"Ich kämpfe dafür, dass sie ihren Weltrang behält"
Die grenzüberschreitende Kooperation mit den Universitäten von Deutschland und der Schweiz am Oberrhein stellt für Michel Deneken, neuer Straßburger Uni-Präsident, einen Trumpf beim weltweiten Wettbewerb der Hochschulen dar. Es gelte auch, den Euroskeptizismus zu bekämpfen, betont er im Interview.
Herr Deneken, Sie wurden jetzt als Nachfolger von Alain Beretz zum neuen Präsidenten der Universität Straßburg gewählt. Diese zählt mit fast 50 000 Studenten zu den größten Hochschulen Frankreichs. Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die Weiterentwicklung?
Michel Deneken: Ich kämpfe dafür, dass die Straßburger Universität ihren Weltrang behält. Wir wurden – gemeinsam mit Bordeaux und Marseille – im vergangenen Juni endgültig als Exzellenz-Universität anerkannt, wobei wir den ersten Platz im Ranking hatten. Straßburg bekommt so längerfristig jedes Jahr einen Betrag von 25 Millionen Euro zusätzlich. Wichtig ist insbesondere, herausragende Forschungsaktivitäten mit einer sehr guten Lehre zu verbinden.
Recht viele Forscher Ihrer Universität – besonders aus dem naturwissenschaftlichen und medizinischen Bereich – wurden in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Nobelpreis geehrt. Sind diese Fäche Ihre Spezialität?
Deneken: Seit der Neugründung zur Zeit der Deutschen im 19. Jahrhundert hatten wir nicht weniger als 18 Nobelpreisträger. Vier sind nach wie vor hier tätig. Obwohl unter den Preisträgern viele Chemiker und Physiker sind, bilden wir natürlich eine Volluniversität und bieten alle Fächer an. Übrigens kommen zu uns nicht nur »normale« Studenten direkt nach dem Gymnasium. Wir haben auch Leute ohne Abitur, die – entsprechend etwa der dualen Ausbildung in Deutschland – nach Unterzeichnung eines Vertrags mit einer Firma eine Berufsausbildung absolvieren. In diesen Fällen wird die Berufserfahrung anerkannt.
Die Universitäten stehen in einem weitweiten Wettbewerb um die besten Köpfe. Was kann denn die Straßburger Uni besser als andere?
Deneken: Wir profitieren stark von der Grenzlage und unseren engen Beziehungen zu deutschen und schweizerischen Universitäten. Im vergangenen Jahr haben wir deswegen mit den vier anderen Unis am Oberrhein – Karlsruhe, Freiburg, Basel und Mulhouse/Colmar – den »European Campus« gegründet, um die Zusammenarbeit in Forschung und Lehre zu intensivieren. Wichtig ist auch die starke Bedeutung der Pluridisziplinarität bei der Forschung, die Zusammenarbeit von Vertretern verschiedener Fachrichtungen. Sie sehen also, dass wir in jeder Hinsicht Grenzen überschreiten. So können wir auch verhindern, dass hoch qualifizierte Wissenschaftler nach Princeton oder Harvard abwandern.
Können Studenten pluridisziplinäre Studiengänge absolvieren?
Deneken: Das ist seit einiger Zeit möglich. Wir bieten seit vier Jahren etwa einen pluridisziplinär orientierten Bachelor in Humanwissenschaften an. Da gibt es Module für die Fächer Geschichte, Philosophie, für moderne Sprachen und andere Bereiche.
In Deutschland wird kritisiert, dass die Ausbildung an den französischen Unis oft zu theoretisch und praxisfern sei. Stimmt das?
Deneken: Diese Kritik ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Da haben wir noch nachzuarbeiten – auch was die Pädagogik betrifft. Ein Professor muss heute nicht nur viel von seinem Fach verstehen, sondern benötigt auch pädagogische Kenntnisse, zumal die Studentenschaft immer heterogener wird. Ferner brauchen wir einen engeren Bezug zu der Berufswelt, auf die wir ja die Studenten vorbereiten wollen. Das ist auch im Interesse der Unternehmen, die von unserer Forschung profitieren.
Wie sieht es mit der Durchführung von Praktika aus?
Deneken: Bei den meisten Masterstudiengängen sind ja ohnehin Praktika in Unternehmen oder Institutionen vorgeschrieben. Die finden übrigens teilweise auch in Deutschland statt – beispielsweise bei den Wirtschaftswissenschaften. In den Geisteswissenchaften ist das naturgemäß etwas schwieriger, aber da gibt es auch Möglichkeiten.
Die Straßburger Uni verfügt über einen »Espace Avenir« für die Studenten. Kann man das als eine Art Berufsberatung sehen?
Deneken: Ja. Eigentlich sollte eine ausführliche Berufsberatung schon am Gymnasium erfolgen. Das gelingt aber nicht immer. So haben wir uns vor einigen Jahren entschlossen, diesen »Espace Avenir« einzurichten. Da nutzen wir auch unsere Kontakte zur Wirtschaft.
Gibt es Unterschiede zwischen deutschen und französischen Universitäten?
Deneken: Bei uns in Frankreich ist der Zentralismus immer noch sehr stark. Die Hochschulen sind – auch finanziell – ganz auf Paris ausgerichtet, während in Deutschland für die Unis die Bundesländer die Hauptansprechpartner sind. Ferner beobachte ich, dass die deutschen Hochschulen mehr Autonomie haben als wir.
Die Straßburger Universität steht in Konkurrenz zu den prestigeträchtigen Elitehochschulen – wie die Verwaltungshochschule »École Nationale d’Administration« in Straßburg. Können Sie sich da behaupten?
Deneken: Die Unterschiede zwischen den beiden Hochschulen verschwinden allmählic. Wir wissen, dass mehr als 50 Prozent der Gymnasiasten eher an einer Elitehochschule als an einer normalen Universität studieren wollen. Ich denke aber, die Attraktivität der Universitäten hat zugenommen, zumal bei uns deutlich mehr geforscht wird.
Sie erwähnten den 2016 gegründeten »European Campus«. Haben sich Ihre Hoffnungen erfüllt?
Deneken: Das ist eine Plattform zur Förderung grenzüberschreitender Initiativen für Wissenschaftler und Studierende. Es wurden schon viele trinationale Forschungsprojekte durchgeführt.
Profitieren Studenten vom »European Campus«?
Deneken: Ja. Es geht in der Hauptsache um grenzüberschreitende Studiengänge. Ich denke da etwa an den trinationalen Master in Altertumswissenschaften, den Master in deutsch-französischer Journalistik oder an den jährlich durchgeführten Workshop »Eucor English Master Conference«. Es gibt jedoch manchmal Probleme, da die Unis in Deutschland, Frankreich und der Schweiz nicht denselben Rhythmus haben. Außerdem bringen Studienaufenthalte für Studenten im Nachbarland auch Mehrkosten mit sich. Wir brauchen mehr Stipendien. Man sollte aber diese Zusammenarbeit verstärken. Sie dient ja auch dazu, den Euroskeptizismus zu bekämpfen.
Das ist ein gutes Stichwort: Haben Sie Angst, dass in Frankreich die Stimmung kippt? Der EU-Feindin Marine Le Pen vom Front National werden bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl ja gute Chancen eingeräumt.
Deneken: Die Stimmung ist schon am Kippen. Die Hälfte de Kandidaten für die Wahl ist euroskeptisch oder -kritisch – entweder im linken oder rechten Spektrum. Das liegt wohl daran, dass es an konkreten Projekten fehlt. Das ist für die Unis gefährlich. Wir sollen doch Brücken bauen und Mauern abreißen, nicht aber neue Barrieren errichten.
Sie sind gebürtiger Straßburger. Wie haben Sie Deutschland kennengelernt?
Deneken: Mein Vater war im Zweiten Weltkrieg ein Zwangsrekrutierter bei der deutschen Wehrmacht. Später fühlt er sich aber als Freund seines Nachbarlandes. Schon als Kind habe ich bei Besuchen in Kehl, Offenburg und im Schwarzwald Deutschland kennengelernt. Das ging bis hin zu alltäglichen Erfahren, als ich damals feststellte, dass Langnese-Eis oder Ritter-Sport-Schokolade in Kehl viel billiger war als in Straßburg. Und als Theologe bin ich Deutschland ohnehin sehr verbunden, es ist quasi das gelobte Land der Theologie. Wissenschaftler wie Karl Rahner, Eberhard Jüngel oder Jürgen Moltmann haben einen internationalen Ruf. Und das Werk Martin Luthers ist – das sage ich als katholischer Geistlicher – eine Pflichtlektüre.
Die Straßburger Universität
Die Straßburger Universität geht auf die Gründung eines protestantischen Gymnasiums 1538 durch den Humanisten Jean Sturm zurück. Im 17. Jahrhundert erfolgte die Ernennung zur Universität. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Deutschen Straßburg annektiert hatten, erfolgte eine Neugründung. Damals wurden der Universitätspalast und andere Gebäude errichtet. Die Straßburger Uni in ihrer heutigen Form wurde 2009 durch die Fusion von drei Hochschulen gebildet. 20 Prozent der knapp 50 000 Studenten kommen aus dem Ausland.