AOK kritisiert Intransparenz als Methode
In einer Kolumne für die Mittelbadische Presse schreibt Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, über die Probleme, mit denen Ärzte und Krankenhäuser aufgrund von Praktiken der Pharmaindustrie zu kämpfen haben.
Ist Ihre nächste Apotheke mehr als 15 Minuten von Ihrem Zuhause entfernt? Dann gehören Sie zu den sechs Prozent der Menschen, die einen etwas längeren Weg in Kauf nehmen müssen. Alle übrigen haben eine Apotheke mehr oder weniger vor ihrer Haustüre – mehr als jeder Zweite benötigt gerade einmal fünf Minuten zum Pharmazeuten seines Vertrauens. Allein das zeigt: Die Grundversorgung mit Arzneimitteln durch Apotheken vor Ort ist in Deutschland sehr gut. Wir wissen, wo wir unsere Medikamente bekommen können. Und wir wissen, dass wir sie bekommen: Selbst wenn ein verschreibungspflichtiges Medikament in der Apotheke einmal nicht vorrätig ist, kann es in 99 Prozent der Fälle am gleichen oder am Folgetag abgeholt werden.
Stark getrübt wird diese positive Bilanz allerdings durch Lieferprobleme bestimmter Arzneimittel, die meist unter Patentschutz stehen. Während sie im ambulanten Bereich immerhin punktuell auftreten, zeichnet sich in den Krankenhäusern ein teilweise dramatisches Bild. Aktuelle Zahlen des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker zeigen: In deutschen Kliniken waren im Jahr 2016 Arzneimittel zu 280 Wirkstoffen knapp. 30 von ihnen wurden von den Kliniken als versorgungskritisch eingestuft. Fehlen sie, müssen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte die Therapie ihrer Patientinnen und Patienten umstellen oder die Behandlung verschieben. Insbesondere bei schweren Krankheiten wie Krebs steigert dies das Leiden der Betroffenen in unnötiger Weise.
Was sich dagegen tun lässt? Derzeit nicht viel. Denn dass bestimmte Arzneimittel nicht zu bekommen sind, erfahren die Krankenhäuser bislang erst dann, wenn sie sie benötigen. Für die Patientinnen und Patienten ist dies zu spät. So offenkundig dieses Problem ist, so wenig tragen die Arzneimittelhersteller zu einer Verbesserung der Situation bei. Zwar versprechen sie, Lieferschwierigkeiten zentral beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden. Dieser Selbstverpflichtung kommen sie aber viel zu selten nach. So wusste das BfArM nur bei acht der oben genannten 30 versorgungskritischen Wirkstoffe über Lieferengpässe Bescheid. Das Prinzip der Freiwilligkeit hat hier eindeutig versagt.
Wann wieder verfügbar?
Die Folge ist eine massive Intransparenz zu Lasten der Patientinnen und Patienten. Heute kann niemand wissen, welche vielleicht versorgungsnotwendigen Arzneimittel gerade nicht mehr lieferbar sind, weshalb dies so ist und wann sie wieder verfügbar sein werden. Genauso unklar ist, welche Mengen welches Arzneimittels derzeit wo lagern. Allein diese Informationen gäben den Krankenhäusern wichtige Anhaltspunkte, um die Medikation ihrer Patientinnen und Patienten langfristig und nachhaltig zu planen.
Immerhin hat die Politik einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan und die Arzneimittelhersteller nun verpflichtet, Lieferausfälle an Krankenhausapotheken zu melden. Dabei darf es aber nicht bleiben. Bestände, Lieferbeziehungen und Lieferwege im Arzneimittelmarkt müssen durch die gesamte Lieferkette vom pharmazeutischen Hersteller bis zu den Patientinnen und Patienten für alle Beteiligten nachvollziehbar und sichtbar werden. Nur so ist die Arzneimittelversorgung auch in Krankenhäusern langfristig zu sichern.