Interview des Tages

»Die Eurokrise 2.0 ist da«

Tobias Symanski
Lesezeit 6 Minuten
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17. Oktober 2016

Volkswirt Max Otte: »Wenn ich in Talkshows darüber spreche, wie verängstigt, zerrissen und handlungsunfähig Europa ist, mag das die Politik natürlich nicht. Man versucht mich dann zu meiden oder dem Problem aus dem Weg zu gehen.«  ©Otte

Viele kennen Max Otte aus den Medien. Der Ökonom prangert dort immer wieder Missstände in der Finanzwelt oder der Politik an. Derzeit sorgt er sich vor allem um die Zukunft des Bargeldes als Zahlungsmittel. Heute referiert Otte in einem Vortrag bei der Wirtschaftsregion Offenburg/Ortenau in Kehl über die aktuelle wirtschaftliche Situation. Die Mittelbadische Presse sprach vorab mit ihm.

 Herr Otte, die Welt ist von Konflikten und Krisen durchzogen. Leben wir in einer der spannendsten Zeiten, die Sie jemals erlebt haben?
Otte: Spannend sind die Zeiten ohne Zweifel, aber auch sehr gefährlich. Die weltpolitischen Umbrüche der Gegenwart haben epochalen Charakter, doch sie schlagen ins Negative um.

 Krisen gab es früher aber auch schon.
Otte: Natürlich haben die Menschen die 70er-Jahre mit hoher Inflation und dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam auch als krisenhafte Situation wahrgenommen. Es gab politische Probleme und wirtschaftliche Stagnation, aber die Gesellschaften sind deswegen nicht fundamental erschüttert worden.

 Sie sind einer der bekanntesten Finanzexperten in Deutschland und gelten als Krisenorakel. Ist das mehr Bürde oder Freude?
Otte: Es ist ein innerer Denkzoll und eine Bestätigung, dass ich seit dem Buch »Der Crash kommt« gehört werde. Aber Kassandra war auch keine ganz glückliche Figur (lacht). Ob ich am Ende Entscheidungsträger mit meinen Aussagen beeinflussen kann, sei dahingestellt. Man sollte sich da auch nicht überschätzen.

 Sie sind für Ihre klaren Worte bekannt und gehen mit der Finanzindustrie hart ins Gericht. Wieviele Drohbriefe bekommen sie pro Woche?
Otte: Gar keine, weil ich vermeide, Personen anzugreifen. Ich versuche, aufklärerisch zu wirken. Wenn ich also in Talkshows darüber spreche, wie verängstigt, zerrissen und handlungsunfähig Europa ist, mag das die Politik natürlich nicht. Man versucht mich dann zu meiden oder dem Problem aus dem Weg zu gehen.

 Über was müssen wir uns derzeit mehr Sorgen machen: die Flüchtlingswelle oder eine wiederaufflammende europäische Bankenkrise?
Otte: Letztendlich hängt alles zusammen. Die Unruheherde des Nahen Ostens sind ja nicht einfach so entstanden. Man hat sie entstehen lassen und gefördert. Seit der Finanzkrise 2008 ist die Welt aus dem Gleichgewicht geraten. Damals hätte der Westen schon kippen können. Das wurde jedoch mit unglaublich viel billigem Geld bekämpft. Aber das billige Geld löst unsere Probleme nicht wirklich. Jetzt müssen immer härtere Zwangsmaßnahmen her: Das Bargeld wird beschränkt, die Europäische Zentralbank kauft Unternehmensanleihen. Das alles hat den Geruch einer Spätphase des Sozialismus.

 Wie wahrscheinlich ist eine erneute Bankenkrise?
Otte: Sehr wahrscheinlich. Noch nicht einmal so sehr in Deutschland, aber man kann sagen: Die Eurokrise 2.0 ist da.  Man spricht zwar noch nicht darüber. Aber die Forderungen der Geberländer gegenüber den Nehmerländern in der EU driften wieder auseinander. Hinzu kommt, dass in Italien – das Land hat den drittgrößten Staatsanleihenmarkt der Welt – viele faule Kredite im System schwirren. Da sind wir noch gar nicht durch. Die Nullzinspolitik der EZB hat dazu geführt, dass Reformmaßnahmen auf die lange Bank geschoben wurden.

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 Und wann wird der nächste Crash tatsächlich kommen?
Otte: Wenn man da ein Drehbuch hätte! Die neuen Spannungen sind auf jeden Fall da. Das Buch von Daniel Stelter, dem früheren Berater der Boston Consulting Group, »Eiszeit in der Weltwirtschaft« ist dabei ein ganz gutes Bild. Vielleicht gibt es erst einmal keinen Crash. Die administrative Zwangswirtschaft sorgt dafür, dass Märkte einfach einfrieren. Bis zum eigentlichen Crash kann es also noch eine Weile dauern.

 Wann wird die EZB ihren Zinskurs ändern?
Ottte: Das sehe ich noch überhaupt nicht. Wir kommen aus der Krisenspirale nicht raus. Seit der Finanzkrise haben wir ein komplett neues Bruttoinlandsprodukt an Schulden auf der Welt hinzubekommen. Von Schuldenabbau kann also keine Rede sein. Es läuft alles hin zu einer Neuordnung des Finanzsystems.

 EZB-Präsident Mario Draghi hat jüngst im Deutschen Bundestag davon gesprochen, dass auch Deutschland vom historisch niedrigen Zinsniveau profitiert. Welche Bilanz ziehen Sie?
Otte: Unterm Strich ist das alles ziemlich katastrophal. Deutschland blutet in vielerlei Hinsicht aus. Die Mittelschicht ist leidtragend. Immobilienpreise steigen, also auch die Mieten. Das nutzt vor allem denen, die viel Vermögen in diesem Bereich haben. Bauherren und der Staat profitieren zwar von den niedrigen Zinsen. Deutschland wird jedoch gleichzeitig zum Finanzier vieler anderer Länder in der Eurozone. Profiteur ist zwar die deutsche Exportwirtschaft, jedoch hat der schwache Euro dazu geführt, dass der heimische Mittelstand in die Hände ausländischer Private-Equity-Investoren wandert und von ihnen ausgebeutet wird. Der Ausverkauf unseres Landes hat mit Globalisierung nichts zu tun.

 In Ihrem Buch »Rettet unser Bargeld!« warnen Sie vor der Abschaffung des Bargelds. Wie kann das passieren?
Otte: Es wird nicht abgeschafft, aber in eine bedeutungslose Nische abgedrängt. Auf diesem Weg haben wir schon die halbe Strecke zurückgelegt. Der Krieg gegen das Bargeld macht doch stutzig: Auf einmal gibt es Studien darüber, dass Bargeld unpraktisch und unhygienisch sein soll und der Kriminalität Vorschub leistet. Das ist alles Quatsch. Bargeld gibt mir ein Bezug zu den Preisen und fördert die Ausgabendisziplin. Es ist auch viel praktischer, vor allem für ältere Menschen. Es ist anonym, rechtssicher und kostengünstiger für den Verbraucher. Wer hat ein Interesse an der Zurückdrängung des Bargeldes? Die E-Commerce-Unternehmen und die Zahlungsanbieter. Beim elektronischen Bezahlen werden wir zu transparenten Datensätzen, also zur Ware. Und für jede Transaktion werden Gebühren fällig. In Summe wird das extrem teuer. Haben sich die Zahlungsdienstleister erst einmal durchgesetzt, werden wir komplett geschröpft. Und auch die Banken haben kein großes Interesse am Bargeld.

 Wieso?
Otte: Bargeld ist die rote Karte, die wir der Bank zeigen können. Wir können ihr sagen: »Lass mal sehen, was du hast, ob du pleite bist oder nicht.« Bargeld hat eine höhere Qualität, ein Kontoguthaben ist dagegen nur eine Forderung gegenüber der Bank.

 Kriege und Terrorismus treiben die Abschottung von Volkswirtschaften voran. Ist das Modell der Globalisierung gescheitert?
Otte: Das haben ich und andere schon vor 20 Jahren gesagt. Globalisierung ist ein hochgradig dependentes und zyklisches Phänomen. Sie ist also keine Einbahnstraße. Globalisierung hängt davon ab, wie wir die Regeln auf der Welt setzen, wie fair sie sind. In dieser Hinsicht war die Welt um 1900 globaler als um 2000. Damals konnte man rechtssicher in den hintersten Winkel der Welt reisen und seine Geschäfte tätigen. Die Regeln wurden gestützt vom britischen Empire. Wenn der Garant eines solchen Systems schwächer wird, was man derzeit von den USA behaupten kann, fängt der Konkurrenzkampf an. Heute knirscht es zwischen den Amerikanern, China und anderen. Globalisierung kann sich ins Gegenteil verkehren. Wir befinden uns quasi wie in einer Phase nach 1914.

Info

Max Otte – ein beliebter Talkgast

Prof. Dr. Max Otte gilt als einer der bekanntesten kritischen Ökonomen in Deutschland. Weil er klar Stellung bezieht, ist er gefragter Interview­partner und Talkshowgast. Bekannt wurde Otte einem breiten Publikum mit dem Eintreten der Finanzkrise im Jahr 2007. Der Ökonom hatte in seinem im Jahr 2006 veröffentlichten Buch »Der Crash kommt«, eine große Finanzkrise vorausgesagt. Seitdem eilt ihm der Ruf des Finanz­orakels voraus.

Otte studierte Volkswirtschaftslehre und politische Wis­senschaften an der Universität zu Köln, an der Princeton University in den USA promovierte er. Der 52-Jährige ist heute Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms, 2011 erhielt er einen Ruf als Pro­fessor für quantitative und qualitative Unternehmensführung am Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship der Universität Graz. Er ist zudem Leiter des 2003 von ihm gegründeten Instituts für Vermögensentwicklung (IFVE) in Köln sowie Fondsmanager.

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