Über die Grenze zum Traumjob
Ortenau/Straßburg. Morgens 7.15 Uhr in Straßburg: Bruno Lami steigt in seinen Peugeot 207 und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Jeden Tag fährt der 31-jährige Software-Entwickler rund 50 Kilometer zu seinem Arbeitsplatz bei Bosch in Bühl. Das Pendeln macht dem Grenzgänger nichts aus. Er mag seinen Job in dem deutschen Unternehmen.
Wie Lami pendelten im Jahr 2011 täglich rund 26 700 Französinnen und Franzosen nach Baden, darunter mehr als 6400 in den Ortenaukreis (siehe Grafik). Dies sind erstmals seit 2001 mehr als im Vorjahr. Eine Trendwende? »Dazu kann wohl erst im kommenden Jahr um diese Zeit wirklich ein Urteil abgegeben werden«, sagt Norbert Mattusch von der Stabsstelle für grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Arbeitsagentur Freiburg. In den Agenturbezirken Freiburg und Offenburg seien leichte Zuwächse bei Einpendlern zu verzeichnen, wobei die Steigerung in der Ortenau geringer als in Freiburg sei.
Suche in Deutschland
»Die Entwicklung der Arbeitslosenquote auf beiden Seiten des Rheins sowie der Bedarf an Facharbeitern und Fachkräften in Deutschland lässt allerdings vermuten, dass sich dieser Trend fortsetzen wird«, sagt Mattusch. So gingen die Arbeitslosenzahlen im Elsass in den vergangenen Jahren klar nach oben, während sie in Baden sanken. »Diese Entwicklung wird seit einiger Zeit nun auch von den französischen Medien und Organisationen aufgegriffen und transportiert. So kommen immer mehr Elsässer auf den Gedanken, sich auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt umzuschauen.«
Viele Pendler sind nach wie vor im industriellen Bereich zu finden: Hier sind vor allem die Herstellung von Metallerzeugnissen sowie der Maschinenbau zu nennen. Die größte Zahl der Pendler arbeitet hingegen im Groß- und Einzelhandel. »Firmen auf der deutschen Rheinseite suchen vor allem Facharbeiter mit einer entsprechenden Berufsausbildung«, sagt Mattusch. »Speziell in der Ortenau liegt der Fokus auf den Facharbeitern für Handwerk und Gewerbe.« Daneben sei der viel diskutierte Fachkräftemangel im höher qualifizierten Bereich natürlich auch hierzulande ein Thema. »Auch in Baden gibt es Bedarf an Ingenieuren, Ärzten und anderen hoch qualifizierten Kräften. Doch die werden überall in Europa gesucht, weswegen sie nur in Einzelfällen aus dem Elsass zu uns kommen.«
Hochqualifizierte Pendler wie Lami sind, im Verhältnis zu ihrem Anteil an den Beschäftigten im Großraum Straßburg, im Ortenaukreis sowie in ganz Baden tatsächlich eher unterrepräsentiert. So konnte der Fachkräftemangel auf deutscher Seite bisher keinen signifikanten »Pull-Effekt« auslösen.
Könnte der Software-Entwickler Lami auch im Elsass einen adäquaten Job finden? »In meinem Bereich gibt es nur ganz wenige Möglichkeiten, im Elsass zu arbeiten«, erzählt Lami. Die Stelle bei Bosch ist auch finanziell interessant. »Software-Entwickler verdienen in Deutschland immer noch 20 bis 30 Prozent mehr als in Frankreich«, erklärt er.
Allgemein sind die Lohn- und Gehaltsunterschiede zwischen Deutschland und Frankreich nicht mehr so groß wie noch vor zehn Jahren, sagen Experten. »Im industriellen Bereich wird in Deutschland allerdings immer noch mehr bezahlt als zum Beispiel im Großraum Straßburg«, ergänzt Norbert Mattusch. »Im Dienstleistungsbereich sind deutsche Stellen aufgrund des französischen Mindestlohns von 8,22 Euro pro Stunde dagegen tatsächlich oft nicht mehr so attraktiv.« Daneben können für Arbeitnehmer vorteilhafte Regelungen wie die flächendeckende 35-Stunden-Woche in Frankreich den ohnehin bei Franzosen sehr ausgeprägten Wunsch, im Inland eine Arbeit zu finden, noch verstärken.
Bessere Bedingungen?
Auch hier sieht die Sache für Bruno etwas anders aus: »In Frankreich würde ich als ›Cadre‹, also als Führungskraft, keine 35-Stunden-Woche haben, sondern mindestens 40 Stunden arbeiten.« Dafür gebe es zwar Freizeitausgleich, aber da er bei Bosch ebenfalls einen Vertrag über 35 Stunden hat und Überstunden abbauen kann, arbeite er in Deutschland effektiv wahrscheinlich sogar ein bisschen weniger, als er es in Frankreich tun würde.
Der Rückgang der französischen Pendler im vergangenen Jahrzehnt wird auch damit erklärt, dass wenige junge Arbeitnehmer nachrücken. Wichtigster Grund: Die jungen Franzosen lernen immer seltener Deutsch. Bruno, der aus Angers in Westfrankreich stammt, hätte sich nie träumen lassen, dass er einmal in Deutschland arbeiten und jeden Tag Deutsch sprechen würde. »Während meines Studiums habe ich zufällig ein Praktikum bei einer Firma in der Nähe von München gemacht und anschließend auch meine Diplomarbeit«, erzählt er.
Seine erste Festanstellung erhielt er ebenfalls bei München, allerdings bei einer französischen Firma. Dann kam er zu Bosch. »In meinem Bereich muss man nicht unbedingt fließend Deutsch sprechen, weil wir viele englische Ausdrücke benutzen. Während des Praktikums und der Diplomarbeit in Deutschland habe ich nur Englisch geredet, weil es einfacher war und ich nicht dachte, dass ich in Deutschland bleiben würde.« Doch seit der ersten Festanstellung trainiert er sein Deutsch. »Am Anfang war es ein bisschen kompliziert, aber nach einigen Jahren geht es heute viel besser.«
Folge 1: "Wir müssen mehr Brücken bauen"
Folge 3: Berufspraxis im Nachbarland