Braucht der Tennissport eine Regel-Revolution?
Es musste schon eine Weltranglistenerste und zweifache Grand-Slam-Siegerin her, damit ARD und ZDF nach Jahren der Ignoranz mal wieder ein Tennis-Turnier ins Programm nahmen. Doch die Quoten beim WTA-Finale in Singapur waren trotz Finaleinzugs von Angelique Kerber nicht zufriedenstellend. Hat Tennis einfach nicht mehr genug Fans? Oder stört die TV-Sender die unkalkulierbare Dauer eines Matches?
Beim Tennis-Weltverband ITF gibt es seit Jahren Tests und Überlegungen, wie man die Sportart fürs Fernsehen attraktiver machen könnte. Haupt-Ansatzpunkt ist dabei die Verkürzung der Matches. »Wahre Tennisfans sehen am liebsten epische Schlachten wie zwischen Becker und McEnroe beim Daviscup in Hartford oder Djokovic und Nadal in Australien vor ein paar Jahren. Aber mittelfristig wird der Tennissport aus rein medialen Gründen nicht um eine Verkürzung herumkommen«, glaubt Bernd Greiner, der für Wettkampfsport zuständige Vizepräsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB). Verschiedene Möglichkeiten sind im Gespräch.
Abschaffung der »Let«-Regel: Laut einer Studie des Internet-Blogs »TennisAbstract« könnten pro Match bis zu sieben Minuten eingespart werden, wenn es beim Netzaufschlag keine Wiederholung mehr gibt, sondern wie während eines Ballwechsels einfach weitergespielt wird. Das hört sich viel an. Aber bei Matches von bis zu fünf Stunden bei Grand-Slam-Turnieren wäre die Einsparnis doch eher minimal. »Eine solche Regeländerung könnte relativ unproblematisch umgesetzt werden«, meint Greiner.
Prognose: Es ist gut möglich, dass die »Let«-Regel schon bald der Vergangenheit angehört.
Einführung der »No-Ad«-Regel: Bereits seit einiger Zeit wird im Doppel bei allen ATP-Turnieren nach dieser Regel gespielt, die besagt, dass es nach dem Einstand keinen Vorteil mehr gibt, sondern der nächste Punkt über den Spielgewinn entscheiden. Befürworter argumentieren mit dadurch deutlich kürzeren Matches, für die Gegner geht der Charakter des Tennissports verloren, weil gerade die umkämpften Aufschlagspiele mit mehrfachem Einstand besonders attraktiv seien. »Auf der ATP-Tour im Doppel gibt es keine Diskussionen mehr, die Regel ist akzeptiert«, berichtet Greiner, kennt aber auch ein Gegenbeispiel: »Der Württembergische Tennis Bund hat auch ein Jahr mit No-Ad getestet, die Regel dann aber wieder abgeschafft.«
Prognose: »No-Ad« wird im Doppel fester Bestandteil bleiben und möglicherweise auch bei Mannschaftsspielen auf Verbands- und Bezirksebene bald ein Thema. Im Einzel dürfte diese Regel aber vorerst keine Chance haben.
Verkürzung der Sätze: Immer wieder wird bemängelt, dass es in den Sätzen zu lange dauert, bis Spannung aufkommt. Eine mögliche Lösung wären kürzere Sätze bis 4 mit einem Tiebreak bei 3:3 oder 4:4. Damit könnte man sich ein Beispiel am Tischtennis nehmen, wo es seit der Verkürzung der Sätze von 21 auf 11 Punkte deutlich mehr Spannungsmomente gibt. »Ob das die Lösung ist, kann ich nicht beurteilen. Es wäre aber mit Sicherheit einen größeren Versuch wert«, findet Greiner.
Prognose: Tests im Jugendbereich oder Doppel könnten bald kommen, eine Einführung der kurzen Sätze im Einzel ist aber nicht absehbar.
»Shot clock« zur Einhaltung der 20-Sekunden-Regel: Jeder Spieler hat nach einem Ballwechsel 20 Sekunden Zeit bis zum nächsten Aufschlag. In diesem Bereich wäre sicherlich die größte Zeiteinsparnis möglich, wenn die Regel konsequent umgesetzt werden würde. Bei Grand-Slam-Turnieren in der Jugend laufen bereits Tests mit einer »Shot clock« analog zum Basketball, die nach jedem Ballwechsel von 20 rückwärts auf 0 läuft. Greiner hat dazu eine klare Meinung: »Eine solche Regelung würde ich definitiv begrüßen! Sowohl die Zeitschinderei mancher Spieler als vor allem auch das ständige ›nach dem Handtuch verlangen‹ regt mich total auf. Die Ballkinder sind meines Erachtens für die Bälle da und nicht die persönlichen Diener der Spieler. Eine Shot clock würde das Spiel enorm beschleunigen.«
Prognose: Im Profibereich ist eine Shot clock realistisch und könnte bald eingeführt werden. In Matches ohne Stuhl-Schiedsrichter ist sie aber kein Thema.
Maßnahmen zur Verkürzung von Mannschaftsspielen: Die generelle Einführung des Match-Tiebreaks anstelle des dritten Satzes auf Mannschaftsebene in Deutschland hat die Hobby-Tennisspieler gespalten. Laut Umfragen lehnt eine deutliche Mehrheit der »jungen« Altersklassen diese Regel nach wie vor ab, bei der älteren Generation ab AK 55 erntet sie aber überwiegend Zuspruch. »Ich war noch nie ein Freund des Match-Tiebreaks für alle Altersklassen«, so Greiner, »aber die Meckerei darüber hat doch stark nachgelassen. Insofern glaube ich – leider – nicht, dass sich da nochmal was ändert.«
Weitere matchverkürzende Maßnahmen seien laut Greiner im DTB momentan nicht geplant. »Was wir aber sehr kritisch beobachten ist die immer weiter abnehmende Bereitschaft, Doppel zu spielen«, sagt der ehemalige Präsident des Badischen Tennisverbandes: »Daher diskutieren wir Maßnahmen, wie die Doppel höher bewertet werden könnten, bzw. die Frage, ob sie überhaupt noch zeitgemäß sind.
Prognose: In den Mannschaftsspielen bleibt vorerst alles beim Alten. Allenfalls eine vermehrte Einführung von Vierer- statt Sechsermannschaften ist denkbar.