Interview des Tages

Berichterstattung und AfD – ein Balanceakt

Nikolas Sohn
Lesezeit 7 Minuten
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15. Juni 2016

Provokation ist ein Markenzeichen der rechtspopulistischen AfD: CDU-Abgeordneter Sven Petke (links) signalisiert im Brandenburger Landtag Solidarität mit Fußballnationalspieler Jérôme Boateng. AfD-Vize-Chef Alexander Gauland hatte in einem Pressegespräch gesagt, Leute fänden Boateng als Fußballspieler gut, wollten ihn aber nicht als Nachbarn haben. ©dpa

Hit and run: So bestimmt die AfD seit Monaten die Medien-Agenda. Lässt sich die Presse einfach so benutzen? Nein, sagt Simone Rafael, Medienexpertin von der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung im Interview mit der Mittelbadischen Presse: Der Schnelligkeit von Populismus aber solle man nicht auf gleiche Weise, sondern stärker analytisch begegnen.

Haben die Medien die AfD erst groß gemacht?
Simone Rafael: Das ist die große Frage. Die hat sich ja bei Pegida schon gestellt. Ich bin selbst ein großer Fan von Monitoring und Aufklärung, das heißt ich finde es schon sehr wichtig, dass über solche Phänomene geschrieben wird. Zu sagen, wir berichten gar nicht, in der Hoffnung, dass wir das dann nicht »groß schreiben«, fände ich grundverkehrt. Medien müssen auch berichten, was in der Welt vor sich geht, gerade über Themen wie rassistische Ausfälle. Bei der AfD hat man es aber mit einer Partei zu tun, die mediale Mechanismen ziemlich gut durchschaut. Ich habe manchmal den Eindruck, sie nutzt diese ganz gerne, um den nächsten Skandal vom Zaun zu brechen, um wieder eine große Presseöffentlichkeit zu haben. Wenn es eine Instrumentalisierung wird, müssen Medien darüber nachdenken, wie sie damit umgehen. Aber diese Diskussion startet gerade erst.

Oder kann die Partei einfach besser Facebook als CDU und SPD?
Rafael:
Es wird ja gerne gesagt, dass die AfD eine Internet-Partei sei. Dabei ist sie nicht besonders innovativ oder mit besonderen Anspracheformen im Netz aktiv. Aber sie kann offensichtlich die Wichtigkeit von sozialen Medien für ihre Zielgruppe weitaus besser einschätzen, als viele andere demokratische Parteien. Die AfD macht sehr zielgruppengenaue Angebote. Und sie hat eine ganz geschickte Strategie in den sozialen Netzwerken: Die offiziellen Partei-Accounts posten eher seriös, konservativ, politisch. Gleichzeitig werden »Privat«-Accounts von einzelnen Funktionären und Mandatsträgern genutzt, um die rechtsaußen-stehende, antisemitische-rassistische Klientel zu bedienen. Dort werden Sachen geteilt, die die AfD über offizielle Parteiaccounts nie verbreiten würde – immer mit der Idee im Hinterkopf, dass man dann im Zweifelsfall, falls es jemandem auffällt, sagen kann: »Das ist ja keine Partei-, sondern eine Einzelmeinung.«

Ob Gaulands Hin und Her bei Boateng oder Frauke Petrys Herumlavieren beim Schusswaffengebrauch – die Themen sind sofort in den Medien bundesweit präsent. Erkennen Sie da eine besondere AfD-Methode?
Rafael:
Das Hin und Her kommt bei der AfD offensichtlich öfter vor, wobei ich auch immer wieder selbst darüber rätsele, wann es eine Methode ist und wann mangelndes Nachdenken. Erst wird etwas Krasses, Entlarvendes gesagt und dann im Zweifelsfall versucht, wieder zurückzurudern: Das habe man nicht so gemeint oder das ist mir in den Mund gelegt worden, oder gar, das hätte man so ja gar nicht behaupten wollen. Die Fälle sind unterschiedlich gelagert. Das Interview mit Frau Petry (»Mannheimer Morgen«) war da eine sehr gute journalistische Arbeit – also einfach mal bei dieser Dame solange nachfragen, was denn die Konsequenz aus ihren Forderungen ist, bis sie nicht mehr darum herumkommt, es auch zu benennen.

Und bei Boateng?
Rafael:
Im Falle Boateng hatte ich den Eindruck, dass es langsam als Methode eingeübt wird. Alexander Gauland hat sehr geschickt eben nicht gesagt: »Ich hätte nicht gerne Herrn Boateng als Nachbarn«, sondern nutzte die Formulierung »Die Leute möchten das ja nicht«. Als Empörung aufkam, konnte er sich dann passend darauf zurückziehen und sagen, er habe ja nur erzählt, was andere denken. Das Ganze hat zum Glück ja eine gegenteilige Reaktion ausgelöst, weil viele öffentlich bekundet haben, dass sie lieber nicht neben Gauland, sondern neben Herrn Boateng wohnen möchten. Der ist sympathischer, ein völlig normaler deutscher Staatsbürger und vermutlich ein netter Nachbar.

Hochrangige AfD-Vertreter punkten mit Begriffen wie »Genderwahn«, »Asylflut« oder der »Islamisierung Deutschlands«. An wen richtet sich diese Sprache?
Rafael: Diese Sprache richtet sich sehr deutlich an die rechtspopulistische und islamfeindliche Szene in Deutschland. Viele »Medien« aus diesem Spektrum nutzen diese Sprache – auch die »Junge Freiheit«, die noch als Medium durchgehen mag, vor allem aber die unendlich vielen Blogs und Facebookseiten, die diese Szene bedienen mit vermeintlichen »Nachrichten«, die aber mit journalistisch überprüften Erkenntnissen nichts zu tun haben, sondern aus Lügen und Verzerrungen bestehen, die in dieser Szene wirken. Wenn normale Nachrichten aufgegriffen werden, werden diese entsprechend der eigenen Ideologie umgeschrieben.

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Einfache Lösungen für komplexe Probleme, bzw. Schuldzuweisungen an gewisse Bevölkerungsgruppen hatten wir vor knapp 80 Jahren schon mal ... 
Rafael:
Ja, das stimmt.

Warum funktioniert das Rezept immer noch?
Rafael:
Viele Menschen stehen einer komplexen Welt gegenüber und verstehen nicht, wie sich Politik und Gesellschaft entwickeln. Sie haben vielleicht auch den Eindruck, dass in ihrem eigenen Leben etwas nicht so rund läuft, wie sie sich das vorgestellt haben. Jetzt könnte die Person ja sagen, ich versuche zu verstehen, was in der Welt vor sich geht, oder was in meinem Leben schief gelaufen ist, und ändere das dann selbst – oder aber ich finde jemanden, der mir sagt, da sind alle möglichen Leute dran schuld, nur nicht du. Diese Lösung kann für manche attraktiv sein. 

Sozusagen der austauschbare Schuldige?
Rafael:
Wer derjenige ist, der »schuld« ist, kann dabei variieren: Ob das die politischen Eliten sind, die angeblich nur in ihre eigene Tasche wirtschaften und eben nicht mehr an den kleinen Mann oder die kleine Frau denken - oder die Presse, die angeblich nicht berichtet, was »wirklich« in der Welt passiert, sondern nur, was ominöse »Machthaber« ihr befehlen. Für manche sind eben auch die Migranten oder die Flüchtlinge schuld – weil sie mir vermeintlich meinen Job wegnehmen, oder immer noch die Jüdinnen und Juden – da kann man im Prinzip verschiedene Gruppen einsetzen. Und je nachdem, wieweit jemand in einer rechten oder rechtsextremen Ideologie zu Hause ist, tut er oder sie das auch.

Inwieweit tun sich die Medien schwer mit der AfD?
Rafael:
Es gibt doch durchaus gute Berichterstattung über die AfD und über deren Inhalte. Das einzige, wo sich die Medien wirklich schwer tun ist, scheint mir der Bereich TV-Talkshows zu sein. Jahrelang war es Konsens, Rechtsextremen wie der NPD keine Bühne zu bieten. Und jetzt schien die AfD eine ganze Weile lang die Alternative zu bieten, trotzdem einen kontroversen Menschen aufs Podium setzen zu können und mit solchen Leuten einmal zu diskutieren. Vielleicht auch, um zu zeigen, wie gut man selbst deren Thesen wiederlegen kann. Diese Freude am Konflikt wird mir aber da zu groß, wo es wochenlang kaum Talkshows ohne AfD-Vertreter mehr gab. Das ist unverhältnismäßig. 

Sicher auch eine Frage der Gästeauswahl ...
Rafael: Schlimmstenfalls waren die Mitdiskutierenden dann so gewählt, dass einem sehr geschulten, ideologisch gefestigten Rechtspopulisten dann Schauspieler und engagierte Ärzte gegenübersitzen, die die Demokratie verteidigen sollen. Das können die aber oft nicht so gut wie ein geschulter Ideologe. Da wünsche ich mir bessere Vorbereitung und fairere Zusammensetzung. Und Überlegungen dazu, wie Medien über problematische Inhalte der AfD berichten können.

Was wäre eine angemessene Berichterstattung?
Rafael:
Wir scheinen jetzt in einem Prozess der Reflexion angekommen. Medien beginnen, nicht über jeden Einzelvorfall zu berichten, sondern auch einmal zu analysieren, zusammenzufassen. Andererseits gibt es durch soziale Netzwerke die Dynamik, dass Medien reflexhaft immer mit jeder Information mithalten wollen, sie wollen ja auch die Klicks haben. Für die gesellschaftliche Diskussion wäre es aber sinnvoll, das nicht immer zu tun. Ich würde mir wünschen, dass  Medien eher analytische Artikel schreiben: Was die AfD da für Positionen vertritt, auch im lokalen Raum. Oder wie agieren sie in der politische Praxis, im Landtag? Beteiligen sie sich? Torpedieren sie das Gremium,  kommen sie vielleicht gar nicht hin?

Zur Person

»Rechts«-Expertin

Die langjährige Journalistin Simone Rafael initiierte 2002 für den »Stern« und die Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung die Homepage www.mut-gegen-rechte-gewalt.de. Seit 2009 ist die 42-Jährige Chefredakteurin von Netz-gegen-Nazis.de in Zusammenarbeit mit der Zeitung »Die Zeit«. Die gemeinnützige Amadeu-Antonio-Stiftung will die Zivilgesellschaft stärken und engagiert sich mit verschiedenen Projekten gegen rechts. 

http:// www.amadeu-antonio-stiftung.de

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