Serie zum Zweiten Weltkrieg
Dossier: 

Zwischen Angst und Begeisterung

Michael Hass
Lesezeit 5 Minuten
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30. September 2014

(Bild 1/2) Teil des Westwalls: der Gefechtsbunker Siegfried am Kinzigeck bei Auenheim im Jahr 1940. ©Kreisarchiv Ortenaukreis

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges veränderte sich das Zivil-Leben in der Ortenau erstmal wenig. Das NS-Regime scheute sich, der Bevölkerung allzu große Opfer abzuverlangen. Es bemühte sich auch durch Aufrechterhaltung eines ausgedehnten Kulturbetriebs um Alltagsnormalität.

Von Kriegsbegeisterung konnte nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 in der Ortenau keine Rede sein. Zu frisch war die traumatische Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ein Vierteljahrhundert zuvor mitsamt seinen katastrophalen Folgen. Die miserable Lebensmittelversorgung und die Hungerjahre 1916 bis 1919 waren im Bewusstsein vieler Erwachsener vor allem in den Städten präsent. Ähnlich bedrückt war die Stimmung auf dem Land, wo der Entzug von Arbeitskräften und Pferden Probleme aufwarf.
Das NS-Regime war sich der mangelnden Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung bewusst, und es hatte aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs frühzeitig seine Lehren gezogen: Seit 1937 war die Rationierung von Lebensmitteln, Treibstoff, Kohle und anderen Versorgungsgütern im Reichsverteidigungsrat minutiös vorbereitet worden. Durch gute Ernten 1938 und 1939 waren die Vorratslager zudem reichhaltig gefüllt. Bei Getreide, Kartoffeln, Zucker und Fleisch war ein Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent erreicht worden.

In Lahr hielt sich die Euphorie in Grenzen. Herbert Landolin Müller schreibt in seinem Aufsatz »Zur Geschichte des Nationalsozialismus in Lahr von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges«, der in der Chronik der Stadt Lahr veröffentlicht wurde, dass man in Lahr von »keiner berauschten Kriegsbegeisterung auf den Straßen berichten konnte«. Gefasst und diszipliniert habe die Bevölkerung aufgenommen, dass es lebenswichtige Verbrauchsgüter nur noch auf Bezugsschein geben sollte. Doch kam Unruhe auf, als im September 1939 die Nachricht von der Räumung der Riedorte- der sogenannten roten Zone- in der Stadt die Runde machte. Die Lahrer hatten Angst, dass auch sie an dem Exodus teilhaben sollten. Die Bestimmungsorte der Einwohner in den Riedorten lagen in Württemberg, wo sie bis Dezember verbleiben sollten. Der Krieg war für die Lahrer fern. Abiturienten kamen zwar von der Schulbank an die Front, aber die Daheimgebliebenen brachten lediglich Opfer materieller Art. So beteiligten sich die Lahrer an den »Metallspenden des deutsche Volkes« und gaben Kochtöpfe und sogar Eheringe ab. Der Kriegsalltag in Lahr zeigte sich darin, dass Frauen in der Kriegswirtschaft eingesetzt wurden, Gebrauchsartikel rar wurden und auf der Stadtparkwiese und dem Marktplatz Kartoffeln, Mais und Kohl angepflanzt wurden.

Anders ging es in Kehl zu. 1939 entstand mit einem gigantischen Aufwand an Material und Arbeitskräften der als unbezwingbar propagierte Westwall, die Befestigungsanlage entlang der deutschen Westgrenze von der Schweiz bis zu den Niederlanden über eine Länge von 630 Kilometer. Ungefähr eine halbe Million Arbeitskräfte wurden eingesetzt um rund 14 000 Bunker, Unterstände, 600 Geschütze und 10 000 Maschinengewehrstellungen, Hindernisse und Sperren, unterirdische Unterkünfte und Verbindungsstollen zu bauen. Der Bau verschlang 20 Prozent der Reichsjahresproduktion an Beton, acht Prozent des Jahresholzeinschlags und fünf Prozent der Jahresproduktion an Eisen. Kosten: 3,5 Milliarden Mark bei einem Reichshaushalt von 15-20 Milliarden Mark im Jahr. Die Anzeichen für einen bevorstehenden Krieg waren unübersehbar. Die fieberhafte Bautätigkeit übertrug sich auf die Atmosphäre in der Stadt. Das Stadtbild veränderte sich innerhalb kurzer Zeit. Bunker, Befestigungsanlagen, Laufgräben und Sichtblenden auf dem Rheindamm sowie getarnte Zugänge zu öffentlichen Luftschutzräumen am Marktplatz und Bahnhof gehörten zum alltäglichen Anblick.

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Karl Maier berichtet in der Chronik von Appenweier, dass Ende August 1939 viele Männer die Einberufung erhielten und das Dorf 30 Pferde abgeben musste. Anfang September glich der Ort einem Heerlager. Schule, Kronen- und Sonnensaal waren mit Militär belegt. Die neu aufgestellten Infanterieeinheiten rückten in die Bunkerstellungen des Westwalls an den Rhein ab. Von Kriegsbegeisterung war am 1. September nichts zu spüren. Man sah mit Sorge die vorbeiziehenden Planwagen der Bevölkerung aus dem Hanauerland, die ins Renchtal evakuiert wurden.

Stufenweise wurde bei Kriegsbeginn die Zwangsrationierung eingeführt. Fett, Fleisch, Butter, Milch, Käse, Zucker und Marmelade waren ab dem 1. September 1939 nur noch gegen Lebensmittelkarten erhältlich. Brot und Eier folgten ab dem 25. September. Mitte Oktober 1939 wurde für die nicht Uniform tragende Bevölkerung die Rationierung von Textilien mittels einer ein Jahr gültigen »Reichskleiderkarte« eingeführt. Für bestimmte Berufsgruppen gab‘s sogar Zusatzrationen. Bernd Boll beschreibt den Kriegsalltag in der »Ortenau«, dem Jahrbuch des Historischen Vereins Mittelbaden: So gab’s für Schwer- und Schwerstarbeiter sowie für Lang- und Nachtarbeiter Sonderbezugsscheine. Für Privathaushalte wurde der »Eintopfsonntag« üblich.
Zu Beginn des Kriegs verstärkte sich der Zugriff auf die Jugendlichen, deren Alltag immer weniger von der Schule an sich bestimmt wurde. Ob im Achertal, Renchtal, Hanauerland, Ried oder im Kinzigtal. Klassenweise wurden Kinder und Jugendliche zum Ernteeinsatz verpflichtet. Zu ihrem Alltag gehörten nunmehr auch das Auflesen von Kartoffelkäfern, Verladedienste und die Verteilung von nationalsozialistischem Propagandamaterial. Hinter der trügerischen Kulisse äußerlicher Normalität im Straßenbild, geöffneter Kinos, Wirtshäuser und Cafès kursierte die Angst vor dem Krieg, der im September des Jahres 1939 wie ein Damoklesschwert über der deutschen Bevölkerung hing.

Hier gehts zu unserer interaktiven Karte "Zweiter Weltkrieg in der Ortenau".

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