Porträt: Tillich gilt als Mann ohne Ecken und Kanten
Manchmal widerspricht Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sogar der Kanzlerin. Und manchmal kommt er dafür in die Schlagzeilen, so wie im Januar 2015.
Damals sagte Tillich in einem Interview, Muslime seien in Deutschland willkommen und könnten ihre Religion ausüben: «Das bedeutet aber nicht, dass der Islam zu Sachsen gehört.» Seine Parteichefin Angela Merkel hatte es kurz zuvor mit Bezug auf Deutschland genau anders gesagt und damit Worte des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff aufgegriffen.
Böse Zungen lästerten schon damals, ob Tillich seinen Freistaat gar nicht mehr als Teil Deutschlands betrachte. Viel schlimmer aber noch war die Außenwirkung dieses Satzes. Denn fast zeitgleich zu Tillichs Äußerungen weilte eine Delegation aus dem Emirat Abu Dhabi in Dresden. Die Besitzer des Dresdner Chipherstellers Globalfoundries verhandelten seinerzeit über neue Investitionen für das Werk in der Elbestadt. Zu Tillichs Ehrenrettung muss man sagen: Kurze Zeit später brachte er den Deal bei einem Besuch am Golf unter Dach und Fach.
Es ist eine merkwürdige Form von Unentschiedenheit, die es mitunter schwerfallen lässt, Tillich richtig einzuordnen und auf Positionen festzunageln. Auch in der aktuellen Flüchtlingskrise. Mal fordert Tillich eine Zuzugsbegrenzung, schnellere Abschiebungen und schärfere Grenzkontrollen. Mal appelliert er an die Mitmenschlichkeit der Sachsen und sagt, dass ihm all die Hilfsbereitschaft im Lande Hoffnung mache. Kritiker halten sein ständiges Changieren zwischen Positionen nicht für unentschieden, sie halten es für profillos.
Tatsächlich hat sich der 56 Jahre alte Sorbe seit seinem Amtsantritt als sächsischer Regierungschef 2008 bundespolitisch bisher kaum in Szene gesetzt. Seit vergangenem Herbst amtiert er als Bundesratspräsident und vermag dabei Akzente zu setzen.
In diesem Amt versteht sich Tillich, der mehrere slawische Sprachen beherrscht, als Brückenbauer zu den EU-Mitgliedern in Mittel- und Osteuropa. Unlängst wurde er beim Antrittsbesuch in Warschau herzlich empfangen wie sonst nur der Papst - die gesamte Staatsspitze stand als Gesprächspartner bereit.
In Sachsen steht ihm die Rolle als gütiger Landesvater deutlich besser als die des streitbaren Politikers. «Tillich ist freundlich und sieht gut aus. Er redet keine Dinge, die Leute verletzen würden. Er hat eine ganz vorzügliche Benutzeroberfläche», sagt der Parteienforscher Werner J. Patzelt. Doch intern wisse Tillich genau, wie man Macht und Einfluss sichert. Die Sachsen würden sich in Tillich wiedererkennen und wohl lieber von einem «guten Monarchen» geführt werden wollen: «Dieses Gefühl verbreitet Tillich.»
Politikwissenschaftler Tom Thieme formuliert es härter: «Tillich pflegt die Eigenschaften eines typischen Merkel-Vertrauten, als der er lange galt: konsensorientiert, meinungsschwach, ein Mann ohne Ecken und Kanten.» Die ruhige Hand des Ministerpräsidenten als Landesvater möge in «normalen» politischen Zeiten gut ankommen. Doch vor den aktuellen Herausforderungen speziell in der Flüchtlingsfrage und bei einer hochgradigen gesellschaftlichen Polarisierung zeige Tillich sich orientierungs- und ziellos.
«Er weiß wie Merkel weder die sich wandelnde politische Stimmung richtig einzuschätzen, noch wie der gesellschaftliche Frieden wiederherzustellen ist», sagt Thieme und benennt auch die Konsequenz: Statt einer politischen Leitidee zu folgen und das Risiko einzugehen, einem Teil der Bevölkerung damit nicht zu gefallen, versuche Tillich es mit Kompromissen und ausgleichenden Positionen - und erfahre so Kritik von allen Seiten.