Architektur

Einfach perfekt hingemurkst

Ulla Hanselmann
Lesezeit 4 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
19. September 2020
Ups, was ist denn da passiert? Eine nicht unbedingt lehrbuchgerechte Dachgaube in Saarbrücken. Weitere hübsche Bausünden-Beispiele finden Sie in unserer Bildergalerie!

(Bild 1/11) Ups, was ist denn da passiert? Eine nicht unbedingt lehrbuchgerechte Dachgaube in Saarbrücken. Weitere hübsche Bausünden-Beispiele finden Sie in unserer Bildergalerie! ©Foto: Turit Fröbe

Es lebe die Bausünde – aber nur die gute! Die Architekturhistorikerin Turit Fröbe bricht eine Lanze für architektonische Fehlleistungen. Ihr neu aufgelegter Fotoband „Die Kunst der Bausünde“ ist eine Augenweide.

Stuttgart - Schlechte Architektur ist keine Kunst, deshalb gibt es leider ziemlich viel davon. Gute Bausünden hingegen sind selten – und manchmal so kunstvoll, dass sie paradoxerweise die gleiche Wirkung wie architektonisch Herausragendes haben. „Eine gut gemachte, originelle Bausünde zeichnet sich durch Mut, Einfallsreichtum und eine beherzte Entschlossenheit aus. Sie verfügt über eine herausragende Bildqualität und hebt sich souverän aus dem unendlichen Meer der gesichtslosen, allgegenwärtigen Banalitäten ab“, sagt die Architekturhistorikerin Turit Fröbe. Die schlechte Bausünde aber sei so allgegenwärtig wie austauschbar und bleibe deshalb unter der Wahrnehmungsschwelle.

Vor sieben Jahren hat die Autorin mit ihrem Fotoband „Die Kunst der Bausünde“ auf Anhieb einen Klassiker geschaffen. Ihre wunderbar ironischen und doch von tiefer Durchdringung der Materie gekennzeichneten, knapp formulierten Thesen zum Wesen der Bausünde, die eine Rehabilitation derselben zum Ziel haben, belegt sie mit einem Bündel an fotografischem Beweismaterial: Kirchen im Bunkerstil, Erker-Eier an Plattenbauten, Eigenheim-Monstrositäten in der Vorstadt.

Das Fake-Stadtschloss – eine neue Bausünden-Spezies

Nun hat Fröbe den Band aktualisiert und neu herausgebracht (DuMont, 184 Seiten, 20 Euro). Neue Motive sind indes nicht dazu gekommen, dafür gibt es im Nachwort ein Update, welche Bausünden die vergangenen Jahre nicht überlebt haben, wie etwa die sogenannte Humboldt-Box in Berlin. An deren Stelle erhebe sich nun „eine neue Bausünden-Spezies (...): das neue errichte Berliner Fake-Stadtschloss“. Touché!

Jenseits dieser minimalen Überarbeitungen bereitet der Band dem Betrachter wie gehabt ein wonniges Vergnügen. Die Rückseite eines Kaufhauses so erfolgreich zu verunstalten, wie es bei der Karstadt-Filiale in Dresden gelang – ein klarer Fall einer „ambitionierten Bausünde“. Diese ist zu unterscheiden von jener, die nur ein irgendwie rätselhafter Planungsunfall ist, so wie etwa die Gaube, die sich in Saarbrücken so durch die Dachtraufe schiebt, dass die Dachrinne mittig vor der Fensterscheibe liegt.

Das schwäbische Eislingen tut sich hervor

- Anzeige -

Hinzu kommen jene Fälle, bei denen die Schnelllebigkeit des Zeitgeists die Ursache der Wahrnehmung als Fehlleistung ist. Denn, Achtung, Freunde des neuen Purismus und der Lochfassaden: Was heute hip ist, kann schon morgen eine Bausünde sein. Der Steglitzer Bierpinsel in Berlin, einst „euphorisch begrüßte Pop-Art“, gilt heute als eine „der bildgewaltigsten Bausünden der Stadt“. Umgekehrt können einst als Architekturunfall eingestufte Bauten irgendwann einmal richtig groß herauskommen – der Pariser Eiffelturm zum Beispiel.

Richtig produktiv, was den Output an Architektur-Verbrechen angeht, ist die Kunst am Bau und im öffentlichen Raum. Auf diesem Feld hat sich aus Sicht von Turit Fröbe vor allem das schwäbische Eislingen hervorgetan, wo mit Kreiselkunst, also Kunst im Kreisverkehr, „unverwechselbare städtische Plätze“ geschaffen werden sollten. Ein ambitioniertes Ziel, das mitnichten verfehlt wird, wie etwa eine in ein rotes Kleid gehüllte, kopflose „Wegweiserin“ demonstriert, die sich im Wind dreht und als Sinnbild für den „unendlichen Kreislauf des Werdens und Vergehens“ verstanden werden will.

Das benachbarte Göppingen hält bei den Kreisel-Scheußlichkeiten tapfer mit und lässt einen blauen Golf apart zerbersten. Stuttgart glänzt in dem Band interessanterweise mit Abwesenheit, scheint man hier nicht einmal gute Bausünden zustande zu bringen? Erwähnt wird die Landeshauptstadt nur mit einem undurchsichtigen Satz: Stuttgart habe „ in den letzten Jahren seine innerstädtischen Bausünden hinter Glas gesetzt und verleugnet sie vollkommen.“

Schizohäuser am Stadtrand

Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, findet sie freilich zuhauf, in Stuttgart und anderswo, die Sündenfälle, die durch verhunzte Anbauten, hässliche Beschriftungen und geschmacklose Dekorationen verbrochen wurden, oder durch Überformungen von Bestandsgebäuden durch Verkleidungen und sonstige grässliche, aus dem Baumarkt-Sortiment gespeiste Updates. Einen unerschöpflichen Bausünden-Fundus bieten Stadtrand oder Vorort mit zu Villen aufgemotzten Bungalows, die tief blicken lassen in die minderwertigkeitskomplex-beschwerte Psyche der Hausbesitzer. Ebenfalls weit verbreitet sind, wie Fröbe belegt, „Schizohäuser“ – Doppelhäuser und Reihenhaus-Nachbarn, deren Besitzer Fassaden, Treppenstufen, Windfänge und Haustüren sehr individuell und dabei komplett konträr zur gestalterischen Selbstverwirklichung nutzen.

Gute Bausünden würden jedoch immer häufiger durch schlechte ersetzt, stellt die Autorin mit Bedauern fest, immer seltener erblicke architektonisch Anstößiges das Licht der Welt. Tatsächlich scheint gestalterische Mutlosigkeit und eine vom Daumen-hoch-Druck des Icon-Zeitalters nivellierte Einheitsästhetik die Bausünde vom Aussterben zu bedrohen. Fatal für die Baukultur, ist doch ein perfekter Baumurks jedem architektonischen Mittelmaß überlegen.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kultur

Kam rockig daher: Musiker Alastair Greene beim Blues Caravan.
16.04.2024
Offenburg
Starke Stimmen und epische Gitarrenläufe: Blues Caravan in der Offenburger Reithalle mit Katarina Pejak, Eric Johanson und Alastair Greene.
Beliban zu Stolberg gastiert am Donnerstag bei "Wortspiel" und liest aus "Zweistromland".
16.04.2024
Literaturtage Wortspiel
Um die kurdische Bürgerrechtsbewegung und eine mutige Frau geht es in "Zweistromland" von Beliban zu Stolberg. Sie liest am Donnerstag, 18. April, in Offenburg in der Stadtbibliothek.
Charlotte Gneuß schaffte es mit ihrem Erstling auf die Longlist des Deutschen Buchpreises – heute liest sie in Offenburg.
15.04.2024
Literaturtage Wortspiel
Mit ihrem Romandebüt "Gittersee" hat die Autorin Charlotte Gneuß eine heftige Debatte entfacht. Zugleich erhielt sie mehrere Literaturpreise. Am Dienstagabend liest sie bei "Wortspiel" in Offenburg.
Dirigent Rolf Schilli (von links), Komponist Leonard Küßner und Musikschulleiter Peter Stöhr bei der Übergabe der Partitur von "Zeitenwende".
15.04.2024
Offenburg
Die Partitur ist übergeben: Nun probt die "Philharmonie am Forum" für die Uraufführung des Konzerts für Altsaxofon und Orchester des Komponisten Leonard Küßner am 5. Mai in Offenburg.
José F.A. Oliver.
15.04.2024
Kulturkolumne
So wie „spring“ im Englischen Frühling „m:eint“, lade ich Sie ein, hineinzuspringen – mitten in diesen Kolumnentext! In die Zeilen. Zwischen die Zeilen.
Barbara Ehrmann und Dieter Konsek stellen gemeinsam beim Kunstverein Offenburg/Mittelbaden aus. 
12.04.2024
Kunstverein Offenburg/Mittelbaden
Barbara Ehrmann zieht es ins Wasser, Dieter Konsek in den Wald. Die Bilderwelt der beiden Künstler zeigt eine gemeinsame Ausstellung beim Kunstverein Offenburg/Mittelbaden.
Die schweizerisch-österreichische Malerin Angelika Kauffmann vollendete das Ölgemälde "Klio, Muse der Geschichtsschreibung" um 1775. 
10.04.2024
Ausstellung in Basel
In der Ausstellung „Geniale Künstlerinnen“ zeigt das Kunstmuseum Basel Gemälde und Druckgrafik von Frauen von der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert.
Hotel Rimini macht Popmusik, hält die Tür aber in alle Richtungen offen.
09.04.2024
Konzert
Das junge Sextett Hotel Rimini sucht noch nach der unverwechselbaren Handschrift. Das Konzert im Foyer der Offenburger Reithalle hatte trotzdem eine positive Resonanz des Publikums.
Der holländische Gitarrist und Songschreiber Bertolf Lentink bringt seine hochkarätige Tourband mit nach Bühl.
09.04.2024
Bluegrass-Festival
Bei der 20. Ausgabe des Bühler Bluegrass-Festivals am ersten Mai-Wochenende gibt es erstmals eine Matinee. Stargast beim Hauptkonzert ist die John Jorgenson Bluegrass Band.
Schlagzeuger Joe Hertenstein, Trompeter Thomas Heberer und Kontrabassist Joe Fonda setzten in der Christuskirche auf die lyrische Kraft ihrer Instrumente.
08.04.2024
Jazzkonzert
Bei seinem Konzert in der Reihe der Kuppelkonzerte in der Lahrer Christuskirche hat das Jazztrio Remedy um Joe Hertenstein die Herausforderung des besonderen Klangraums mit Bravour gemeistert.
Der Autor Alex Capus besitzt auch die Bar "Galizia" in Olten.
08.04.2024
Kultur
Dienstagabend um 20 Uhr stellt Alex Capus sein aktuelles Buch vor: Seine Zuhörer in der Buchhandlung Roth in Offenburg wird er mit in "Das Haus am Sonnenhang" nehmen.
Von Altersmüdigkeit keine Spur: Bandmitbegründer und Frontman Jim Kerr (64) zelebriert immer noch seine berühmten Posen.
08.04.2024
Konzert in Straßburg
Die schottische Gruppe Simple Minds hat sich mit jungen Musikern verstärkt. Beim Auftritt im Straßburger Zenith begeisterte sie 6000 Besucher und sorgte für einen Gänsehautmoment.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Alles andere als ein Glücksspiel: die Geldanlage in Aktien. Den Beweis dafür tritt azemos in Offenburg seit mehr als 20 Jahren erfolgreich an.
    17.04.2024
    Mit den azemos-Anlagestrategien auf der sicheren Seite
    Die azemos Vermögensmanagement GmbH in Offenburg gewährt einen Einblick in die Arbeit der Analysten und die seit mehr als 20 Jahren erfolgreichen Anlagestrategien für Privat- sowie Geschäftskunden.
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.
  • Der Frühling steht vor der Tür und die After-Work-Events starten auf dem Quartiersplatz des Offenburger Rée Carrés.
    12.04.2024
    Ab 8. Mai: Zum After Work ins Rée Carré Offenburg
    In gemütlicher Runde chillen, dazu etwas Leckeres essen und den Tag mit einem Drink ausklingen lassen? Das ist bei den After-Work-Events im Rée Carré in Offenburg möglich. Sie finden von Mai bis Oktober jeweils von 17 bis 21 Uhr auf dem Quartiersplatz statt.
  • Mit der Kraft der Sonne bringt das Unternehmen Richard Neumayer in Hausach den Stahl zum Glühen. Einige der Solarmodule befinden sich auf den Produktionshallen.
    09.04.2024
    Richard Neumayer GmbH als Klimaschutz-Pionier ausgezeichnet
    Das Hausacher Unternehmen Richard Neumayer GmbH wurde erneut für seine richtungsweisende Pionierarbeit für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die familiengeführte Stahlschmiede ist "Top Innovator 2024".