Berufspraxis im Nachbarland
Ortenau/Straßburg. Die Fahrt von Straßburg über die Kehler Europabrücke ist für Anaïs Delbé schon zur Gewohnheit geworden. Seit dem vergangenen Oktober kommt die 22-Jährige dreimal in der Woche zum Frisiersalon von Claudine Lambour nach Kehl, um das zu üben, was sie später einmal beruflich machen möchte: das Frisieren. »Dreimal in der Woche arbeite ich in Kehl, zweimal nachmittags und einmal – am Samstag – den ganzen Tag«, schildert die Elsässerin ihren grenzüberschreitenden Alltag.
Ihre theoretische Ausbildung bekommt die junge Frau in der Straßburger Berufsbildungsstätte CFA (Centre de Formation d’Apprentis), im Salon von Frau Lambour absolviert sie ihren praktischen Teil. »Von montags bis freitags habe ich in einer Fremdsprachenschule auch Deutschunterricht«, fügt die Auszubildende hinzu, in deren Straßburger Familie nur Französisch gesprochen wird.
Modellprojekt
Anaïs Delbé ist eine der Teilnehmerinnen beim Modellprojekt »Grenzüberschreitende Ausbildung« im Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau. Dabei besuchen die jungen Leute die Berufsschule in ihrem Heimatland, im Nachbarland erfolgt der praktische Teil der Ausbildung. Den Berufsschulabschluss erlangen die Teilnehmer in dem Land, in dem sie die Berufsschule besucht haben. Die Zeugnisse können zum Teil auch vom Nachbarland anerkannt werden. Das betrifft bereits jetzt schon eine Vielzahl von deutschen und französischen Prüfungszeugnissen.
Man hat zahlreiche Partner mit im Boot: von den Kammern über die Offenburger Agentur für Arbeit bis zu administrativen Instanzen wie den französischen Staat, die Region Elsass, das Freiburger Regierungspräsidium und natürlich den Eurodistrikt.
Knifflige Fragen
Derzeit kann man diese grenzüberschreitende duale Ausbildung zwar im Prinzip in allen Berufen absolvieren, die in Deutschland und Frankreich vergleichbare Inhalte vermitteln – sofern sich interessierte Ausbildungsfirmen finden. Aber das Modellprojekt funktioniert bisher nur im Raum Strasbourg-Ortenau. Bemühungen, das Vorhaben auf die ganze Oberrheinregion auszuweiten, scheiterten bislang. Es müssen nämlich zahlreiche knifflige Fragen geklärt werden: von der Finanzierung bis zum Versicherungsschutz für Auszubildende.
Auch in anderen Bereichen gibt es grenzüberschreitende Ausbildungen. So bieten die Beruflichen Schulen in Kehl und das Lycée Oberlin in Straßburg eine deutsch-französische Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und dem französischen »Bac professionnel Commerce« an. Hier findet die praktische Ausbildung im Heimatland statt, die Berufsschule ist abwechselnd in Kehl und Straßburg. Auch ein »Binationales duales Studium« wurde am Oberrhein ins Leben gerufen. Partner sind dabei nicht nur die Duale Hochschule Baden-Württemberg und ähnliche Einrichtungen im Elsass. Mit im Boot sind ferner deutsche und französische Unternehmen, bei denen die Studenten ihre Praxisphasen absolvieren können.
Die theoretischen Teile des dualen Studiums finden im Heimatland statt, die Praxis übt man im Nachbarland. Während die Franzosen eine »Licence professionnelle«, einen »Master professionnel« oder ein anderes Ingenieurdiplom erhalten können, schließen die Deutschen ihre Ausbildung mit einem Bachelor-Titel (Engineering, Science, Arts) ab. Möglich ist auch die Masterprüfung.
Umschulungen
Schließlich führt die französische Weiterbildungseinrichtung AFPA (Association Nationale pour la Formation Professionnelle des Adultes) in Zusammenarbeit mit der Gewerbeakademie der Handwerkskammer sowie der Agenturen für Arbeit Offenburg und Freiburg grenzüberschreitende Umschulungen für französische Arbeitslose durch. Diese dauern zehn Monate und beinhalten ein intensives Deutschtrainung sowie ein Praktikum in Deutschland. Am Ende steht ein französischer Berufsabschluss (CAP AFPA), der mit einer zweijährigen Ausbildung in Deutschland vergleichbar ist. Das betrifft unter anderem Berufsbilder wie Anlagen- und Maschinenführer.
Sicher: Die Initiativen für eine grenzüberschreitende Berufsausbildung sind erst am Entstehen. So nehmen gerade mal neun Studenten am binationalen dualen Studium teil – acht Franzosen und ein Deutscher. »Aber ich denke, da gibt es verheißungsvolle Ansätze, die Mut machen«, betont Norbert Mattusch von der Stabsstelle für grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Arbeitsagentur Freiburg. »Die Absolventen erhöhen ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz in unserer Grenzregion.« Allerdings sollten derartige Angebote nach Einschätzung des Experten viel stärker an den Schulen und bei Arbeitgebern bekannt gemacht werden.
Anaïs Delbé ist mit ihrer Friseurausbildung in Kehl zufrieden. »Ich denke, so kann es mir gelingen, in Deutschland einen Job zu finden und später vielleicht sogar selbst einen Salon zu eröffnen.«
Mehr Infos zum Thema »grenzüberschreitende Ausbildung« gibt es bei Peter Degenkolbe von der Offenburger Agentur für Arbeit. E-Mail: peter.degenkolbe@arbeitsagentur.de
Folge 1: "Wir müssen mehr Brücken bauen"
Folge 2: Über die Grenze zum Traumjob