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Ein Leben als Illegaler in den USA unter Trump

Friedemann Diederichs
Lesezeit 5 Minuten
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01. April 2017

Angst vor der Ausweisung: Josue Romero. © Friedemann Diederichs

Millionen von Menschen leben und arbeiten seit Jahren illegal in den USA – Donald Trump möchte das möglichst schnell ändern.

Dass sich Josue Romero als Gejagter fühlt, zeigt schon seine Körpersprache. Immer wieder ein kurzer Blick über die Schulter, als er sich in einem Café dem Reporter anvertraut. Der 19-jährige Kunststudent trägt einen Rucksack, in dem er neben seiner Wasserflasche und den Studienunterlagen auch das verstaut hat, was er als seinen Notfall-Plan bezeichnet: ein Büchlein mit Adressen und Telefonnummern von Freunden und Verwandten seiner Eltern in Honduras. Erste Anlaufstellen für den Fall der Fälle. Und Orientierungshilfen für ein fremd gewordenes Land, das er als Vierjähriger zusammen mit seinen Eltern in Richtung USA verlassen hat. Und in das er nun, aufgewachsen in der US-Gesellschaft und in amerikanischen Schulen, über Nacht in eine ungewisse Zukunft abgeschoben werden könnte.

Angst im Nacken

»Was soll ich dort?«, fragt er. »Die Chancen, die ich hier habe, hätte ich in Honduras niemals.« Die Angst sitzt dem jungen Mann, der derzeit im Bundesstaat Texas an einer Kunstschule für seinen »Bachelor of Fine Arts« studiert und Lehrer werden will, seit dem 8. November 2016 ebenso im Nacken wie den elf Millionen weiteren Einwanderern, die sich illegal in den USA aufhalten. Denn Donald Trump macht sein Wahlkampfversprechen wahr und geht mit Razzien quer durch das Land gegen jene vor, die er in seinen Reden immer wieder als »bad hombres«, also »schlechte Männer«, sowie als Mörder, Vergewaltiger und Drogendealer gebrandmarkt hat.  

Josue Romero fällt in keine dieser Kategorien. Eigentlich hätte er sich sicher wähnen können, denn unter Trumps Amtsvorgänger Barack Obama wurde 2012 das sogenannte »DACA«-Programm geschaffen. Es schützt Kinder, die von ihren Eltern illegal ins Land gebracht wurden, vor der Abschiebung und erlaubt einen Schulbesuch, ein Studium oder eine Arbeitsaufnahme. Alle zwei Jahre muss ein neuer Antrag für den DACA-Status gestellt werden. Rund 860 000 junge Menschen sind in diesem Programm registriert. Was aus ihnen nun wird, weiß niemand. Trump verkündete kürzlich kryptisch, DACA sei eine »sehr, sehr schwierige Frage« für ihn. Er werde sie aber »mit dem Herzen« betrachten.

In einer Zelle mit 14 Männern

Das war wenige Tage, bevor Josue Romero abends zum Skateboarden mit dem Auto seines Vaters in einen Park fuhr. Und es war der Abend, an dem er einen folgenschweren Fehler beging. »Ich war erschöpft und habe im Auto einen Joint geraucht«, sagt er. So wie es Millionen Menschen in den USA jeden Tag tun. Der Park schließt um 22 Uhr. Zwei Minuten nach der  Schlusszeit rasen zwei Polizeiwagen auf ihn zu. Die Beamten riechen das Marihuana, Josue wird festgenommen. Auf dem Revier verbringt er nur wenige Stunden. Dann kommt  die Grenzschutzpolizei ICE – und bringt ihn ohne ein Verfahren in ein 100 Kilometer entferntes Abschiebelager.

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»Wie ein Schwerverbrecher«, erinnert sich der Student: »Ich hatte Hand- und Fußfesseln und um den Bauch eine dicke Kette.« Er schläft in einer Zelle mit 14 Männern auf dem Fußboden. Der Vater, den er noch anrufen konnte, informiert Freunde. Diese wiederum wenden sich an einen Lokalpolitiker mit Beziehungen. Er schafft es, dass Josue am nächsten Tag zumindest wieder auf freien Fuß gesetzt wird.

Die Liste

Dass sich Menschen für ihn einsetzten, hat Josue Romero eine Gnadenfrist beschert – mehr aber nicht. In Kürze steht sein Gerichtsprozess wegen des Marihuana-Gebrauchs an. Texas hat scharfe Strafen. »Werde ich verurteilt, komme ich auf die Liste«, sagt er. Die Liste: Das sind jene Einwanderer mit illegalem Status, die ein Verbrechen begangen und größte Abschiebe-Priorität haben. Unter Barack Obama, der früher als Student selbst Joints rauchte, hätte der Student nichts befürchten müssen. Doch Donald Trump unterzeichnete im Januar ein Dekret, das die Daumenschrauben anzog: Migranten können nun bereits abgeschoben werden, wenn sie nur unter dem Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben. Eine Verurteilung ist für die Deportierung nicht mehr notwendig. Und: Kleinere Vergehen reichen auch schon fürs Ticket für den Abschiebe-Bus. »Bis zum Anschlag aufs Gaspedal drücken« – so beschrieb ein Berater Trumps die neue Strategie. Josue Romero könnte von ihr überrollt werden.

Millionen Einwohner ohne Dach

Unter dieser Regierung gibt es keine zweiten Chancen mehr«, hat ein ICE-Polizist dem 19-Jährigen dann auch mit auf den Weg gegeben. Was heißt: Jederzeit können wieder die Handschellen klicken. »Ich fahre nicht mehr Auto,« sagt Josue. Er hat Angst, dass nach einem Unfall oder Verkehrsvergehen die örtliche Polizei erneut die Abschiebe-Beamten ruft. Seinen Vater, der ebenfalls illegal in den USA lebt und sich als Mechaniker mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, hat er bereits darauf vorbereitet, vielleicht eines Tages nicht mehr in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren.

Er fürchtet zudem, dass der Vater das angemietete Apartment  verlieren wird. Denn in Washington werden Überlegungen angestellt, künftig die Vermietung an illegale Migranten unter Strafe zu stellen. Dann wären auf einen Schlag Millionen Einwanderer ohne ein Dach über dem Kopf. Es wäre ein indirekter Weg, sich dieser zum festen Bestandteil der Gesellschaft gewordenen Menschen zu entledigen. »Viele müssten dann in ein Land zurückkehren, das ihnen keine Perspektive gibt«, prophezeit Josue Romero.

Dann bedankt er sich höflich für das Gespräch. Und schaut, bevor er das Lokal verlässt, durch die Fenster auf die Straße.  Auf der Suche nach Männern in blauen Windjacken, die auf der Rückseite die Buchstaben »ICE« tragen.

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