Berlin

25 Jahre Poetry Slam in Deutschland

dpa
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18. Oktober 2019
Wolf Hogekamp sowas wie der Pate des Poetry Slam.

Wolf Hogekamp sowas wie der Pate des Poetry Slam. ©dpa - Jörg Carstensen/dpa

Es geht um fünf, vielleicht sechs Minuten. Eine Art Kampf auf der Bühne. Mit eigenen Worten, Text gegen Text. Thema? Egal. In den Anfängen wurde schon mal das Kleingedruckte auf einer Chipstüte vorgelesen, erinnert sich Wolf Hogekamp.

Der 58-Jährige ist sowas wie der Pate des Poetry Slam in Deutschland. Als Slammer und Organisator begleitet und prägt er die Entwicklung dieser literarischen Wettbewerbe vor Publikum. Vor 25 Jahren kam Poetry Slam in seiner Kneipe an - und damit in Deutschland.
1994 war Hogekamp noch Barmann. Sein Club, das «Ex'n'Pop», lag irgendwo in Berlin-Schöneberg. Die Shakespeare Company war nicht weit, ein englischsprachiges Theater. «Die kamen nach Proben und Veranstaltungen immer ins «Ex'n'Pop»», erinnert sich Hogekamp. Darunter war auch «ein ganzer Trupp von wüstesten Amerikanern». Mit dabei auch Rick Maverick, Regisseur und Spoken Word Artist. Sie kannten Poetry Slam aus den USA und wollten «was zusammen machen».

Zu dem Zeitpunkt gab es vereinzelte Veranstaltungen, aber erst das Duo Hogekamp/Maverick sollte Poetry Slam zu einem mehr und mehr organisierten Teil deutschsprachiger Bühnen machen. «Am Anfang haben die Leute aus Otto-Katalogen vorgelesen», erzählt Hogekamp, «dann mischten sich auch immer mehr mit eigenen Texten darunter.»

Grundregel: Respekt

Für die literarische Qualität gilt eine Grundregel: «Respect the poets.» Ein Publikum hat andere Möglichkeiten. «Nichtbeachtung ist die allergrößte Strafe», weiß Hogekamp. Über alles andere wacht der Slam-Master, sowas wie ein Ringrichter, der auch die Wertungen von Jury und Publikum abfragt.

Der Wettbewerb hat aus Sicht von Petra Anders viel pädagogisches Potenzial. «Poetry Slam ist für mich Wahrnehmungsschulung, Persönlichkeitsbildung und auch die Möglichkeit, Urteilskraft zu erlangen», sagt die Professorin an der Freien Universität Berlin, die über Poetry Slam promoviert hat. «Poetry Slam grenzt sich auch vom Rap-Battle und Hip-Hop-Battle ab. Es geht nicht darum, jemanden anderen schlecht zu machen, sondern darum, über sich zu sprechen, seine Sicht, Rede-ähnliche Monologe.»

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Die Texte haben sich über die Jahre vom rein Spontanen emanzipiert. «In Deutschland waren die Texte sehr unpolitisch. Egal, was passiert ist, das wurde auf der Bühne kaum thematisiert», erinnert sich Anders. «Das hat sich in den vergangenen Jahren verändert.» Inzwischen geht es auch viel um Befindlichkeiten, Seelenleben, Alltägliches. Anders: «Da ist viel mehr politisches Bewusstsein mit auf die Bühne gekommen, Texte gegen rechts oder gegen Digitalisierung.»

Viel passiert nach ihrer Erfahrung auch in den Schulen. «Poetry Slam ist eine der ganz wenigen Inseln, die tatsächlich noch in der Schule die Persönlichkeit wertschätzt und die Persönlichkeitsbildung, wo es um die Person geht und um das, was sie wahrnimmt.»
Die 25 Jahre in Deutschland haben für die Literaturwissenschaftlerin Anita Traninger einen langen Vorlauf. «Die Poetry Slams sind Teil einer Geschichte von 1000 Jahren und mehr», sagt die Rhetorikprofessorin der FU Berlin. «Poetry ist Dichtung und nicht nur Erzählen, sondern auch Erzählen in einer gebundenen Form, die aus der Mündlichkeit kommt.»

Wettbewerb historisch

Dabei ist auch der Wettbewerb historisch. «Dieses Gegeneinander-Antreten mit Gedichten, dieses Performen vor Publikum ist der ursprüngliche Kontext, in dem Dichtung überhaupt stattgefunden hat.» Schon Troubadoure traten gegeneinander an. «An jedem einzelnen Hof fanden sich Dichter, die aufgerufen waren, zu bestimmten Gelegenheiten ihre Gedichte vorzutragen, und das ist oft in Konkurrenz zueinander passiert.» Traninger: «Insofern haben wir ein relativ neues Phänomen, das ganz lange Wurzeln hat, die weit in die Geschichte zurückreichen.»

In Berlin ermitteln von Samstag an eine Woche lang Poetry Slammer wieder ihren deutschsprachigen Meister. Als Gast mit dabei ist auch Titelträger Jean-Philippe Kindler aus Bochum. Der 23-Jährige hat es in nur zwei Jahren an die Spitze geschafft. «Slam wird für viele Leute zu so einem Durchlauferhitzer, ich habe das für meine Begriffe ein bisschen zu schnell durchlebt.» Er warnt nach eigenen Erfahrungen vor Überlastung und gesundheitlichen Problemen. Newcomer sollten auch «nicht zu sehr darauf hören, was andere Leute auf der Bühne machen.»
Kindler hat auch einen inhaltlichen Wunsch an künftige Slammer: «Es würde uns allen guttun, wenn wieder so ein bisschen dadaistischeres und mutigeres Zeug auf die Bühne kommt.»

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