Serie:Landtagswahl 2016 - Die Themen: Schulpolitik (i)

Neue Akzente im Unterricht

Reinhard Reck
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09. Februar 2016

Kultusminister Andreas Stoch (SPD) weiß: »Bildungspolitik ist immer ein schwieriges Feld.« ©dpa

Die Schulpolitik ist eines der wichtigsten Themen im baden-württembergischen Landtagswahlkampf. Die grün-rote Regierung hat seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2011 in vielen Bereichen radikale Änderungen durchgesetzt. Deswegen gab es oft Kritik von der CDU/FDP-Opposition im Landtag. Aber auch diese kann, wenn sie am 13. März gewinnen sollte, das Rad nicht völlig zurückdrehen.

Im Husarenritt hat die grün-rote Landesregierung in den vergangenen Jahren die Schullandschaft verändert. Von der Ganztagsbetreuung bis zur Gemeinschaftsschule, von der Grundschulempfehlung bis zur Wahl der Schulleiter: In vielen Bereichen wurden neue Akzente gesetzt. 
Kein Wunder, dass der radikale, für viele zu abrupte Wechsel in zu vielen Bereichen der Schulpolitik zu heftigen Debatten zwischen den Parteien, in Lehrergewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, Schulen und bei den Eltern sorgt. Auch bei der Landtagswahl dürfte die Bildung eines der Handlungsfelder sein, bei denen sich die Kandidaten besonders profilieren wollen. Das hat nicht nur damit etwas zu tun, dass die Bundesländer bei der Schulpolitik noch deutlich mehr Vollmachten haben als anderswo. Fest steht auch: Schule betrifft so gut wie jeden. Kultusminister Andreas Stoch (SPD), der Anfang 2013 das Amt von seiner glücklos agierenden Parteifreundin  Gabriele Warminski-Leitheußer übernahm, weiß, was auf dem Spiel steht. »Bildungspolitik ist immer ein schwieriges Feld«, sagte er: »Wenn es Veränderung gibt, herrscht Unzufriedenheit – ebenso, wenn es keine gibt.«
Für den größten Widerspruch – zumindest bei der CDU/FDP-Opposition im Landtag – sorgte die Einführung der Gemeinschaftsschule. Mit dieser integrativen Schulart wollte man die strenge und für Grün-Rot längst nicht mehr zeitgemäße Dreigliedrigkeit des Schulsystems mit Haupt- und Realschule sowie Gymnasium überwinden. Das pädagogische Konzept ist speziell darauf ausgerichtet, junge Menschen unterschiedlicher Niveaustufen – in aller Regel zwischen der fünften und zehnten Klasse – gemeinsam zu unterrichten. Stoch und die anderen Vorkämpfer wollen so allen dieselben Bildungschancen einräumen.
Mittlerweile gibt es 271 öffentliche Gemeinschaftsschulen im Land, 28 sollen künftig noch dazukommen. Trotzdem ist der Widerstand von CDU und FDP nicht verstummt. »Stoch darf nicht länger mauern und die Mängel dieser Schulart unter den Teppich kehren«, schimpfte erst im Januar der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf. Munition für seine Attacke erhielt der Christdemokrat durch einen Bericht von Wissenschaftlern über eine Tübinger Gemeinschaftsschule, über den die FAZ berichtete. Nach Einschätzung der Experten sei das »individuelle Lernen«, zentrale Idee bei der Gemeinschaftsschule, in den beiden untersuchten Lerngruppen nicht effektiv. Auch bei der Leistungsbewertung gebe es Mängel. Ein weiteres CDU-Argument gegen die Gemeinschaftsschule ist die Tatsache, dass ein nach Leistung differenzierter Unterricht nicht zugelassen werde – was das Kultusministerium verneint. Nicht zuletzt konstatieren die Christdemokraten ein abnehmendes Interesse an den Gemeinschaftsschulen. An vielen dieser Bildungseinrichtungen seien die Anmeldezahlen zurückgegangen. Die Stuttgarter Regierungsparteien halten ihr Paradeprojekt hingegen nach wie vor für sehr attraktiv.
Zahlreiche Auseinandersetzungen gab es nach der Einführung der Gemeinschaftsschule über die grundlegende Struktur des Schulwesens. Grün-Rot hat ein Zwei-Säulen-Modell als Ziel. Eine Säule besteht aus der Gemeinschaftsschule sowie der Haupt-, Werkreal- und Realschule, die sich zu integrativen Schulen entwickeln sollen. Die zweite Säule stellt das Gymnasium dar. Von der Opposition, aber auch seitens der Wirtschaft, gab es Befürchtungen, dass das Gymnasium und die Realschule quasi ausgeblutet werden sollen, aber Ministerpäsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Kultusminister Stoch haben sich klar dafür ausgesprochen, beide Schularten beizubehalten. Nach wie vor erhebt die CDU aber den Vorwurf, dass die Realschulen »gegenüber den Gemeinschaftsschulen nachhaltig und massiv bei der Ressourcen- und Lehrerausstattung benachteiligt werden«, wie es im CDU-Wahlprogramm heißt.
Nicht zuletzt bei der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung für die weiterführenden Schulen meldete die Opposition Bedenken an, die FDP vielleicht noch mehr als die CDU. Beide Parteien wollen aber im Fall eines Wahlerfolgs die Neuerung nicht abschaffen. Sie fordern jedoch eine stärkere Beratung der Eltern und eine Information der betreffenden weiterführenden Schule über den Inhalt der jeweiligen Empfehlung – wogegen sich Grün-Rot wehrt.
Insbesondere wegen angeblich fehlender Spielräume haben sich CDU und FDP auf die grün-rote Schulpolitik eingeschossen. Gefordert wird eine gestärkte »Eigenverantwortung vor Ort«, etwa bei der Entscheidung für ein acht- oder neunjähriges Gymnasium. Bemängelt wird auch ein fehlendes flexibles freiwilliges Ganztagsangebot an Schulen. Gerade die Verankerung der Ganztagsgrundschule im Schulgesetz im Jahr 2014 war ein wichtiges Anliegen von Grün-Rot. Dabei wird beim Kultusministerium betont, dass sich das Konzept durch eine »hohe Flexibilität« auszeichne.
Einen »Schulfrieden«, wie er mehrfach gefordert wurde, gab es nicht. Gleichwohl wissen auch die Kritiker von Grün-Rot, dass sie das Rad nicht völlig zurückdrehen können. So will die CDU die Gemeinschaftsschulen nicht abschaffen, sondern nur keine neuen zulassen. Wer auch immer die Landtagswahl gewinnen wird, steht künftig vor großen Herausforderungen. So gilt es, angesichts immer noch sinkender Schülerzahlen ein flächendeckendes Angebot vor Ort bereit zu halten, was die bisherige Landesregierung unter anderem mit ihrer »Regionalen Schulentwicklung« erreichen wollte. Auch bei der Inklusion und der Betreuung von Flüchtlingen bleibt viel zu tun. Nicht zuletzt sind weitere Debatten über die Bildungsplanreform zu erwarten, mit der Grün-Rot unter anderem mehr Bildungsgerechtigkeit erreichen will.

Hintergrund

Flüchtlingskinder: Beispiel Astrid-Lindgren-Schule

Die Ankunft der zahlreichen Flüchtlinge macht sich bei den Schulen bemerkbar. »Wir hatten schon seit vielen Jahren eine Vorbereitungsklasse für Flüchtlinge, weil sich in der Nähe ein Asylbewerberwohnheim befindet, zu dem jetzt noch ein zweiter Standort gekommen ist«, erklärt Ursula Bsdurek, Rektorin der Astrid-Lind­gren-Schule in der Offenburger Vogesenstraße. »Seit September 2015 haben wir vier derartige Klassen.« Insgesamt besuchen 380 Schüler die Grund- und Werkrealschule, rund 80 davon sind in den Vorbereitungsklassen. Es handelt sich nicht nur um Flüchtlingskinder; viele von ihnen sind noch nicht als Asylbewerber anerkannt. Es kommen auch Jungen und Mädchen, die etwa aus Spanien, Polen, Rumänien oder Portugal stammen. Vier speziell geschulte Lehrkräfte stehen ausschließlich für die Vorbereitungsklassen zur Verfügung. Hinzu kommen drei pädagogische Assistenten und Ehrenamtliche. »Die Vorbereitungsklassen dienen hauptsächlich zum Erlernen der deutschen Sprache und zum Zurechtfinden im Alltag«, so Bsdurek. »Sprachlernen erfolgt anhand von Alltagsthemen und schulischen Inhalten. Vielfältige Sprachanlässe werden auch durch außerunterrichtliche Begegnungen und Projekte geschaffen.« Aktuell liefen etwa ein Musikprojekt und ein wöchentlicher Austausch mit Schülern der Waldbachschule. Das Ziel ist es, den Kindern rasch eine Teilnahme in den normalen »Regelklassen« und im Alltag zu ermöglichen. 
»Mit den Vorbereitungsklassen leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Integration der Flüchtlingskinder«, so die Schulleiterin. Allerdings kommt es doch hin und wieder zu Konflikten. »Viele Kinder haben traumatische Erfahrungen gemacht, und das spüren wir natürlich auch im Unterricht«, erklärt Bsdurek. Außerdem werden manche Konflikte, die in den Unterkünften bestehen, in die Schule hineingetragen. »Da kommt es schon manchmal zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen.« Allerdings könnten die Auseinandersetzungen in aller Regel beigelegt werden. Die Arbeit sei mit den Kindern in den Vorbereitungsklassen und mit deren Eltern, zum Beispiel bei Verwaltungsvorgängen im Sekretariat, auch wegen sprachlicher Barrieren nicht immer leicht. 
Kaum Probleme gibt es nach Aussage der Rektorin mit den übrigen Schülern der Astrid-Lindgren-Schule oder den Eltern. Besonders dankbar ist Ursula Bsdurek wegen der hohen Spendenbereitschaft in der Bevölkerung. Viele Bürger geben Geld für Schulmaterial für die Flüchtlingskinder und für Projekte – beispielsweise zum Thema »gesunde Ernährung«.

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