Interview des Tages: Sandra Boser

Grüne Boser lobt die Südwest-CDU

Christoph Rigling
Lesezeit 7 Minuten
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21. September 2016
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Sandra Boser sitzt seit 2011 für die Grünen und den Wahlkreis Lahr/Kinzigtal im Landtag von Baden-Württemberg. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. Die 40-Jährige wohnt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Wolfach. ©Iris Rothe

Ruhig ist es geworden in der Schulpolitik in Baden-Württemberg. Trotzdem sind die Probleme drängender denn je. Die grüne Schulexpertin und Landtagsabgeordnete Sandra Boser (Lahr/Wolfach) erklärt im Interview bei der Mittelbadischen Presse, wie die Defizite der Schüler in den Bereichen Rechtschreibung, Rechnen und Naturwissenschaften behoben werden können.
 

Sind Sie glücklich mit der schwarzen Kultusministerin und dem schwarzen Staatssekretär?
Sandra Boser:
Ich bin mit beiden glücklich, wenn sie ihre Aufgaben gut erfüllen. Wir brauchen weiter eine innovative Bildungspolitik.

Wäre der Staatssekretärsposten von Volker Schebesta aus Offenburg nichts für Sie gewesen?
Boser:
So ein Amt sucht man sich nicht aus, dafür wird man berufen. Es war in der Hand der CDU, den Posten zu vergeben. Insofern habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht.

Jetzt mal ehrlich, wie ist die Zusammenarbeit im Bildungsbereich angelaufen?
Boser:
Ich war bei den Koalitionsverhandlungen dabei und die verliefen gut. Die persönliche Ebene passt. Ich bin auch mit der Koalition zwischen Grünen und der CDU zufrieden. Für die aktuelle politische Konstellation im Land ist das Bündnis eine gute Lösung. Wir werden uns sicherlich bei Themen wie beispielsweise der inneren Sicherheit reiben. Aber das ist gut so.

Das sieht alles viel harmonischer aus als 2011 mit der SPD. Täuscht der Eindruck?
Boser:
Interessanterweise habe ich auch den Eindruck. Die CDU hat offensichtlich die Wahlniederlage leichter verdaut als die SPD 2011. Die SPD hat lange daran geknabbert, dass sie nicht den Regierungschef gestellt hat. Ich glaube, damit hat sich die CDU schnell abgefunden.

Vor allem das Thema Schule war zu Beginn von Grün-Rot heftig umstritten. Sogar eine Kultusministerin musste gehen. Warum ist unter Grün-Schwarz alles so gelassen und sachlich?
Boser:
Es gibt keine Schulstrukturdebatte mehr. Niemand wollte diskutieren, welche Schulart die beste ist. Es war allen Beteiligten klar, dass es darum gehen muss, wie kann Schule weiterentwickelt werden und was macht gute Schule aus. Der ideologische Streit ist beiseitegelegt worden. Ich rechne es der CDU hoch an, dass sie nichts zurückdrehen wollte.

Die CDU war ja letztlich für die Gemeinschaftsschulen, auch wenn sie es nicht zugeben hat.
Boser:
Sicherlich gab es starke Befürworter, aber die Gegner waren auch da. Die CDU war da gespalten.

Sie setzen gemeinsam mit der CDU auf mehr Qualität im Unterricht. Wie soll das gehen?
Boser:
Die »Vera 8«-Studie hat gezeigt, dass die Schüler an allen Schularten Nachholbedarf bei Rechtschreibung und Mathematik haben. Bereits 2012 hat die IQB-Studie gezeigt, dass es  Schwächen in den Naturwissenschaften gibt. Es ist daher schon länger ein Thema, dass wir die Qualität an den Schulen in Baden-Württemberg in den Blick nehmen müssen. Und es lässt sich nicht an Schularten festmachen. Vera 8 hat gezeigt, dass innerhalb der Schularten  große Unterschiede da sind. Wir müssen uns fragen, woran das liegt.

Und, woran?
Boser:
Dem wollen wir intensiv nachgehen. Was brauchen die Lehrer für eine Ausbildung, um guten Unterricht zu halten? Hängt es vielleicht mit den Räumlichkeiten oder den Lernmaterialien zusammen? Wir werden uns alles genau anschauen und mit allen Beteiligten diskutieren.

Probleme gibt es beim Lesen, Schreiben und Rechnen in Baden-Württemberg. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Boser:
Es gibt Leute, die wollen die Ursache in den Grundschulen sehen. Aber das greift zu kurz. Unsere Grundschulen leisten großartige Arbeit, die wir stärker unterstützen müssen. Ein erster Schritt sind mehr Stunden in Deutsch und Mathe ab diesem Schuljahr. Wir müssen sehen, dass beispielsweise in den Realschulen viele Schüler gymnasialfähig sind. Da gibt es viel zu beobachten, so dass ich vorab keine Analyse wagen möchte.

Ich versuche es mal andersherum. Liegt das Problem nicht nur in der Schule?
Boser:
Natürlich müssen auch im Elternhaus Gründe für diese Entwicklung gesucht werden. Die Freizeitaktivitäten der Kinder bewegen sich immer mehr Richtung iPad und Computerspiele. Deshalb wollen wir im Unterricht die Medienkompetenz der Schüler stärken. Das Lesen oder Vorlesen zuhause nimmt ständig ab. Die Voraussetzungen, die die Kinder mit in die Schule bringen, müssen betrachtet werden. Klar ist, es lässt sich nicht alles auf die Schule schieben.

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Ausbildungsbetriebe und Hochschule beklagen immer häufiger, dass viele junge Leute der deutschen Sprache nicht mächtig sind – sogar mit Abitur ...
Boser: ...
erschreckend, nicht wahr?

Ja.
Boser:
Und die waren lange an den Schulen. Da müssen wir genau hinschauen, was sich in den vergangenen 20 Jahren alles verändert hat. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es überragende Leistungen gibt.

Will die Politik einfach zu viele Leute Richtung Abitur bringen, die gar nicht dazu in der Lage sind?
Boser:
Die Anforderungen haben sich ja nicht verändert, wer das Abitur erreicht, muss davor die Prüfungen geschafft haben.

Dann sind die Leute schlauer geworden?
Boser:
Mehr Leute trauen es sich zu, das Abitur anzuvisieren. 1990 sind 40 Prozent auf die Hauptschule oder Werkrealschule gewechselt, obwohl da auch welche dabei waren, die das Gymnasium geschafft hätten. Heute liegt der Anteil derer, die aufs Gymnasium gehen, bei 44 Prozent. 1990 war er bei 39 Prozent Der Anteil hat sich nicht so stark verändert. 

Wenn die Anforderungen nicht gesunken sind und es keine Abiturientenschwemme gibt, warum klagen dann Wirtschaft und Ausbildungsbetriebe über das Bildungsniveau der Abiturienten?
Boser:
Dieser Zusammenhang zeigt, wie wichtig es ist, den Ursachen für die Schwächen auf den Grund zu gehen.

Sie haben die Bedeutung der Grundschule herausgestellt. Grundschullehrer verdienen im Vergleich zu Gymnasiallehrern relativ wenig, obwohl gerade in der Grundschule die Grundlagen für das Lernen gelegt werden. Sehen Sie da Korrekturbedarf?
Boser:
Das Thema Bezahlung sind wir zumindest zum Teil angegangen. Inzwischen steigen alle Lehrer im Sekundarbereich in A13 ein. Egal an welcher Schule sie sind, das ist ein erster richtiger Schritt.

Das gefällt den Grundschullehrern mit ihrer A12-Besoldung bis zum Lebensende natürlich nicht.
Boser:
Ich fände es gut, auch Grundschullehrer in A13 einzustufen. Aber das lässt sich derzeit im Haushalt nicht darstellen. Es hat schlichtweg am Geld gefehlt. Schulleiter an kleinen Grundschulen erhalten jetzt zehn statt bisher sieben sogenannte Schulleiterstunden. Ein Schritt, mit dem wir die Schulleitungen stärken.

Apropos fehlende Mittel: Es gibt bis 2020 ein strukturelles Defizit von 2,8 Milliarden Euro im Haushalt. Müssen Beamte dafür bluten?
Boser:
Wichtig ist, dass der Haushalt bis 2020 ausgeglichen ist. Ab da tritt die Schuldenbremse in Kraft. Nachhaltige Haushaltspolitik ist mir seit Beginn meiner Parlamentstätigkeit wichtig gewesen. Wir müssen aber in der Lage sein, Politik zu gestalten und nicht alles kaputtzusparen. Im kommenden Haushalt sollen 800 Millionen Euro eingespart werden. Wir müssen schauen, wie wir das hinbekommen. Die vierprozentige Kürzung bei der Eingangsbesoldung wollen wir bei Beamten schrittweise wieder zurücknehmen. Das war nicht gut. Trotzdem sind die Beamten der größte Posten im Haushalt. Es wird auf jeden Fall Gespräche mit dem Beamtenbund geben, aber auch mit den Kommunen, die 400 von den 800 Millionen Euro einsparen müssen.

Steuererhöhungen?
Boser:
Die CDU will keine Erhöhung der Grunderwerbssteuer. Ich bin mir aber sicher, dass wir in dieser Legislaturperiode über Steuererhöhungen nachdenken müssen, wenn wir weiter in die Zukunft investieren wollen. Es ist ja nicht alles gut im Land: Wir brauchen mehr Polizisten, bessere Straßen und Schulen.

Waren die Nebenabsprachen ein Fehler?
Boser
: Nein. Für diese Koalition war das richtig. Bei einer neuen Regierung macht es Sinn, sich auf Regeln zu einigen. Zudem gehen die Absprachen nicht über den Koalitionsvertrag hinaus. Am Ende muss alles durch die Fraktionen im Parlament bestätigt werden. Also, das Ganze ist kein Problem.

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