»Keine Abschottung, sondern Regionalisierung«
Matthias Wanner (31) beschäftigt sich schon lange mit Transition Towns. Der Nachhaltigkeitsforscher arbeitet derzeit am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Von 2011 bis 2014 hat er Transition-Initiativen als Trainer beraten; von 2013 bis 2016 arbeitete er als Referent im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung (»Globale Umweltveränderung«).
Herr Wanner, was ist überhaupt eine Transition Town?
Wanner: Das ist eine Initiative, die sich mit ökologischen und sozialen Themen auseinandersetzt. Eine Transition-Initiative versucht, die großen Probleme durch einen kulturellen Wandel zu lösen: weniger Strom und Wasser verbrauchen, sparsamer mit Ressourcen umgehen, Geräte auch mal reparieren.
Gibt es auch Städte, die diese Politik ganz offiziell verfolgen – so wie Ungersheim?
Wanner: Die gibt es, aber es sind nur ganz wenige. Man darf Transition Towns nicht mit offiziellen Labels wie »Fair-Trade-Stadt« oder »Green City« verwechseln. Es handelt sich hier um eine zivilgesellschaftliche Bewegung, weshalb die Umsetzung je nach Stadt ganz unterschiedlich ausfällt: Manche setzten voll und ganz auf »Urbanes Gärtnern«, andere probieren Genossenschaftsmodelle oder lokale Währungen aus. Ungersheim ist also schon etwas Besonderes, weil der Bürgermeister aktiv mitmacht.
Welche Transition Towns sind in Deutschland besonders erfolgreich?
Wanner: Da gibt es einige, zum Beispiel Bielefeld, Kassel, Dresden, Witzenhausen, Nürnberg, Göttingen oder Hannover. Dort gibt es einen regen Austausch zwischen den Bürgern und den Stadtverwaltungen. Auch Bonn und Greifswald sind weit vorne.
Was ist die größte Hürde bei der Umsetzung der Transition-Town-Idee?
Wanner: Über das Anfangsstadium hinauszukommen. Die Initiativen müssen sich darüber im Klaren sein, welche Themen sie bearbeiten wollen und dazu auf eine gute Gruppendynamik achten – also eine Mischung aus Professionalität und Lockerheit. Zum Glück gibt es gute Leitfäden, die sich neue Gruppen im Internet anschauen können. Da muss man das Rad nicht jedes Mal neu erfinden.
In Ungersheim wollen sich die Einwohner komplett selbst versorgen. Wie soll so etwas bei Großstädten funktionieren?
Wanner: (lacht) Das ist nicht mal bei Kleinstädten einfach. Aber es geht auch gar nicht darum, sich ein starres Ziel zu setzen. In Großstädten lassen sich die Vorhaben am besten umsetzen, indem man viele kleine Initiativen gründet – London hat 40. Man lernt seine Nachbarn kennen, fragt sich, wie das Zusammenleben in zehn Jahren aussehen soll, und wird von der Gewissheit getragen: »Wir können etwas erreichen.«
Ein afrikanischer Kleinbauer hat herzlich wenig davon, wenn sich ein Dorf in Europa seinen eigenen Wirtschaftskreislauf schafft. Wie kann eine Transition Town da fair und sozial sein?
Wanner: Transition Towns wollen keine Abschottung, sondern eine stärkere Regionalisierung. Gegen die massiven EU-Agrarsubventionen für industrielle Landwirtschaftsprodukte hat der afrikanische Kleinbauer sowieso keine Chancen. Transition Towns setzen sich für Nachhaltigkeit zunächst einmal vor der eigenen Haustür ein. Das kann aber durchaus positive strukturelle Folgen haben – zum Beispiel wenn sich die Art der Nahrungsmittelproduktion vor Ort verändert. Davon hat auch der afrikanische Kleinbauer etwas, weil seine Lebensgrundlage nicht beeinträchtigt wird.
Wie stark wird die Bewegung in den nächsten Jahren noch wachsen?
Wanner: Mein Gefühl ist, dass es in vielen Gemeinden Menschen gibt, die ähnlich denken. Ob die sich nun Transition Town oder Öko-Dorf nennen, ist zweitrangig. Natürlich schlafen auch Gruppen ein, wenn sie frustriert sind, dass nicht alles gleich klappt, was sie sich vorgenommen hatten. Aber insgesamt bin ich optimistisch, weil es inzwischen viel Ansporn von offizieller Seite gibt. So wie in Ungersheim. Steve Przybilla