Neu im Kino: „Stasikomödie“

Ein Hippie in der Abhörzentrale

Kathrin Horster
Lesezeit 4 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
19. Mai 2022
Henry Hübchen (links) gibt den Stasi-Offizier Siemens, der seinen jungen Kollegen Ludger (David Kross) permanent beobachtet.

(Bild 1/4) Henry Hübchen (links) gibt den Stasi-Offizier Siemens, der seinen jungen Kollegen Ludger (David Kross) permanent beobachtet. ©Foto: dpa

Leander Haußmanns neuer Film „Stasikomödie“ ist ein witziger, melancholischer, aber auch sehr altersmilder Rückblick auf die DDR. Ist der Film einen Kinobesuch wert?

Harmlos geht es in keiner Diktatur zu. Doch die Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR, löst seit ihrem Ende im Herbst 1989 hier und da eine befremdliche Form der Sentimentalität aus. Unterm Begriff „Ostalgie“ gedenkt man exotischer Spezialitäten wie der Spreewaldgurke, aber auch regimekritischer Musikgruppen wie Silly oder City. Im rosaroten Rückblick tuckert der Trabi tadellos über Schlaglöcher hinweg, und die FDJ taugt zum besseren Pfadfinderverein. Allmählich verblasst dagegen die Erinnerung an Schikane, Mangelwirtschaft und Bespitzelung. Wer sich realistischer erinnern will, dem kann ein Film mit dem Titel „Stasikomödie“ erst einmal bitter aufstoßen. Gedreht hat ihn der Filme- und Theatermacher Leander Haußmann als abschließenden Teil seiner im Jahr 2000 mit „Sonnenallee“ begonnenen und 2005 mit „NVA“ fortgeführten DDR-Trilogie. Während „Sonnenallee“ eine Jugend unter erschwerten Ost-Bedingungen schilderte, verniedlichte „NVA“ den rigiden sozialistischen Militärdrill, der jede noch so kleine Anwandlung individualistischen Rebellentums im Keim erstickte. Ob nun die „Stasikomödie“ mehr Wahrheit zulässt?

Wie viel Wahrheit steckt im Rückblick?

Die Geschichte beginnt mit einem Rückblick ins Leben des Romanautors Ludger Fuchs (Jörg Schüttauf), der im Jahr 2022 die eigene Stasi-Akte einsehen will. Seinen Kindern und Literatur-Fans gilt Fuchs als Oppositioneller, doch ein Zufallsfund in der Akte legt nahe, dass der Literat eine doppelte, weniger glanzvolle Vergangenheit verschweigt.

Als 17-jähriger wird Fuchs (David Kross) von der Stasi angeworben. Als neuer Informeller Mitarbeiter, kurz IM, soll er sich in die Künstler-Szene vom Prenzlauer Berg einschleusen. Leander Haußmann problematisiert das nicht weiter, sondern erzählt, wie sich der junge Mann in der Bohème der frühen Achtziger ein zweites, schöneres Leben aufbaut. Zwar ständig beobachtet von seinem vorgesetzten Offizier Siemens (Henry Hübchen), aber doch frei genug, um sich gleich mit zwei Frauen zu vergnügen.

Haußmanns DDR-Bezug ermöglicht authentische Einblicke

- Anzeige -

Leander Haußmann ist selbst ein Kind der DDR und begann seine Karriere an ostdeutschen Theatern. Von daher wirken dessen filmische Ansichten des DDR-Alltags authentisch. Mit bissigem Witz und üppigen historischen Details schildert er, wie Ludger nicht nur zwischen Bohème-WG und Stasi-Hauptquartier pendelt, sondern auch zwischen zwei unterschiedlichen Mentalitäten. Die freiheitlich-avantgardistisch gesinnte, erstaunlich apolitische Szene der Paradiesvögel vom Prenzlauer Berg steht im krassen Widerspruch zur Staatsdoktrin der kleinbürgerlichen Kommissköpfe in der Stasi-Hierarchie. Henry Hübchen gibt Ludgers Vorgesetzten als gefährlich-lustigen Mephistopheles, der junge Leute mit diebischem Vergnügen in den Abgrund der Abhörzentrale zieht, zugleich aber auch die Annehmlichkeiten des Doppellebens genießt. Bei seinen Kontrollbesuchen gibt sich Siemens als Ludgers Vater aus, der mit den Freundinnen seines vermeintlichen Sohnes schäkert und auch sonst einen eher unsoldatischen Lebensstil mit zuviel Zigaretten und noch mehr Schnaps genießt. Überzeugend abstoßend zeichnet Haußmann auch den Stasi-Minister Erich Mielke, der seine Gurken im rechten Winkel zum Wurstbrot auf dem Teller drapieren lässt und sich anlässlich seines Geburtstages als feudalistischer Sonnenkönig kostümiert, auf seinem Landsitz selbst feiert – inklusive Rokoko-Perücke und historisch gewandeter Festgesellschaft, die für Mielke das Lied vom kleinen Trompeter schmettern muss. Dazwischen Ludger in seiner Hippie-Kommune, die sich im Look und Sprachgebrauch kaum von westlicher Protest- und Subkulturbewegung unterscheidet. Eine große Stärke der „Stasikomödie“ ist dann auch die komödiantisch geschliffene Figuren- und Milieuzeichnung, der teils hämische Humor, mit dem Haußmann den spießigen Arbeiter- und Bauernstaat porträtiert.

Die Grausamkeit der Diktatur kommt zu kurz

Intensiv wirkt auch die Melancholie, mit der der 62-jährige Regisseur die eigene Jugendzeit wieder auferstehen lässt. Aber da liegt auch das Problem. Die tatsächliche Grausamkeit des Regimes und seiner Disziplinierungsapparate kommt zu kurz. Nur einmal, als Ludger von Siemens in einen gekachelten Kellerraum geführt wird, scheint im Film der wahre DDR-Terror auf - heute ist fast vergessen, wie viele Menschen in solchen Zellen per „unerwartetem Nahschuss“ ins Genick hingerichtet wurden. Ludger aber bleibt eine schillernde Figur, weder Rebell, noch strammer Staatsdiener, bloß einer, der sich durchlaviert. Damit relativiert Haußmann die Rolle der DDR-Spitzel, nach dem Motto: Waren wir nicht alle ein bisschen IM?

Stasikomödie. D 2022. Regie: Leander Haußmann. Mit David Kross, Antonia Bill, Deleila Piasko. 115 Minuten. Ab 12 Jahren.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kultur

José F. A. Oliver
vor 23 Stunden
Kulturkolumne
Einst las ich den Satz, die Zeit sei eine blinde Führerin. Übersetzt hieß das für mich nichts anderes, als dass wir diejenigen sein sollten, die diese an die Hand nehmen müssten. In einer Welt, die groß ist und klein zugleich: Die Welt ist groß. Die Welt ist klein ...
Berühmten Kollegen setzte Anna Haifisch ein Denkmal. So zeigt sie in einer Zeichnung den Karikaturisten Saul Steinberg (1914–1999) beim Kampf gegen eine Schaffenskrise.
26.03.2024
Ausstellung in Straßburg
Noch bis zum 7. April sind im Straßburger Musée Tomi Ungerer Werke der deutschen Zeichnerin Anna Haifisch zu sehen. Sie stellt Menschen gerne oft als Tiere dar und karikiert Kollegen.
Gäste im "Grand Hotel Grimm" mit unlauteren Absichten: ein Zwerg mit langem Bart, ein unscheinbarer Handlungsreisender und eine elegante junge Dame mit dem Namen Rotkäppchen.
26.03.2024
Puppenparade Ortenau
Die „Berliner Stadtmusikanten“ des Theaters Zitadelle sind in die Jahre gekommen. Mit „Grand Hotel Grimm“ boten sie bei der Puppenparade in Lahr dennoch eine erfrischende Vorstellung.
Im Mittelpunkt der Tragödie: die Schwestern Chrysothemis (Elza van den Heever, links) und Elektra ­(Nina Stemme).
26.03.2024
Festspielhaus Baden-Baden
Das archaische Thema der Oper „Elektra“ ließ das Publikum bei der Eröffnung der Osterfestspiele Baden-Baden frösteln. Umjubelt wurden Sängerin Nina Stemme und Dirigent Kirill Petrenko.
Dietrich Mack. 
26.03.2024
Kulturkolumne
„Hoffnungsglück“ hat Goethe die Aufbruchstimmung genannt, die der Frühling verbreitet..Dieses Gefühl genießt auch der Kolumnist, der verrät, warum für ihn Bach nicht nur der fünfte, sondern auch der beste Evangelist ist.
Sechshändig am Klavier: die Schwestern Alisa und Lia Benner aus Lahr und Ennco Sinner aus Kippenheim.
19.03.2024
"Jugend musiziert"
Eine Auswahl der Besten beim Landeswettbewerb in Offenburg stellte sich in der Offenburger Reithalle vor, oft begleitet von Vater, Mutter oder Geschwistern.
Harte Szene im Gemüsekrimi: Dietmar Bertram hobelt eine Gurke, um sie zum Reden zu bringen.
17.03.2024
Lahr
Ein Detektiv spielt mit Essen: Dietmar Bertram präsentierte „Hollyfood – Die Gemüsekrimis“ bei der Puppenparade Ortenau im Lahrer Schlachthof.
Am Abgrund: In "A long way down" wird über ein ernstes Thema gealbert. 
17.03.2024
Offenburg
Mit britischem Humor thematisiert die Tragikomödie „A long way down“ die Selbstmordgedanken gescheiterter Existenzen. Für die Aufführung in der Oberrheinhalle gab es viel Beifall.
Von Gier befeuert: Carsten Klemm (rechts) als Kunstfälscher Fritz Knobel und Luc Feit (links) als Skandalreporter Hermann Willié. 
17.03.2024
Lahr
Den Skandal um die angeblichen Hitlertagebücher des Kunstfälschers Kujau brachte die Landesbühne Esslingen mit „Schtonck“ auf die Bühne.
Arbeiten aus mehr als drei Jahrzehnten zeigt Karl Vollmer im Artforum.
17.03.2024
Offenburg
Karl Vollmer reflektiert das Zeitgeschehen und bezieht Position. Zwei Werke seiner Ausstellung „Wider Erwarten – Ortung“ beim Kunstverein Ortenau hat er Alexej Nawalny gewidmet.
Das Trio Van Beethoven erhielt frenetischen Schlussbeifall.
13.03.2024
Achern
Das Trio Van Beethoven eroberte am Sonntag mit Werken von drei weitgehend unbekannten Komponisten das Publikum in der Alten Kirche Fautenbach.
Mit ein bisschen Absurdität und jeder Menge Witz ließ das Theater Handgemenge seinen König auf Reisen gehen.
13.03.2024
Kehl
Das Schattenspiel um Herrn König bescherte dem Kehler Publikum einen großartigen Puppenparade-Abend

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • HYDRO liefert etwa Dreibockheber für die Flugzeugwartung. 
    26.03.2024
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl fustionieren
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl schließen sich zusammen. Mit diesem Schritt befinden sich die Kompetenzen in den Bereichen Ground Support Equipment (GSE) und Aircraft- & Engine Tooling unter einem Dach.
  • Alle Beauty-Dienstleistungen bietet die Kosmetik Lounge in Offenburg unter einem Dach.
    26.03.2024
    Kosmetik Lounge Offenburg: Da steckt alles unter einem Dach
    Mit einer pfiffigen Geschäftsidee lässt Elena Plett in Offenburg aufhorchen. Die staatlich geprüfte Kosmetikerin denkt "outside the box" und hat in ihrer Kosmetik Lounge ein außergewöhnliches Geschäftsmodell gestartet.
  • Konfetti, Flitter und Feuerwerk beschließen die große Preisverleihung im Forum-Kino in Offenburg. Die SHORTS feiern 2024 ihr 25. Jubiläum. 
    26.03.2024
    25 Jahre SHORTS – 25 Jahre Bühne für künftige Filmemacher
    Vom kleinen Screening in 25 Jahren zum gewachsenen Filmfestival: Die SHORTS der Hochschule Offenburg feiern Jubiläum. Von 9. bis 12. April dreht sich im Forum-Kino Offenburg alles um die Werke junger Filmemacher. Am 13. April wird das Jubiläum im "Kesselhaus" gefeiert.
  • Das LIBERTY-Team startet am Mittwoch, 27. März, in die Afterwork-Party-Saison. 2024 finden die Veranstaltungen in Kooperation mit reiff medien statt. 
    22.03.2024
    Businessaustausch jetzt in Kooperation mit reiff medien
    Das Offenburger LIBERTY startet mit Power in die Eventsaison: Am Mittwoch, 27. März, steigt die erste XXL-Afterwork-Party mit einem neuen Kooperationspartner. Das LIBERTY lädt zusammen mit reiff medien zum zwanglosen Feierabend-Businessaustausch ein.