Ja zu Hillary, träumen von Michelle
In einer geschichtsträchtigen Stadt schreibt Hillary Clinton selbst Geschichte. Die erste große Hürde meisterte die Demokratin. Doch die große Show wurde ihr von Michelle Obama gestohlen, die mit einer mitreißenden Rede für Furore sorgte.
Hillary Clinton geht als erste Frau für eine der beiden großen Parteien ins Rennen um das Präsidentenamt der USA. Ein Parteitag der Demokraten wählte am Dienstag (Ortszeit) in Philadelphia die frühere First Lady, Außenministerin und Senatorin zur Präsidentschaftskandidatin. Die 68-Jährige tritt bei der Wahl am 8. November gegen den Republikaner Donald Trump (70) an
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Viele unter den Delegierten sprechen von einer »ganz großen Rede«. Andere machen keinen Hehl aus dem Gedanken, dass sie eine gute Präsidentin wäre. Die Rede ist aber nicht von Hillary Clinton, unter der sich die Demokraten aufgrund der Sanders-Opposition schwergetan haben, Einheit zu finden. Nein, 24 Stunden nach ihrem Auftritt beschäftigt die First Lady Michelle
Obama immer noch die Gemüter. Und schnell gab es sogar einen Twitter-Hashtag mit der Devise »ElectMichelle« (»Wählt Michelle«). Dafür ist es jetzt zwar in Philadelphia zu spät, aber manche Medien glauben, dass ihre Ansprache »in die Geschichte eingehen wird« (Magazin Elle).
War es möglicherweise der Grundstein für eine eigene Kandidatur in 2020 oder 2024 – dann, wenn die beiden Töchter längst aus dem Haus sind und der sportversessene Ehemann auf Hawaii lebt, wo er ja am liebsten seine Pensionärszeit täglich auf dem Golfplatz verbringen würde? Nichts wäre undenkbar in einem politischen Amerika, wo zuletzt vor allem die Familien Bush und Clinton Präsidenten und Präsidentschaftsbewerber stellten. Und keiner weiß wohl besser als die gelernte Juristin aus Chicago, wie schnell eine einzige Rede ein politisches Talent nach oben spülen kann. Gesehen hat es die 52-Jährige auf dem Demokraten-Parteitag 2004 in Boston, als ein junger Senator namens Barack Obama ans Podium trat und ein unabhängig von Hautfarben vereintes Amerika beschwor. Die Delegierten ahnten damals: Dieser Mann hat enormes Potenzial. Vier Jahre später katapultierten Charisma, ein Berg von Versprechen, die Hoffnung auf Wandel und die Bush-Müdigkeit Barack Obama ins höchste Amt.
Zwar hat Michelle Obama in den wenigen Interviews, die sie bisher gegeben hat, eher wenig Interesse an einer politischen Karriere gezeigt und stattdessen immer wieder – und für manche US-Bürger aus der Mittelschicht angesichts des großen Helferstabes etwas befremdlich – darüber geklagt, wie schwer doch das Leben einer First Lady sei, die so viel reisen müsse. Doch auch Hillary Clinton hielt sich als Senatorin lange zurück, bis sie endlich öffentlich bekannt gab, nun die letzte Stufe in ihrem Lebensplan erklimmen zu wollen.
Ob die Parteitagsrede von Michelle Obama wie prophezeit in die Geschichte eingehen wird, scheint eher fraglich. Inhaltlich hat die Juristin eigentlich nicht mehr getan als einfühlsam über die Zukunft ihrer beiden Mädchen und des Nachwuchses der Wähler zu philosophieren und dann das Bild vom bösen Donald Trump an die Wand zu malen, ohne ihn ein einziges Mal beim Namen zu nennen. Vermutlich hat Barack Obama an der Ansprache sogar mitgearbeitet. Doch Geschichte schreiben könnte die zur Mode-Ikone gewordene First Lady mit einer zukünftigen Kandidatur allemal – und es dann als erste schwarze Frau zur Präsidentin schaffen. Ihre parteiinterne Gegnerin könnte dann – pikant, pikant – die mehrfache Großmutter Hillary Clinton sein.