Der Migrationsrechtsexperte Daniel Thym hält es trotz der Berliner Verwaltungsgerichtsentscheidung noch für möglich, dass Zurückweisungen Asylsuchender an der Grenze rechtlich Bestand haben könnten. Die Bundesregierung habe in dem konkreten Fall keine ausreichende Begründung vorgelegt, warum sie sich auf eine Ausnahmeregelung des EU-Rechts stützt, und darum habe sich das Gericht mit diesem Aspekt auch nicht befasst, erklärte der Professor der Universität Konstanz im Deutschlandfunk. «Wenn sie eine solide Begründung vorlegen, könnte ich mir vorstellen, dass der Eilrechtsschutz auch anders ausfällt.»
Eine Entscheidung stünde in einem solchen Fall erst Monate später im Hauptsacheverfahren an. «Es gibt viele Argumente, dass es nicht geht, aber auch einige, dass es geht», sagte er. Die großen Herausforderungen bei der Integration Geflüchteter könnten etwa eine geeignete Begründung sein, warum Deutschland von den EU-Regelungen abweiche. Deutschland habe beispielsweise einschließlich der Ukrainer achtmal so viele Migranten aufgenommen wie Italien, obwohl es nur eineinhalb Mal so viele Einwohner habe.
Wenn die Regierung aber eine wirkliche Wende in der Migrationspolitik erreichen wolle, «sind Zurückweisungen allenfalls eine Brücke», um rechtliche Änderungen auf nationaler und europäischer Ebene zu erreichen. Wichtiger sei das Drehen an zahlreichen kleineren Reform-Stellschrauben, etwa im Verwaltungsvollzug, aber auch um die Wirksamkeit einzelner Urteile auf EU-Ebene aufzuheben, erläuterte er.
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einer unanfechtbaren Eilentscheidung festgestellt, dass die Zurückweisung Asylsuchender bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet rechtswidrig sei. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für ihren Asylantrag zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden.