Interview des Tages

»Nirgendwo gibt es so viel Europa wie hier«

Reinhard Reck
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03. September 2014
Peter Friedrich: Ein neuer »Europacampus« mit den Universitäten in Karlsruhe, Straßburg, Freiburg und Basel.

©Peter Heck

Nicht zuletzt dank des großes Einflusses von Baden-Württemberg bei der EU gibt es auch erhebliche Fortschritte bei der trinationalen Kooperation am Oberrhein. Allerdings müssen sich die grenzüberschreitenden Gremien den neuen Aufgaben anpassen. Das erklärt Peter Friedrich (42/SPD), Stuttgarter Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheit, im Interview mit der Mittelbadischen Presse.

Herr Friedrich, Sie sind der einzige baden-württembergische Minister, der gleich drei Büros hat: in Stuttgart und als Leiter der Landesvertretungen auch in Berlin und Brüssel. Schaffen Sie Ihr Pensum bei diesem  ständigen Pendeln?
Peter Friedrich: Das ist sehr gut zu schaffen und ich habe auch keinen Stress wegen der Vielfliegerei. Die Aufgaben, die ich an diesen drei Standorten wahrnehme, gehören ja zusammen. Baden-Württemberg ist im Herzen Europas und deswegen ist es wichtig, dass wir die Chancen, die uns die europäische Einigung gibt, auch nutzen.

Das Land hat in Brüssel eine stattliche Vertretung mit rund 30 Mitarbeitern. Was bringt die EU konkret dem Südwesten?
Friedrich: Wir kämpfen bei jedem EU-Gesetzgebungsverfahren dafür, dass unsere Belange und Besonderheiten Berücksichtigung finden. So haben wir z. B. bei der Bankenregulierung erreicht, dass die Tausenden von Sparkassen und Volksbanken eben nicht komplett davon betroffen sind, sondern nur die Hochrisikobanken. In manchen Bereichen kann man unseren Einfluss in Brüssel auch an konkreten Zahlen festmachen. Zum Beispiel in der in diesem Jahr startenden siebenjährigen Förderperiode gibt es für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein mehr als doppelt so viele Interreg-Mittel wie zuvor. Der Betrag stieg von 31 Millionen auf rund 78 Millionen Euro. Das Land hat sehr früh in Brüssel Vorschläge für die grenzüberschreitende Regional- und Innovationspolitik eingereicht.

Bei der Europawahl Ende Mai haben rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien enorm an Zulauf gewonnen. Wird so die EU-Politik gelähmt?
Friedrich: Wenn der rechtsextreme Front National in Frankreich die meisten Stimmen gewinnt, ist das ein Alarmsignal. Aber Europa muss diese Herausforderung annehmen. Im Kern sind die meisten Bürger auch in Frankreich Anhänger der Idee der europäischen Integration. Wir machen aber bei der Umsetzung dieser Idee in praktische Politik noch zu viele Fehler und deswegen wenden sich viele Menschen ab. Außerdem befindet sich die EU im fünften Jahr einer schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise, in Deutschland haben wir eine Sondersituation. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen.

Trotzdem können die Rechtsextremen die Arbeit im Europäischen Parlament blockieren.
Friedrich: Das sehe ich nicht so. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass intensive politische Debatte auch in Europa zur Normalität gehört. Das ist im Deutschen Bundestag ja nicht anders. In der Demokratie, die in der EU durch die Wahl von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten gestärkt wurde, gilt das Mehrheitsprinzip, und es gibt eben auch Opposition.

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Apropos Demokratie: Juncker verdankt seinen Job eher der Tatsache, dass sich die Mehrzahl der Regierungschefs für ihn eingesetzt hat. Wird nicht – wie bei der Bestimmung von Donald Tusk zum EU-Ratsvorsitzenden – immer noch zu viel in Hinterzimmern gekungelt?
Friedrich: Vielleicht. Aber es wird ja nicht direkt gewählt. Das ist bei der Bestellung der Regierungsposten in Deutschland genauso. Es ist völlig normal, dass nach der Wahl eine Phase der Regierungsbildung folgt, bei der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Trotzdem spielt dabei das EU-Parlament die erste Geige. Angela Merkel wollte zuerst Juncker nicht, sondern hat sich erst später dem Wählerwillen gebeugt. Schließlich war Juncker der Spitzenkandidat der Seite, die bei der Europawahl die meisten Stimmen erhalten hat.
Der Christdemokrat Günther Oettinger soll wohl EU-Kommissar bleiben. Was hält der Sozialdemokrat Peter Friedrich davon?
Friedrich: Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass mein Parteifreund Martin Schulz deutscher Kommissar oder Kommissionspräsident wird. Der Wähler hat aber anders entschieden. Wenn jetzt nur zu entscheiden ist, welcher Christdemokrat Kommissar werden soll, ist mir Oettinger mit Abstand der Liebste. Er macht eine gute Arbeit und die Kooperation mit der Landesregierung ist hervorragend.

Was die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein betrifft, so ist es still geworden. Erlahmt die anfängliche Begeisterung in Baden, im Elsass und in der Schweiz?
Friedrich: Der Eindruck täuscht. Im Gegenteil: Bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit haben wir in den vergangenen beiden Jahren eine neue Qualität erreicht. Denken Sie nur an die duale Ausbildung, bei der junge Leute am Oberrhein die theoretische Schulung in der Heimat und den praktischen Teil im Nachbarland absolvieren: Das gibt es in Europa sonst nirgends. Auch der Ausbau des Straßburger Tramnetzes nach Kehl und andere Verbesserungen im Nahverkehr zeigen die wachsende Kooperation.

Wie sieht die Zusammenarbeit bei den Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus?
Friedrich: Auch da gibt es große Fortschritte. Wir sind dabei, unter Beteiligung der Universitäten Karlsruhe, Straßburg, Freiburg und Basel einen »Europacampus« aufzubauen. Die Studierenden können problemlos Seminare der teilnehmenden Unis besuchen. Vielversprechend sind auch die Pläne der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit Wir wollen mit den französischen und Schweizer Partnern eine europäische Großforschungseinrichtung ansiedeln. Diese kann zum Transferzentrum für neue Technologien werden, zum Beispiel in den Lebenswissenschaften oder in den Grenzbereichen zwischen Biologie und Materialwissenschaft.

Oft wird die enorme Zahl von grenzüberschreitenden Gremien in der Oberrheinregion kritisiert. Neben der Trinationalen Metropolregion gibt es den Oberrheinrat, die Oberrheinkonferenz, die Eurodistrikte und andere Einrichtungen. Sollte man die Zahl nicht reduzieren?
Friedrich: Die Formen der Zusammenarbeit müssen sich mit den wachsenden Aufgaben weiterentwickeln. Nirgendwo gibt es so viel Europa wie hier. Wir sollten daher darangehen, mehr staatliche Aufgaben auch gemeinsam zu erbringen, wo es gemeinsam besser geht. Damit könnten wir auch grenzübergreifenden Strukturen eine neue Dynamik einhauchen. Die Strukturen und Zuständigkeiten in Frankreich, der Schweiz und bei uns sind sehr unterschiedlich. Diese Vielfalt muss sich in den Gremien widerspiegeln, sonst bekommen wir die handelnden Personen nicht zusammen.

Die Pläne von CSU-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt zur Einführung einer allgemeinen Pkw-Maut haben am Oberrhein Empörung ausgelöst. Offenbar wird jedoch in CDU und CSU viel mehr über das Thema diskutiert als in der SPD. Wie stehen Sie dazu?
Friedrich: Ich habe für die  Landesregierung sehr früh erklärt, dass Dobrindts Konzept inakzeptabel ist. So etwas wäre Gift für die Grenzregion. Nirgendwo gibt es so viele Grenzgänger wie bei uns. Allein aus der Schweiz haben wir einen Kaufkrafteintrag von mehr als zwei Milliarden Euro jährlich in Südbaden.  Wenn wir so eine Einfahrgebühr bekommen, werden wir in den Grenzregionen die Zeche dafür zahlen, dass die CSU ein untaugliches Konzept durchsetzen will. Wenn unbedingt eine Maut kommen soll, dann sollte sie auf Autobahnen und vielleicht noch große Bundesstraßen begrenzt werden. Die Vorstellung einiger in der CDU, die Grenzbezirke auszunehmen, hieße Mautstationen beispielsweise zwischen der Ortenau und dem Landkreis Freudenstadt aufzubauen. Aber wir wollen doch hoffentlich nicht ins Mittelalter zurück.

Hintergrund

Gremien am Oberrhein

Am Oberrhein gibt es eine Vielzahl von grenzüberschreitenden Gremien und Einrichtungen. Die Trinationale Metropolregion wurde offiziell im Dezember 2010 in Offenburg gegründet. Sie umfasst neben Baden und dem Elsass die Nordostschweiz und die Südpfalz. Bei der Metropolregion gibt es die vier »Säulen« Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Das sind auch die vier Hauptthemenbereiche, in denen sich die Vorkämpfer engagieren.
Während sich bei der deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz Verwaltungsexperten der drei beteiligten Länder treffen, ist der Oberrheinrat ein Forum für Mandatsträger, wie beispielsweise Landtagsabgeordnete.
Ferner wurden am Oberrhein vier Eurodistrikte gegründet: der Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau, der nördlich davon gelegene Eurodistrikt Pamina, der Dis­trikt »Freiburg/Centre et Sud Alsace« und der »Trinationale Eurodistrikt Basel«. Diese Einrichtungen engagieren sich eher für die
Kooperation vor Ort.

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