Offenburg

Belastete Polystyrol-Dämmplatten: Dachdecker klagen und hoffen

Christoph A. Fischer
Lesezeit 3 Minuten
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16. Dezember 2016

Mit dem Stoff HBCD behandelte Styroporplatten für die Wärmedämmung gelten als »gefährlicher Abfall«. Dies stellt Handwerksbetriebe vor große Probleme. © BHW Bausparkasse

Mit der Entscheidung, ein bestimmtes Flammschutzmittel als gefährlich einzustufen, hat der Bundesrat vor allem Dachdeckern große Probleme eingebrockt, klagen diese. Erlasse bringen in Baden-Württemberg etwas Entlastung. Nimmt der Bundesrat seine Entscheidung zurück?

Bauunternehmer, Dachdecker, Isolierer, Maler, Gipser – sie alle haben mit Wärmedämmung zu tun, und sie eint zurzeit ein Problem, nämlich die Entsorgung alter Polystyrol-Dämmplatten, oder besser: die fehlenden Möglichkeiten der Entsorgung. Mit dem Flammschutzmittel HBCD behandeltes Polystyrol (Markenname Styropor) gilt nämlich seit Oktober in Deutschland in den meisten Fällen als gefährlicher Abfall, und der kann nicht überall entsorgt und verbrannt werden (siehe Hintergrund). Deutschlandweit häufen sich daher Medienberichte, in denen vor allem Dachdeckerbetriebe klagen: Sie würden altes Styropor nicht los, müssten daher Aufträge ablehnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Auch von drohenden Entlassungen ist die Rede. Ende November waren bundesweit mehrere Hundert Baustellen stillgelegt, teilte der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) mit. 

Der Obermeister der Bau­gewerks­innung Lahr-Wolfach, Gerhard Straubmüller, sagte jetzt im Gespräch mit der Mittelbadischen Presse, dass ihm zwar keine Fälle von Kurzarbeit oder geschlossenen Baustellen wegen des HBCD-Problems aus der Ortenau bekannt seien, sehr wohl aber aus anderen Bereichen des Schwarzwalds, zum Beispiel aus Villingen-Schwenningen. Straubmüller ist Geschäftsführer des gleichnamigen Isoliertechnik-Betriebs aus Lahr. 

Zwei Erlasse

Die Lage könnte sich in Baden-Württemberg allmählich ein wenig entspannen, dank zweier Erlasse aus dem Landesumweltministerium. Die Behörde unter der Leitung von Franz Untersteller (Grüne) steuerte Mitte Oktober erstmals gegen: Bis auf Weiteres müssten die schadstoffhaltigen Dämmplatten an der Baustelle nicht von sonstigem Bauschutt getrennt werden – wenn man nun Abfallchargen mit weniger als 0,5 Kubikmetern HBCD-haltigen Dämmplatten pro Tonne Gesamtgewicht zur Deponie bringe, könne diese Charge verbannt werden, da der für die Einstufung als gefährlicher Abfall nötige HBCD-Anteil nicht erreicht werde.

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Zudem wurde es den Müllverbrennungsanlagen, die vor Oktober eine Zulassung zur Verbrennung von HBCD-haltigem Material hatten, erlaubt, bereits ab der Antragstellung für die Verbrennung von gefährlichem Abfall diesen verbrennen zu dürfen. 

Der Eigenbetrieb Abfallwirtschaft des Ortenaukreises wies allerdings darauf hin, dass in den Containern der kreiseigenen Wertstoffhöfe nur jeweils zwei Kubikmeter HBCD-haltige Dämmstoffe geladen werden können – danach sei Schluss. Hintergrund seien die eingeschränkten Verbrennungsmöglichkeiten der Verbrennungsanlage Eschbach, in die die Ortenauer Müllchargen geliefert werden. Zudem wurde die Abgabe nur Privatpersonen erlaubt; Unternehmen sollen sich nach gewerblichen Entsorgungsdienstleistern umsehen.

Ende November gab es den zweiten Erlass: An der Einstufung als gefährlicher Abfall müsse festgehalten werden – für die Verbrennungsanlagen sei es aber problematisch, größere unvermischte Mengen von Styroporplatten (Monochargen) zu verbrennen, »wegen der sehr großen Hitzeentwicklung«. Daher wurde es – bis zum 31. Dezember 2018 – erlaubt, HBCD-haltige Abfälle auch außerhalb von Baustellen mit ungefährlichen zu mischen. 
Entscheidung revidiert?

»Endlich ist die überfällige pragmatische Lösung zur Entsorgung hochkonzentrierter HBCD-haltiger Dämmstoffe unter Dach und Fach«, frohlockte Rainer Reichhold, Präsident des baden-württembergischen Handwerkstags. Die Dachdecker sind aber nach wie vor äußerst unzufrieden. Sie und auch die Entsorgungswirtschaft wünschen sich, dass der Bundesrat seine Entscheidung, HBCD-haltige Abfälle als gefährlich einzustufen, zurücknimmt. Untersteller ist dagegen. Heute fällt im Bundesrat die Entscheidung.

Hintergrund

Neue Vorschriften brachten Probleme mit sich

2013 beschloss die UN-Chemikalienkonferenz, dass das Flammschutzmittel Hexa­bromcyclododecan (HBCD) zum Schutz der Gesundheit weltweit nicht mehr hergestellt und verarbeitet werden darf – früher wurden zur Wärmedämmung genutzte Styroporplatten aber häufig mit HBCD behandelt. Daraufhin schuf die Europäische Union eine Verordnung, nach der HBCD enthaltende Dämmstoffe aus Polystyrol (Handelsname: Styropor), nachdem sie von Hauswänden entfernt wurden, so beseitigt werden müssen, »dass die darin enthaltenen Schadstoffe zerstört oder unumkehrbar umgewandelt werden«. Dies geschieht durch Verbrennung. 

Der Bundesrat ging daraufhin einen Schritt weiter: Er entschied 2015, dass Styropor mit einem HBCD-Anteil von mindestens 0,1 Prozent ab dem 1. Oktober 2016 als sogenannter gefährlicher Abfall gilt. Dieser darf nicht mit sonstigem Bauschutt entsorgt werden – die Dämmplatten müssen separat entsorgt und verbrannt werden.

Problematisch ist, dass die meisten Müllverbrennungsanlagen in Deutschland – in Baden-Württemberg gibt es sechs – keine Zulassung für die Verbrennung von gefährlichem Abfall besitzen. Sie muss jeweils erst beantragt werden, doch die Zulassungsprüfung dauert ihre Zeit. Anlagen, die die Erlaubnis bereits besitzen, sind überlastet und/oder verlangen nun einen deutlich höheren Preis für die Verbrennung. Und so kommt es seit Oktober quer durch die Repu­blik zu Meldungen über Handwerker und Privatleute, die klagten, dass sie altes Styropor nicht mehr loswerden: Entsorgungsunternehmen und Mülldeponien nehmen es nicht mehr an.

Erst vergangene Woche klagte der Präsident des Dachdeckerverbands ZVDH, Ulrich Marx: »Viele Dachdecker bleiben auf den Dämmstoffen und auf den zum Teil immens hohen Kosten für die Entsorgung sitzen.« Die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung würden konterkariert, da die energetische Sanierung mehr oder weniger brachliege. caf

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