Interview des Tages mit Künstler Enno Schmidt

Ja zum bedingungslosen Grundeinkommen

Christoph Rigling
Lesezeit 7 Minuten
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21. September 2014

Der Künstler Enno Schmidt streitet seit acht Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen. Morgen, Dienstag, spricht er in Offenburg über die Chancen dieser neuen Einkommensform. Er referiert ab 19.30 Uhr in der Waldorfschule. ©Natalie Szathmary

Eine Idee geht um die Welt – das bedingungslose Grundeinkommen. Die Chance für Müßiggänger, eine Utopie oder doch realistisch. Die Mittelbadische Presse sprach mit Enno Schmidt, dem Mitbegründer der Schweizer Volksinitiative, über die Sinnhaftigkeit des Grundeinkommens.

Herr Schmidt, Ihre Initiative zum bedingungslosen Grundeinkommen sieht auf den ersten Blick wie ein Gag aus. Sie wirkt so paradiesisch unrealistisch. Aber Sie meinen es ernst, oder?
Schmidt: Ja, natürlich.

Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Schmidt: Unsere Lebenswege und Arbeitsauffassungen werden stark vom Geld bestimmt. Der Mensch, von dem doch alles ausgeht, tritt eher in den Hintergrund. Dabei bestehen viele Ideologien und Illusionen, was die Aufgaben und den Sinn von Geld und Wirtschaften angeht. Ich glaube es ist an der Zeit für eine Aufklärung. Was ist der Stand der Dinge? Wir leben ja nicht mehr vor 100 Jahren.

Das müssen Sie jetzt genauer erklären.
Schmidt: Bleiben wir beim Einkommen: ist das die Folge meines Tuns? Oder dessen Voraussetzung? Tue was, dann wirst du bezahlt! Gut. Bei manchen Arbeiten ist das so. Aber um etwas zu tun, brauche ich erst mal ein Einkommen. Und das braucht jeder sogar ganz unabhängig davon, ob er etwas tut und was er tut. Wir leben in einem Zeitalter, in dem sich niemand mehr selbst versorgen kann. In der globalen Arbeitsteilung sind wir weltweit füreinander tätig. Man kann auch sagen, wir leben im totalen Sozialismus.

Wirklich?
Schmidt: Es wird nicht so gesehen. Aber sachlich ist es so.  Die Dinge, mit denen Sie gerade arbeiten, haben andere für Sie gemacht. Und das Ergebnis Ihrer Arbeit ist nicht für Sie, sondern für andere. Die Existenzbasis können wir uns bei der gestiegenen Produktivität demokratisch zusprechen. Das ist ein Schritt in eine neue Einkommensform. Vielleicht hört sich das paradiesisch an. Aber auch die Aufgaben, die auf uns zukommen, verändern sich. Ich nenne nur mal als Stichwort den Klimawandel, Identitätsfragen, auch seelische Arbeit, das Zwischenmenschliche. Vieles wird Arbeit, was bisher noch gar nicht als solche begriffen wird.

Und was hat das jetzt mit dem Grundeinkommen zu tun?
Schmidt: Für dieses neue Arbeiten brauchen wir mehr Raum zur Initiative als Programme mit Vorgaben. Dafür brauchen wir eine Einkommensform, die ermöglicht und nicht vorbestimmt. Das ist nicht der Aspekt des Paradiesischen. Wem darauf nichts einfällt als: Ich-mach-jetzt-mal-gar-nichts, nun gut. Der steht damit aber vor sich selbst und nicht in der Freizeit.

Geht’s um Umverteilung?
Schmidt: Es geht beim Grundeinkommen nicht um Umverteilung oder eine Sozialleistung mit der Gießkanne. Für mich ist das vor allem ein Kulturimpuls, weil es Fragen aufkommen lässt, wo heute so viele eingefahrene Muster und Fraglosigkeiten sich breit machen. Nur aus Fragen entsteht Bewusstsein. Das Grundeinkommen berührt in dieser Weise alle Bereiche.

Es ist aber schon mehr als ein Impuls. In der Schweiz bereiten Sie gerade einen Volksentscheid zum bedingungslosen Grundeinkommen vor. Wie ist da der Stand der Dinge?
Schmidt: Die Schweiz hat eben das, was andere Länder auf der Welt nicht haben. Die direkte Demokratie. Es gibt ein Initiativrecht der Bürger. Wir haben in der Schweiz mehr als 100 000 Menschen gefunden, die eine Abstimmung über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wollen. Die Schweizer Regierung hat nun, ein Jahr nach der Einreichung der Initiative, die Ablehnung der Volksinitiative empfohlen. Voraussichtlich im Herbst 2016 wird die Bevölkerung abstimmen.

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Was meinen Sie, lassen sich die Schweizer für das Thema begeistern?
Schmidt: In schätze mal, dass in der Schweiz zurzeit vielleicht 15 bis 20 Prozent in der Bevölkerung das Grundeinkommen gut finden. Wenn es bis zur Abstimmung 35 Prozent werden, dann ist das zwar immer noch eine Minderheit, aber trotzdem ein Erfolg. Natürlich wollen wir die Mehrheit, aber realistisch gesehen geht es um jeden Einzelnen mehr, der die Idee aufnimmt. Und der sich damit auseinandersetzt. Mir geht es auch um die Wirkung ins Ausland. Da hat unsere erfolgreiche Volksinitiative schon einen gewaltigen Schub gegeben für die Diskussion um ein Grundeinkommen in anderen Ländern.

Gehen wir doch mal an die praktische Umsetzung. Als Student wollte ich später 2500 Mark verdienen. Das Grundeinkommen, das Ihnen für die Schweiz vorschwebt, wäre höher. Also mich würden Sie nur noch auf der Terrasse finden. Müßiggang wollen Sie aber nicht alimentieren.
Schmidt: Doch. Warum nicht? Das kann sehr anspruchsvoll sein. Und anstrengend. Auch darum gehen manche lieber »arbeiten«. Ob Sie Ihre Wohnung mit Terrasse allerdings noch finanzieren können, wenn Sie es beim Grundeinkommen belassen, ist fraglich. Die 2500 Franken, die wir ins Gespräch gebracht haben, sind nur eine Beispielszahl. In der Schweiz kann ein Erwachsener in Zürich oder Genf von 2500 Franken im Monat nicht leben. Von der Kaufkraft her entsprechen 2500 Franken etwa 1100 Euro in Deutschland. Diese Zahlen sind nur Beispiele. Es soll hoch genug sein, um davon zu leben. Worum es mir geht, ist zunächst das Prinzip. Die Frage, die Sie sich beantworten müssen, ist doch, ob Sie nur auf der Terrasse herumliegen wollen?

Wahrscheinlich würde es mir langweilig werden.
Schmidt: Die meisten Menschen, die ich kenne, arbeiten keineswegs nur wegen des Geldes. Sie fühlen sich schon einigermaßen am richtigen Platz. Wäre durch ein Grundeinkommen etwas Druck weg, ein etwas besserer Stand auch gegenüber dem Vorgesetzten da, würden viele mehr auf das pochen, was sie selbst verantworten können und vernünftig finden in der Arbeit, und manche würden sich wohl auch um andere Dinge kümmern wie beispielsweise die Familie.

Gibt es fürs Grundeinkommen schon Beispiele aus der Realität?
Schmidt: In Indien, Kanada und Namibia ist mit dem Grundeinkommen experimentiert worden. Auf der faulen Haut zu liegen war gerade durch das Grundeinkommen nicht mehr schick. Jugendliche haben sich verstärkt um Bildung gekümmert, es ist Wohlstand über das Grundeinkommen hinaus entstanden und so weiter. Das Bedingungslose des Einkommens gibt die Sache mehr in die Hand jedes einzelnen Menschen. Das ist effektiv.

Okay die nächste Frage muss jetzt kommen: Wie finanziert sich das Ganze?
Schmidt: Klar, die muss kommen. Also finanziert ist das Grundeinkommen faktisch schon, weil wir ja nicht vom Geld leben, sondern von Gütern und Diensten. Unsere Produktivität hat dazu geführt, dass genug für alle da ist. Wird ein Grundeinkommen eingeführt, hat das Einfluss auf die Löhne. Mit denen müsste ja die Existenz nicht mehr gesichert werden. Also, die wären von der Aufgabe der Existenzsicherung entlastet und würden mit hoher Wahrscheinlichkeit in den folgenden Verhandlungen niedriger. Dadurch können die Preise sinken. Und müssen es, denn auf die Preise kommt die Grundeinkommensabgabe.

Steht dieser Idee der Egoismus der Menschen entgegen? Die denken halt doch erst an ihr eigenes Hemd.
Schmidt: Die denken schon an sich, das ist richtig. Aber das ist ja nicht alles. Man muss genauer hinschauen. Der Egoismus wird auch gezüchtet. In der Schule geht es schon los, dass man andere nicht abschreiben lässt. Die wenigsten Menschen sind mit diesen Eogismen glücklich. Sie sind eher enttäuscht, dass die Welt ihnen so vorgemacht wird, als gäbe es nur das. Egoismus will auch Anerkennung finden. Und die Wertschätzung gibt es viel mehr im Miteinander als im Gegeneinander. Das Bild, dass jeder nur an sich denkt und den anderen betrügen will, wird uns aufgepresst.

Und wenn dieses Bild, dass der Mensch ein Tier ist, der Realität entspricht?
Schmidt: Ja, dann können wir es auch lassen. Dann wird mit Gewalt geherrscht und wer das Alphatier ist, der hat gewonnen. Dann gibt es keine Moral. Das ist die Inkonsequenz, dass wir uns ein Geschwätz über den Menschen leisten, dass er doch eigentlich ein Tier sei oder nur egoistisch. Aber in der Seele, in der Liebe, im Leben, mit den Kindern und den Menschen um einen herum ist alles anders. Wir haben nicht den Mut, das nach außen zu bringen, was uns als Mensch tatsächlich wichtig ist!

Also mit dem Grundeinkommen wollen Sie Staat, Gesellschaft, Mensch und Arbeit weiterentwickeln?
Schmidt: Genau. Der Mensch wird herausgefordert mehr zu tun, als sich von fremden Vorgaben und anderen tragen zu lassen.

Hintergrund

Enno Schmidt und das Grundeinkommmen

Enno Schmidt (65) ist Künstler, Autor und Filmemacher. Vor acht Jahren gründete er zusammen mit dem Unternehmer Daniel Häni die Initiative Grundeinkommen in der Schweiz. Mit ihrer erfolgreichen Volksinitiative »Für ein bedingungsloses Grundeinkommen« (BDE) gelang es ihnen 2013 in der Schweiz eine Volksabstimmung über ein bedingungsloses Grundeinkommen auf den Weg zu bringen.
Beim BDE wird allen Bürgern ein staatlich finanziertes Einkommen zugesichert – ohne Verpflichtung zur Arbeit oder zu anderen Gegenleistungen. Andere staatliche Zahlungen wie das Arbeitslosengeld oder das Kindergeld entfallen dafür. Befürworter der Idee argumentieren mit der individuellen Freiheit und Selbstverwirklichung. Kritiker lehnen die Förderung nach dem Gießkannenprinzip ab. Auch gilt das BGE bei vielen Volkswirtschaftlern als nicht finanzierbar. Schließlich wird befürchtet, dass bei einem Grundeinkommen kaum noch jemand anstrengende oder schlecht bezahlte Jobs machen würde. Morgen, Dienstag, spricht Enno Schmidt in Offenburg, Waldorfschule, ab 19.30 Uhr über das Thema.

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