SCO - OFV: Derby, Clásico – Straßenfeger?
Von Thomas Kastler
Derby ist dann, wenn Leute vom Fußball Fieber kriegen oder ihren Nachbarn nicht mehr grüßen, weil der ein Fan des Erzrivalen ist. Beim Derby geht es nicht nur um Sieg und Punkte. Nein, der Gegner muss gedemütigt werden und leiden wie ein Hund – zumindest bis zum nächsten Derby.
Es gibt sie alle: Regional-Derbys, Lokal-Derbys und Stadt-Derbys. Je näher, desto heißer. So wie im letzten Finale der Champions League: Real Madrid – Atlético Madrid. Oder wenn Bayern gegen die »Sechziger« spielt. Mehmet Scholl, heute pfiffiger ARD-Experte, erklärte das Besondere am Duell gegen 1860 München einst so: »Die Brisanz hat man daran erkannt, dass sich sogar Franz Beckenbauer über unsere Tore gefreut hat.«
Morgen (18 Uhr) gibt’s das erste Offenburger Stadt-Derby, das allererste um Punkte. Schutterwälder Straße kontra Badstraße – oder: SC Offenburg gegen den Offenburger FV. Vier Aufstiege des kleinen SCO in sechs Jahren sowie der Abstieg des OFV aus der Oberliga waren nötig, dass die beiden jetzt in der Fußball-Verbandsliga Südbaden aufeinandertreffen.
Und Fußball-Offenburg steht Schlange. Denn: Der furios gestartete SCO ist zwar der Herausforderer, aber nicht mehr der Außenseiter.
All die vielen Jahre gab’s Duelle zwischen den Weißen und den Roten höchstens in der Jugend. Auf Augenhöhe war das aber selten bis nie.
Mitte der 70er-Jahre hieß der Mittelfeld-Zampano in der OFV-A-Jugend Sven Möschle. Er hatte eindeutig die längsten Haare und auch sonst die Sache einigermaßen im Griff. Und es war noch die Zeit der Sonderbewacher, der Manndeckung. Möschles Wadenbeißer war Bernhard Schulz aus dem Stockfeld. Und als der Ball ganz weit ins Aus flog und ihn Möschle mangels Zuschauer selbst holen musste, folgte ihm Schulz wie ein Wachhund übers Spielfeld hinaus – immer im Abstand von vier, fünf Metern. Später rechtfertigte er sich damit: »Mein Trainer hat mir die Anweisung gegeben: Wenn der Möschle pinkeln muss, dann gehst du mit aufs Klo...!«
Dieser Respekt ist heute Schnee von gestern.
Aber damals war der SC Offenburg ein reiner Zuliefererverein ohne eigene Perspektive. Wer geradeaus laufen und auch noch einen Ball stoppen konnte, der ging ohnehin früher oder später zum OFV. Bekannteste Beispiele: Michael Hertwig, der es bis in die Bundesliga schaffte, oder aktuell Marco Petereit.
Alles Jungs aus Hildboltsweier oder Albersbösch.
Einer tat das nicht: Günter Nieswandt, Anfang der 70er das große Torhütertalent des SCO, blieb an der Schutterwälderstraße. Heute, mit 59, sagt er: »Wir kamen aus Ostpreußen, sind in Albersbösch aufgewachsen und für uns hieß es: Berliner Straße, Eichendorff-Schule, SCO.« Außerdem, so hat er erst viel später überlegt: »Ich habe damals meine Leistung gar nicht so erkannt. Man ging halt zum SCO.«
Der moderne Nieswandt heißt Daniel Künstle (23) und ist der aktuelle Keeper des SC Offenburg. Vermutlich hat er auf dem Sportplatz an der Schutterwälderstraße das Laufen gelernt. Jedenfalls ließ er schon in der Jugend Angebote vom SC Freiburg und Karlsruher SC links liegen. Beide hätten ihn gerne in ihre Fußballschule geholt.
Heute ist Künstle eine Art eierlegende Wollmilchsau beim SCO. Er hält den Kasten sauber, schreibt die Berichte für die Lokalpresse, schießt sogar die Elfmeter selbst – und Insider vermuten, dass er bald auch noch während des Spiels Radio-Interviews gibt, auf Facebook Fotos postet und wenn’s sein muss, die von ihm selbst getretenen Ecken ins gegnerische Tor köpft.
Künstle ist eine Gallionsfigur der neuen SCO-Generation, die unter dem abgedroschenen Motto »elf Freunde« seit 2008 aus der Kreisliga B bis in die Verbandsliga geklettert ist.
Nieswandt vergleicht das so: »Was früher die Ostpreußen waren, ist heute der Kreuzschlag.« Eine neue Migrationsgeschichte. Der Dampfmacher im Mittelfeld heißt Narek Sermanoukian (24), hat armenische Vorfahren und ist so was wie der Henrik Mkhitaryan des SCO. Das Erfolgsgeheimnis erklärte er schon vor Jahren ganz simpel: »Wir sind wie eine Familie. Meine Mitspieler sind meine besten Freunde.«
Aber wie in jeder Familie gab’s auch beim SCO schon mal Zoff. Hartnäckig hält sich die Geschichte, dass in den 80-ern ein Trainer von seiner eigenen Frau mit der Handtasche verprügelt wurde, weil er nach dem Spiel noch mächtig Redebedarf mit den Spielern hatte, während die Holde den Heimweg bevorzugte.
Während der SC Offenburg von Vermarktungsprofi Uwe Suhm, Banker Thomas Martin als Finanzminister und Versicherungsfachmann Andreas Wolber engagiert sowie umsichtig geführt wird und neben den sportlichen Erfolgen sogar schon die Bürgermedaille der Stadt Offenburg für Integration eingeheimst hat, lebt der zwar mit Anekdoten ausgesprochen begüterte OFV dieser Tage in erste Linie von seinem Mythos und dem Bestreben, wieder eine Führungs- und Fußball-Mannschaft aufzubauen, die der Sehnsucht Oberliga Leben einhauchen könnte.
Reichte vor zwei Jahren noch die zweite Mannschaft des Offenburger FV, um dem SCO mit einem 0:0 beim Saisonfinale der Landesliga an der Schutterwälder Straße den Direktaufstieg in die Verbandsliga zu vermasseln, kann die Erste, die damals stolzer südbadischer Pokalsieger war, morgen nicht mehr damit
rechnen, den SC Offenburg mal so im Vorbeigehen zu vernaschen.
Eine Niederlage des großen OFV, mit Blick auf die Tabelle das Normalste der Welt, scheint plötzlich nicht mehr ausgeschlossen. Doch den Strategen stellen sich die Nackenhaare, wenn sie nur dran denken. Urgestein Max Dreyer, der vor 30 Jahren Ralph Todzi das Leben rettete, als er den am Hals aufgeschlitzten und fast verblutenden Helden vom Finale um die deutsche Amateurmeisterschaft mitten in der Nacht aus der Disco ins Krankenhaus fuhr, riss bei der Vorstellung, dass es beim Derby schiefgehen könnte, weit die Augen auf – und dem Ur-Schwaben entfuhr es ganz entgeistert: »Des därff oifach et sai.«
So einfach ist es leider nicht. Übrigens sollte das große Spiel eigentlich schon vor zehn Tagen über die Bühne gehen. Aber da hatte SCO-Betreuer Eugen Schaad Hochzeit. Und wie es sich in einer anständigen Familie gehört, waren die Jungs alle eingeladen.
Da muss so ein Derby schon mal zurückstehen. Werten wir es als gutes Omen für den Betreuer und seine Frau. Außerdem: Nicht jede SCO-Ehe wird gleich auf die Handtaschenprobe gestellt...