Interview

Landtagswahl 2016: Riexinger will mehr Lehrer einstellen

Nikolas Sohn
Lesezeit 7 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
22. Februar 2016

Im Falle eines Einzugs in den Stuttgarter Landtag will Bernd Riexinger, »Die Linke«-Kandidat und zugleich Bundes­parteivorsitzender, eine doppelte Funktion ausüben. ©Iris Rothe

»Die Linke« schickt am 13. März Bundeschef Bernd Riexinger und die Mannheimer Stadträtin Gökay Akbulut (33) als Spitzenkandidaten ins Rennen. Manchen Umfragen zufolge wäre die Partei mit gut fünf Prozent erstmals im Landtag vertreten. Im Interview mit der Mittelbadischen Presse macht der 60-jährige Riexinger klare Ansagen: Er will Vermögende stärker zur Kasse bitten und mehr Lehrer einstellen – auch für mehr Deutschkurse.

Herr Riexinger, Sie wollen mit linker Politik ausgerechnet im CDU-Stammland Baden-Württemberg mitmischen. Wie soll das gehen?
Bernd Riexinger: Ja, man sieht ja, dass das CDU-Stammland gar keins mehr ist. Viele Leute haben ja auch gelernt, dass sie bei der CDU nicht so gut aufgehoben sind. Ich glaube, dass wir in Baden-Württemberg auch eine Menge Leute haben, die eine Politik der sozialen Gerechtigkeit wollen – zum Beispiel für Arbeit, von der man leben kann.

Im Grunde haben die »Linken«, also auch die SPD, in Baden-Württemberg ein ähnliches Problem ... 
Riexinger:
Wir haben nicht das gleiche Problem. Ich glaube, dass wir konsequenter sind. Beispielsweise verspricht die SPD gebührenfreie Kitas, hält dieses Versprechen dann aber nicht. Vor den Wahlen hat sie immer ein soziales Programm, das sie aber während des Regierens vergisst und sich anpasst. Das Problem ist einfach, dass Minister Schmid fast mit nichts anderem als mit der schwarzen Null verbunden wird und es nicht geschafft hat, das soziale Gewissen dieser Regierung zu sein. Da würde ich jetzt umgekehrt den Schluss daraus ziehen: Wenn es keine Linke gibt, die Druck macht für soziale Politik oder ein anderes Programm, dann machen eben alle das Gleiche.

Allerorten dominiert das Thema Flüchtlinge. Wo setzen Sie da mit sozialer Gerechtigkeit an, die Sie sich auf die Fahnen geschrieben haben?
Riexinger:
Erstens: Die Kommunen können das nur stemmen, wenn sie wirklich massiver von Bund und Land unterstützt werden.

Das sagt die SPD auch.
Riexinger:
Ja – aber zugleich hält die SPD an der Kürzungspolitik der schwarzen Null fest. Wir haben von Anfang an einen konkreten Vorschlag gemacht, nämlich dass der Bund die kompletten Unterbringungskosten finanzieren muss. Die Kommunen sind einfach deswegen überfordert, weil sie häufig strukturell unterfinanziert sind und eine Menge neuer Aufgaben haben. Zum Zweiten gibt es ganz viele soziale Probleme, die gar nichts mit den Flüchtlingen zu tun haben und schon vorher da waren. Zu wenig bezahlbarer Wohnraum, ein kaputtgesparter öffentlicher Dienst, zu wenig Lehrer und Erzieher, zu wenig Pflegepersonal in den Krankenhäusern. 

2015 wurden bundesweit allein rund 500 000 Asylanträge gestellt. 
Riexinger: Diese Situation wird durch die Flüchtlinge natürlich verschärft. Das wäre der Zeitpunkt, um zu sagen: Jetzt müssen wir wirklich für Gerechtigkeit sorgen, indem die Umverteilung von unten nach oben beendet wird und in das Gemeinwohl, in einen funktionsfähigen öffentlichen Dienst, in sozialen Wohnungsbau und mehr Personal in Pflege und Gesundheit investiert wird. Und vor allen Dingen auch in eine bessere Bezahlung.

Wie wollen Sie die Integration der vielen Menschen, die vermutlich hierbleiben, maßgeblich mitgestalten?
Riexinger:
Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, muss geholfen werden. Natürlich reicht es nicht aus, zu sagen, wir schaffen das. Man muss auch sagen, wie. Integration heißt übersetzt »geistig auffrischen« – unsere Gesellschaft kann ganz viel leisten, aber die Politik muss den Staat dafür endlich handlungsfähig machen. Der Schlüssel ist, dass die Leute die Sprache lernen, dazu braucht man aber Lehrer und Erzieher. SPD und Union hingegen wollen, dass Geflüchtete von ihrem mageren Geld für Sprachkurse bezahlen. Das ist doch völlig unsinnig. 

Das zweite ist, dass sie in den Arbeitsmarkt integriert werden. Dazu brauchen wir aber eine aktivere Arbeitsmarktpolitik, bei der Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Beschränkungen für Flüchtlinge, Arbeit aufzunehmen, müssen wir aufheben. Drittens müssen wir die Frage der Unterbringung lösen. Wenn Sie die Leute nicht dezentral unterbringen, entstehen Ghettos. Und das hatten wir schon in den 60er-Jahren. Das sollten wir nicht wiederholen.

Was halten Sie von verpflichtendem Deutsch­unterricht?
Riexinger: Das Problem ist nicht allzusehr die Verpflichtung, sondern, dass es viel zu wenig Kurse für die Flüchtlinge gibt. Es gibt ja eine Menge an Lehrern, die prekär arbeiten an Volkshochschulen oder anderen Bildungsträgern und die problemlos eingestellt werden könnten.

Bei verpflichtendem Unterricht müsste der Staat doch erst mal die Voraussetzungen schaffen ...
Riexinger:
Es gibt eine Menge Lehrkräfte mit einem schlechten Stundenhonorar. Die wären froh, wenn sie erst mal angemessen bezahlt werden würden.

- Anzeige -

Was versprechen Sie sich davon, mit sozialem Wohnungsbau Wahlkampf zu machen?
Riexinger:
Ich glaube, das ist das drängendste  Problem in den Großstädten, Ballungsräumen, aber auch in den Universitätsstädten und in den mittelgroßen Städten. Da haben wir viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Die Mieten haben inzwischen eine solche Dimension angenommen, die vielen Leuten einfach den Lohn auffrisst. Eine Erzieherin mit 1600 Euro Gehalt muss davon schon 800 oder 900 Euro für die Kaltmiete abdrücken. Dann bleibt nicht mehr viel zum Leben übrig.

Was sind die Hintergründe?
Riexinger: In Baden-Württemberg haben wir im Zeitraum von 2002 bis 2013 knapp 84 000 Sozialwohnungen verloren. 2013 wurden im Land  90 neue Sozialwohnungen gebaut. Auf diesem Wege bräuchten wir 933 Jahre, um den Bestand wieder aufzufüllen. Das ist doch völlig verrückt. Ein großes Versagen dieser Landesregierung, die den Eigentumswohnungsbau fördert und darüber hinaus öffentliche Wohnungen an eine Heuschrecke verscherbelt hat. 

Sie wollen 250 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau in die Hand nehmen. Da drängt sich die Frage nach dem Wie auf ...
Riexinger:
Die Linke hat als einzige Partei ein tragfähiges Finanzierungskonzept. Man muss die Steuerpolitik ändern.

Den Reichen nehmen und den Armen geben?
Riexinger:
Ja, zehn Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen 59 Prozent des gesamten Vermögens, während die untere Hälfte der Gesellschaft zusammen nur ein Prozent besitzt. In fast allen europäischen Ländern gibt es eine Vermögenssteuer, unter Helmut Kohl wurde die deutsche Vermögenssteuer abgeschafft. Wir fordern die Wiedereinführung dieser Steuer  in Höhe von fünf Prozent ab der zweiten Million. Ich finde, das ist angemessen, wenn jemand, der über mehr als eine Millionen Euro verfügt, 50 000 Euro von der nächsten Million ans Gemeinwohl abgibt. Das würde die Bundeseinnahmen um 80 Milliarden Euro erhöhen und die Landeseinnahmen in Baden-Württemberg um sieben bis zehn Milliarden. Bei einem Haushalt von 44 Milliarden Euro kann man damit einiges machen. Aber man muss auch den Mut haben, sich mit den Mächtigen anzulegen, und den haben leider die anderen Parteien nicht.

Was nehmen Sie da als Basis? Neben dem Bank­konto noch Land und Güter?
Riexinger: Ja, es geht um das gesamte Vermögen, außer bei Betriebsvermögen, da haben wir höhere Freibeträge, damit die mittelständischen Betriebe de facto nicht betroffen sind.

Außerdem soll Ihrer Meinung nach die Schuldenbremse weg …
Riexinger:
Die Schuldenbremse ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Sie könnten derzeit locker mit 0,5 Prozent Zinsen vom Kapitalmarkt Geld aufnehmen, um Autobahnen, Straßen oder wichtige Gebäude zu bauen. Stattdessen will man den riesigen Investitionsstau mit privatem Kapital auflösen. Nur wollen die Privaten eine Kapitalrendite von fünf oder sechs Prozent haben, die letztendlich die Steuerzahler des Landes berappen müssen.

Wie lang kommt man denn in den Genuss von 0,5 Prozent Zinsen?
Riexinger:
Wir sagen ja nicht, dass wir uns immer mehr verschulden wollen, sondern wir sagen, die Einnahmen des Staates sollen erhöht werden. In keinem anderen Land werden reiche Erben und Vermögensmillionäre so bevorzugt behandelt wie in Deutschland.

Thema Bildung: Bei der Gemeinschaftsschule konkurrieren Sie mit Grün-Rot …
Riexinger: Da hat sich ein bisschen was getan, aber gute Absichten reichen nicht. Es wurden Gemeinschaftsschulen eingeführt, aber eben nicht flächendeckend. Und es gibt immer noch zu wenig Ganztagsschulen. Diese sind ganz wichtig, da sie erwiesenermaßen die Selbstbestimmung der Kinder und ein verantwortliches, solidarisches Miteinander fördert. Und jetzt haben wir statt dem dreigliedrigen Schulsystem sogar mindestens vier Schularten. Das ist inkonsequent. 

Was schlagen Sie vor?
Riexinger: Wir brauchen eine Bildungsreform aus einem Guss, in deren Zentrum das längere gemeinsame Lernen steht. Es kann nicht sein, dass ein Akademikerkind 18 Mal mehr Chancen hat, zum Abitur zu kommen, als andere Kinder. Die sind ja nicht blöder, sondern haben schlechtere Startchancen. Das bisherige dreigliedrige Schulsystem setzt stärker auf Auslese statt auf Förderung.

Zur Person

Bernd Riexinger

Mit Katja Kipping führt Bernd Riexinger seit 2012 die Bundes-Linkspartei. Riexinger, der als Spitzenkandidat in Baden-Württemberg für einen Einzug der Linken in den Stuttgarter Landtag kämpft, sieht für den Fall eines Erfolgs bei der Wahl im März keinen Widerspruch in einer Doppelfunktion in Bund und Land. Die meisten Parteivorsitzenden hätten zugleich auch ein Parlamentsmandat, sagte der 60-Jährige.

Riexinger kommt nach eigenen Angaben aus einem Arbeiterhaushalt. Er machte nach der Haupt- und Handelsschule eine Ausbildung zum Bankkaufmann und übte diesen Beruf bis 1980 aus. Danach war er bis 1990 Betriebsrat bei der Leonberger Bausparkasse. Von 1991 bis 1998 fungierte er als Gewerkschaftssekretär. Riexinger war zudem Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart der Gewerkschaft Verdi und Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der Partei »Die Linke« in Baden-Württemberg. 

Privat kocht der 60-Jährige gerne, fährt einen Ford Fiesta und wohnt mit seiner Lebensgefährtin in Stuttgart. Als Fußballfan bevorzugt er den VfB.
 

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Alles andere als ein Glücksspiel: die Geldanlage in Aktien. Den Beweis dafür tritt azemos in Offenburg seit mehr als 20 Jahren erfolgreich an.
    17.04.2024
    Mit den azemos-Anlagestrategien auf der sicheren Seite
    Die azemos Vermögensmanagement GmbH in Offenburg gewährt einen Einblick in die Arbeit der Analysten und die seit mehr als 20 Jahren erfolgreichen Anlagestrategien für Privat- sowie Geschäftskunden.
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.
  • Der Frühling steht vor der Tür und die After-Work-Events starten auf dem Quartiersplatz des Offenburger Rée Carrés.
    12.04.2024
    Ab 8. Mai: Zum After Work ins Rée Carré Offenburg
    In gemütlicher Runde chillen, dazu etwas Leckeres essen und den Tag mit einem Drink ausklingen lassen? Das ist bei den After-Work-Events im Rée Carré in Offenburg möglich. Sie finden von Mai bis Oktober jeweils von 17 bis 21 Uhr auf dem Quartiersplatz statt.
  • Mit der Kraft der Sonne bringt das Unternehmen Richard Neumayer in Hausach den Stahl zum Glühen. Einige der Solarmodule befinden sich auf den Produktionshallen.
    09.04.2024
    Richard Neumayer GmbH als Klimaschutz-Pionier ausgezeichnet
    Das Hausacher Unternehmen Richard Neumayer GmbH wurde erneut für seine richtungsweisende Pionierarbeit für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die familiengeführte Stahlschmiede ist "Top Innovator 2024".