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Guido Westerwelle: Vom Lautsprecher zum Nachdenklichen

Hagen Strauß
Lesezeit 4 Minuten
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18. März 2016
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(Bild 1/4) ©dpa

Anfang November letzten Jahres erlebte man einen Guido Westerwelle, wie man ihn nicht kannte. Weich, milde, selbstreflektiert, von Wichtigerem beseelt als von Macht und parteipolitischer Karriere. So präsentierte sich der frühere FDP-Chef und Außenminister nach seiner ausgestanden geglaubten Leukämieerkrankung wieder der Öffentlichkeit. Der Politiker von früher schien unheimlich weit weg zu sein. Westerwelle stellte sein Buch über sein Krebsleiden vor – »Zwischen zwei Leben«. Damals sagte er: »Ich habe den Plan zu überleben.« Etwas mehr als vier Monate danach hat er den erneuten Kampf gegen seine Erkrankung verloren. Guido Westerwelle ist gestern im Alter von 54 Jahren gestorben.

Der Krebs habe sein Leben auf den Kopf gestellt, so der Liberale im November. »Mein Gott!«, denke er inzwischen häufig, »worüber hast du dich früher alles aufgeregt?« Er wusste also selbst: Über vieles. Der Politiker Westerwelle, wie ihn Freund und Feind in Erinnerung behalten werden, war angriffslustig, ein bravuröser und geschliffener Redner, dabei gerne etwas zu laut und zu schrill. Einer, der »eine ganze Generation herausgefordert hat«, wie Parteichef Christian Lindner gestern mit tränenerstickter Stimme meinte. Das stimmt. Es gab sogar Zeiten, da war die Herausforderung fast unerträglich, weil Westerwelle keine Peinlichkeit zu peinlich war. Im Jahr 2000 zum Beispiel war er der erste Politiker, der den Big-Brother-Container besuchte. Ein handfester Aufreger in der damaligen Zeit. Für die Bundestagswahl 2002 ließ er sich dann das »Projekt 18« aufschwatzen, Westerwelle fuhr mit dem »Guido-Mobil« durch die Gegend und trug das Wahlziel »18 Prozent« unter seinen Schuhsohlen. Er wurde zur Lachnummer – die Partei landete bei 7,4 Prozent.

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Westerwelle hatte aber stets Glück, dass es in der FDP eigentlich nie einen Besseren gab als ihn – schnell im Denken, herausfordernd, polarisierend, aber durch und durch liberal. Seine politische Karriere nahm zu Beginn der 80er Jahre ihren Lauf. Gerne erzählte er von damals eine Anekdote. Er sei im Bonner Hofgarten mittendrin gewesen, als Hunderttausende gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert hätten. Flugblätter habe er verteilt. »Aber dafür«, so Westerwelle stolz und breit grinsend. An Selbstbewusstsein, an Stehauf-Mentalität fehlte es ihm nie. Er war immer ein Kämpfer. Also kämpfte sich der spätere Jurist und Anwalt auch in seiner Partei nach oben. Von 1983 bis 1988 als Chef der Jungen Liberalen, von 1994 bis 2011 als Generalsekretär. Dann, mit 39, wurde er Parteivorsitzender. Bei der Bundestagswahl 2009 holt er mit über 14 Prozent das historisch beste Ergebnis der FDP. Und Westerwelle wurde Außenminister in seiner Wunschkoalition mit Angela Merkel und ihrer Union.

Viele haben ihm, dem Wadenbeißer und Lautsprecher, den Wandel zum Diplomaten jedoch nie abgenommen – und anfangs versuchte er sogar in bewährter Manier, sich innenpolitisch einzumischen. Er sprach von »spätrömischer Dekadenz« einiger Hartz-IV-Empfänger – und leitete damit den Abstieg vom Aufstieg seiner Partei ein, der 2013 im Rauswurf aus dem Bundestag mündete. Seinen Gegnern rief er da zwar noch zu: »Ihr kauft mir den Schneid nicht ab.« Doch nach anderthalb Jahren musste Westerwelle Parteivorsitz und Vizekanzlerschaft abgeben. Zwar lief es für die FDP mit Philipp Rösler an der Spitze keinen Deut besser. Fortan widmete sich Westerwelle aber nur noch der Außenpolitik. Durchaus mit einigen Erfolgen. Zur Lage der FDP? Kein Wort mehr. Verwunden hat er den Rauswurf lange nicht.

Im Privaten war er der erste deutsche Spitzenpolitiker, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Ausgerechnet zum 50. Geburtstag von Angela Merkel 2004 präsentierte er seinen Partner, den Sportmanager Michael Mronz. Die Vorstellung seines Buches im November geriet dann auch zur großen Liebeserklärung für Mronz, mit dem er die Leidenschaft für den Pferdesport teilte. Als Politiker versteckte Westerwelle seine Gefühle freilich meist hinter großem Pathos. Aber vor vier Monaten war er schon lange kein Politiker mehr.

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