Die Besucher des zwölften literarischen Gesprächs, zu dem der Historische Verein Schiltach/Schenkenzell und die Volkshochschule für Freitag ins Martin-Luther-Haus eingeladen hatten, staunten nicht schlecht, als neben Wolfgang Tuffentsammer, Pfarrer im Ruhestand, ein „neues Gesicht“ Platz nahm. In seiner Begrüßung erklärte Vereinsvorsitzender Markus Armbruster, dass Heimatforscher und Buchautor Günther Bentele den Termin überraschend absagen musste, berichten die Veranstalter. In der früheren Lehrerin Ursula Wagner fand Tuffentsammer aber spontan ein passendes Gegenüber. Wagner übernahm das Rezitieren von ausgewählten Gedichten Rainer Maria Rilkes, was ihr trotz der knappen Vorbereitungszeit mühelos und einfühlsam gelang.
Vor 150 Jahren geboren
Tuffentsammer lieferte laut Pressebericht das Gerüst des Abends. Er stieg in die Biografie des 1875, also vor genau 150 Jahren in Prag geborenen, österreichischen Dichters ein, der zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts zählt. Geprägt von einer tief religiösen Mutter empfand sich Rilke selbst als Atheist, obgleich er zeitlebens ein Suchender war. Sein Lebensweg wurde stark von Erlebnissen in Kindheit und Jugend sowie den Philosophen Schopenhauer und Nietzsche bestimmt. Eindrücke von zwei Russlandreisen fanden in seinen Werken Niederschlag. Bei seiner Nordafrikareise machte er 1911 mit dem Islam Bekanntschaft. Ein Lokalbezug ergab sich mit Kuraufenthalten Rilkes in Bad Rippoldsau, eine Zuhörerin wusste zudem von Kontakten Rilkes nach Hornberg zur Kunsthistorikerfamilie Hausenstein.
Bandbreite der Stimmungen
Tuffentsammer stellte beispielhaft Gedichte vor und interpretierte sie. Die Bandbreite der die Gedichte beherrschenden Stimmungen reichte dabei von traurig-hoffnungslos („Der Panther“) bis optimistisch, heiter und lebensbejahend („Frühling ist wiedergekommen“). Im Dialog mit dem Publikum entstand sogleich eine Gesprächsatmosphäre. Werke Rilkes, die sich von der bis dahin gängigen Dichtkunst abheben, lassen viel Spielraum zur persönlichen Auslegung, was sich auch an den Reaktionen der Zuhörer zeigte, die mit Rilke teils erstaunlich gut vertraut waren und eigene Eindrücke sowie Ergänzungen zu den Interpretationen des Ruhestandspfarrers beisteuerte. Auf die Frage, wie Rilke seinen Lebensunterhalt bestritt, verwies Tuffentsammer auf zahlreiche Bekanntschaften zu adeligen Damen, die ihn unterstützten. Die letzten Lebensjahre kämpfte er gegen Leukämie, der er 1926 erlag.
Zuletzt offenbarte Tuffentsammer, dass dies die letzte Veranstaltung im bekannten Format war. Ob sich ein neues Konzept findet, werde sich zeigen.
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