehlergeneigtheit stets bewusst zu werden versuchen. Ich will aber auch anfügen: Wenn man die Leistung eines Gerichts objektiv beurteilen wollte, dann darf man eine mehrtägige Verhandlung und viele hundert oder tausend Aktenseiten nicht nach einigen wenigen kurzen Medienberichten bewerten.

Ich denke jetzt an den Fall Mollath – der ist unfassbar und bestimmt kein Einzelfall.

Stilz:
Ich kenne diesen Fall jedenfalls nicht so genau, dass ich alles wirklich beurteilen könnte. Aber ziemlich sicher bin ich mir, dass es sich um eine sehr seltene Ausnahmekonstellation handelt.

Wie lässt sich so etwas in den Griff bekommen?

Stilz:
Die objektivste und wirksamste Möglichkeit sind Rechtsmittel. Und da diese im Lauf der Jahrzehnte immer wieder reduziert worden sind, ist der Ausnahmerechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde, den es jetzt ja auch im Baden-Württemberg gibt, so wichtig geworden.

Genau, seit April 2013 können Bürger ihre Grundrechte beim Staatsgerichtshof von Baden-Württemberg einklagen. Also ganz so gerecht kann es nicht zugehen im Südwesten.
Stilz:
Im Gegenteil. Dass es Gerichte und Rechtsbehelfe gibt, spricht nicht gegen, sondern für einen gerechten Staat. Und wenn ein Staat seinen Bürgern die Möglichkeit einräumt, auch gegen ihn selbst seine Verfassungsrechte durchzusetzen, dann stellt er Gerechtigkeit höher als Macht.

Hat diese Grundrechtsklage etwas mit grün-roten Überlegungen des »Gehörtwerdens« zu tun?

Stilz:
Die Einführung hatte im Parlament eine breite Mehrheit gefunden. Der Bürger kann sich damit in der Tat in bestimmten Fällen Gehör verschaffen und sich gegen Verfassungsverstöße zur Wehr setzen.

Sie sind der Meinung, dass man das braucht?
Stilz:
Ich war schon lange dieser Meinung und ich bin es nach mehr als einem Jahr Erfahrung damit noch mehr.
Es reicht nicht, bei so grundsätzlichen Fragen nur »nach Karlsruhe«, also an den Bund, zu verweisen. Schließlich hat unser Land selbst Staatsqualität, hat ein eigenes Parlament, eine Regierung und eine Verfassung. Für deren Einhaltung durch Organe des Landes sollten auch Gerichte des Landes sorgen.

Sind schon viele Klagen eingegangen?

Stilz:
Wir hatten mit 100 bis 130 Beschwerden pro Jahr gerechnet und haben diese Zahl im ersten Jahr mit 135 Beschwerden ziemlich genau erreicht.

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Und die Inhalte?
Stilz:
Es ist eine bunte Mischung von Vorbringen gegen Behörden, Gerichte oder Gesetze. Leider werden in vielen Fällen die Zulässigkeitsvoraussetzungen, wie sie beispielsweise auf unserer Homepage eingehend beschrieben sind, nicht hinreichend beachtet. Wir haben als Verfassungsgericht aber nicht die Wahl, ob wir uns mit unzulässigen Beschwerden befassen wollen oder nicht. Vielmehr gebietet auch unsere Rechtsbindung, dass wir uns in der Sache nur mit solchen Beschwerden befassen, die zulässig sind.

Auf was müssen die Bürger besonders achten?
Stilz:
An erster Stelle steht die sogenannte Rechtswegerschöpfung. Zunächst müssen die zuständigen Fachgerichte angerufen und muss dort der Rechtsweg ausgeschöpft, also alle zulässigen Rechtsmittel ergriffen werden. Die Verfassungsbeschwerde kann nur am Ende stehen. Sie darf zudem nur einen spezifischen Verfassungsverstoß geltend machen und dies ist sorgfältig und unter Vorlage aller Unterlagen darzulegen. Hinweisen möchte ich schließlich darauf, dass auch eine Verfassungsbeschwerde fristgebunden ist; im Normalfall ist sie binnen eines Monats, bei der Beschwerde gegen ein Gesetz binnen eines Jahres einzulegen und zu begründen, und zwar, ich wiederholen es, mitsamt allen Unterlagen.

Kommen wir nochmals auf die Unabhängigkeit der Gerichte zurück. Wie groß ist der Einfluss der Politik auf den Staatsgerichtshof?

Stilz: Es gibt ihn nicht. In Deutschland ist der Respekt vor Justiz und Verfassungsgerichtsbarkeit Gott sei Dank noch so hoch, dass kein Politiker auch nur versuchen würde, Einfluss zu nehmen.  Und wenn Sie die Wahl der Verfassungsrichter durch das Parlament meinen, darf ich darauf hinweisen, dass diese in aller Regel mit einer sehr großen Mehrheit erfolgt. Und sie ist erforderlich, weil auch Gerichte nicht außerhalb der Demokratie stehen.

Für das EnBw-Urteil gab es kräftig Hiebe von der CDU. Ihr Gericht hat den EnBW-Rückkauf für verfassungswidrig erklärt. Steckt man das als Richter weg? 

Stilz:
Ganz vereinzelt habe ich in den Medien von Kritik gelesen. Angesprochen hat mich niemand. Es hätte mich auch nicht gerührt, sondern nur gewundert.

Sie sprachen nach den kritischen Wortmeldungen aus der CDU davon, dass so etwas an den Grundfesten des Staates rüttelt.
Stilz:
Zu den Grundfesten unseres modernen Rechtsstaates gehört die Gewaltenteilung und damit die Unabhängigkeit der Justiz. Kein vernunftbegabter Mensch sollte daran rütteln wollen.

Wie die vergangenen 167 Jahre Geschichte gezeigt haben, entwickelt sich Recht. Was ist künftig vorstellbar?
Stilz:
Recht entwickelt sich, weil sich entwickelt, was es zu regeln und zu ordnen hat: unser Zusammenleben. Ein Schlagwort einer möglichen künftigen Entwicklung ist die »Ethisierung des Rechts«, also das bessere Nachdenken darüber, wie Ethik und Recht zusammengehen. Ein wichtiger Trend scheint mir auch die Bürgerbeteiligung zu sein, wie sie schon im Salmen angelegt war.

Wo sollten der Bürgerbeteiligung Grenzen gezogen werden?
Stilz:
Sie darf Entscheidungen nicht verschleppen, oft sind auch rasche Entscheidungen ein wichtiger Wert; das gilt übrigens auch für Gerichtsentscheidungen. Und sie darf Verantwortung nicht verwischen; am Ende trägt die zuständige staatliche Stelle die volle Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und Sachgerechtigkeit ihrer Entscheidung.

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