Landtagswahl: Keine Wechselstimmung in Baden-Württemberg
Der 13. März wird einer der spannendsten Wahlabende in Baden-Württemberg. Für den Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith ist im Interview mit der Mittelbadischen Presse klar, dass es zwar keine Wechselstimmung im Land gibt, aber trotzdem ein Regierungswechsel möglich ist. Das Flüchtlingsthema überlagert die Regierungs- und Oppositionsarbeit im Land. Die Mittelbadische Presse beginnt heute ihr Angebot zum Landtagswahlkampf 2016
Herr Eith, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wählen im Zeichen der Flüchtlingsdebatte und der AfD am 13. März neue Landtage. Kann der Wahlsonntag der Beginn eines Flächenbrandes in Deutschland werden?
Eith: Einen Flächenbrand sehe ich nicht. Mit rechtspopulistischen Parteien haben wir in Baden-Württemberg Erfahrungen. In den 60er-Jahren war die NPD im Stuttgarter Landtag und in den 90ern für zwei Legislaturperioden die Republikaner. Der Aufschwung der Alternative für Deutschland hat aber auf jeden Fall eine Signalwirkung. Bei den Themen, von denen die AfD profitiert, muss sich politisch etwas bewegen.
Wie lassen sich gerade die sozialen Ängste, von denen die AfD profitiert, eindämmen?
Eith: Notwendig ist etwa die sofortige massive Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus. Wir brauchen eine Sozial- und Bildungspolitik, die sozial schwächere Gruppen und Neuankömmlinge gleichermaßen im Blick behält. Integration ist immer ein zweiseitiger Prozess, bei dem es nach Möglichkeit keine ethnisch definierbaren Verlierer geben sollte. Einer Neiddebatte muss die Politik unbedingt entgegenwirken.
Kommen wir mal im Detail nach Baden-Württemberg zurück. Gibt es so kurz vor Wahl eine Wechselstimmung?
Eith: Nein, eine Wechselstimmung ist nicht erkennbar. Und dies ist das hervorstechendste Merkmal am Ende dieser außergewöhnlichen Legislaturperiode. Zu Beginn waren nicht wenige der Überzeugung, Grün-Rot sei nur durch die Ausnahmesituation Fukushima an die Regierung gekommen. Heute muss man festhalten, dass die Zufriedenheit mit dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bis weit in bürgerliche Wählergruppen hinein reicht.
Winfried Kretschmann wird ja gerne mit dem ehemaligen CDU-Ministerpräsident Teufel verglichen.
Eith: Kretschmann hat sich im bürgerlichen Lager ungewöhnlich schnell viel Respekt und Achtung verschafft. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, er sei der richtige Ministerpräsident, lediglich in der »falschen« Partei.
Wenn er Pech hat, wird er aber trotzdem abgewählt.
Eith: Das kann passieren. Aus heutiger Sicht ist der Wahlausgang völlig offen. Den aktuellen Umfragen zufolge haben weder Grün-Rot noch Schwarz-Gelb eine eigene Mehrheit. Wenn es am Wahlabend so kommen sollte, werden wir spannende Verhandlungen zwischen den Parteien erleben.
Welche Koalition wäre am wahrscheinlichsten?
Eith: Für relativ unwahrscheinlich halte ich derzeit Schwarz-Grün. Grüne und CDU konkurrieren um das Amt des Ministerpräsidenten. Die CDU würde wohl eher versuchen, die Sozialdemokraten an sich zu binden. Die jetzige grün-rote Regierung wiederum hätte nur eine Mehrheit mit der FDP.
Eine Ampel will doch die FDP nicht?
Eith: Wer regieren will, wird vor der Wahl nichts definitiv ausschließen.
Was sind die Themen, mit denen im Wahlkampf gepunktet werden kann – sieht man mal von den Flüchtlingen ab.
Eith: Die Parteien haben es im Moment schwer, ihre Landesthemen in der Öffentlichkeit zu positionieren. Die Bundespolitik, die internationale Politik und das Flüchtlingsthema überlagern alles. Für die Regierung kann das eher von Vorteil sein, da es keine Wechselstimmung gibt. Die Opposition hingegen muss unbedingt mit landesspezifischen Themen punkten, will sie den nächsten Ministerpräsidenten stellen. In den Persönlichkeitswerten liegt Kretschmann weit vor Wolf.
Vielleicht eignet sich das Thema Schule zum Wahlkampfschlager?
Eith: Massive politische Auseinandersetzungen gab es vor allem in der ersten Hälfte der Legislaturperiode. Der amtierende Kultusminister Stoch hat den Schulbereich aus der Konfrontation weitgehend herausgezogen. Das heißt jetzt nicht, dass alle mit allem einverstanden sind. Aber das Thema hat an Brisanz verloren.
Hat die Politik des Gehörtwerdens funktioniert?
Eith: Da ist Baden-Württemberg auf einem guten Weg. Zum einen ist deutlich geworden, dass Bürgerbeteiligung mehr ist als nur hin und wieder ein Bürgerentscheid. Es gibt ganz unterschiedliche Formate, wie Bürgerinnen und Bürger an den politischen Planungsphasen beteiligt werden können und sollten. Und zum anderen sind inzwischen die Hürden für einen Bürgerentscheid deutlich gesenkt worden. Dies erhöht den Druck auf die gewählten Politiker, sich in ihren Entscheidungen stärker an den Bürgerinteressen zu orientieren. Andernfalls »droht« ein Bürgerentscheid.
Die CDU hat ja auch mitgemacht.
Eith: Lagerübergreifend war den baden-württembergischen Parteien klar, dass die früheren Regelungen im Vergleich der Bundesländer zu hoch waren und Bürgerentscheide eher verhindert haben.
Ist die Energiewende steckengeblieben?
Eith: Die kommt auf ganz Deutschland bezogen nicht so voran, wie wir uns das nach dem Atomausstieg vorgestellt haben. Der Ausbau der regenerativen Energien ist angelaufen. Problematisch ist der Ausbau der Netze, um mit dezentralen Energiequellen die Energieversorgung auf ein gesichertes Fundament zu stellen.
Kommen wir mal zur SPD. Warum gelingt es den Genossen nicht, aus dem Schatten von Kretschmann zu treten?
Eith: Die SPD steckt in einem riesigen Dilemma. Die SPD-Minister in Baden-Württemberg arbeiten allesamt durchaus erfolgreich. Es finden sich keine Politikfelder, wo in der öffentlichen Wahrnehmung massive Unzufriedenheit deutlich wird. Das gilt gerade auch für den Finanzminister Nils Schmid, der die schwarze Null im Haushalt hält.
Aber die liegen in Umfragen bei 15 Prozent.
Eith: Genau. Erfolgreiche Politik wird nicht gutgeschrieben in Wählerstimmen. Das hat mindestens zwei zentrale Ursachen. Erstens, die SPD hat im Land derzeit enorme Probleme, öffentlich wirksam eigene Akzente zu setzen. Die Landespolitik wird seit Stuttgart 21 bestimmt vom Gegensatz Schwarz gegen Grün. Zwischen diesen beiden Polen kommt die SPD kaum vor. Und alles, was in der Landesregierung passiert, wird in der Endabrechnung Kretschmann und somit Grünen zugerechnet.
Und so richtig ist die SPD im mittelständischen Baden-Württemberg noch nie verwurzelt gewesen.
Eith: Richtig, zweitens hat die SPD in Baden-Württemberg schon immer das Problem, ihre originären Wählergruppen zu bestimmen. Im Südwesten ist sie weit weniger als in anderen Bundesländern die Partei der Arbeitnehmerschaft, weitaus stärker ist sie im Bildungsbürgertum verankert. Der frühere Vorsitzende Erhard Eppler hat bereits in den 70-er Jahren viele Themen vorgedacht, mit denen später die Grünen bei den jüngeren Generationen punkten konnten. Die Sozialdemokraten stehen somit in Baden-Württemberg überkreuz in Konkurrenz zur CDU und zu den Grünen.
Was kann die SPD da machen?
Eith: Eine einfache Strategie gibt es nicht. Reputation lässt sich über die Arbeit in den Kommunen und Landkreisen mehren. Inhaltlich braucht die SPD ein eigenes sozialpolitisches Kernthema verbunden mit einer attraktiven gesellschaftlichen Zukunftsvision, das auch neue Wählergruppen anzieht. Die schwarze Null in der Haushaltspolitik wird den meisten sozialdemokratischen Wählern nicht reichen. Gerade angesichts einer guten Haushaltslage erwarten sie effektive Maßnahmen zur Verringerung von sozialen Ungerechtigkeiten. Und schließlich bleibt für die Sozialdemokraten die Hoffnung, dass sie mal wieder einen Spitzenkandidaten hervorbringen, der allein mit seiner Persönlichkeit Wählerinnen und Wähler überzeugen und mobilisieren kann.
Folgen die Genossen der FDP?
Eith: Das sehe ich noch lange nicht. Ohne Zweifel, die SPD ist in den aktuellen Umfragen eindeutig unterbewertet. Die Schwäche der SPD im Land liegt auch an dem zugespitzten Zweikampf von Grünen und CDU, bundesweit sicherlich an programmatischen Unschärfen und dem Fehlen charismatischer Führungspersönlichkeiten .
Der Fahrplan zur Wahl
Der 13. März wird einer der spannendsten Wahlabende in Baden-Württemberg. Für den Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith ist im Interview mit der Mittelbadischen Presse klar, dass es zwar keine Wechselstimmung im Land gibt, aber trotzdem ein Regierungswechsel möglich ist. Das Flüchtlingsthema überlagert die Regierungs- und Oppositionsarbeit im Land. Die Mittelbadische Presse beginnt heute ihr Angebot zum Landtagswahlkampf 2016:
• Heute Start mit der Serie »Die Themen« – immer mittwochs werden in den
nächsten fünf Wochen die wichtigsten Politikfelder analysiert.
• Ende Februar beginnt die Serie »Die Kandidaten« – Alle Spitzenkandidaten der
im Landtag vertretenen Parteien werden in Reportagen vorgestellt.
• Alle »Wahlkreiskandidaten« aus dem
Ortenaukreis stellen sich ab Ende
Februar unseren Fragen.
• Interviews mit den Spitzenkandi-
daten von AfD und Linke.
• Umfassendes Online-Angebot mit
Kurzporträts und Filmen über die
Ortenauer Kandidaten auf
www.bo.de/ltw2016.