"Fast eine familiäre Klangatmosphäre"

(Bild 1/2) Auf dem Offenburger Kulturforum dreht sich bis 20. September das „Heaven‘s Carousel“ von Tim Otto Roth unter großem Beifall der Besucher. ©Jürgen Haberer
Tim Otto Roths „Heaven‘s Carousel“ ist einzigartig – in vielerlei Hinsicht. Und es hat schon viel gesehen und mitgemacht,
wie der Künstler im Gespräch erzählt.
Tim Otto Roths „Heaven‘s Carousel“ hat weltweit und nun auch in Offenburg für ordentlich Aufsehen gesorgt. Die Besucher kommen in Scharen auf das Kulturforum.
Eigentlich hätte das „Carousel“ Ende Mai in New York sein sollen. Sind Sie enttäuscht?
Größere oder kleinere Katastrophen haben alle meine großen Präsentationen in den Vereinigten Staaten umschattet. In der Nacht, in der wir 2011 mit „From the Distant Past“ eine große Laserinstallation am American Museum of National History eröffneten, begannen die Wall Street Proteste; die Pressevertreter änderten kurzfristig ihre Planung und berichteten über die Ereignisse, die in wenigen Kilometern Entfernung stattfanden. Meine Einzelausstellung „Light from the Other Side“ am Goethe Institut in Washington eröffnete einen Tag nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA. Viele Kunstinteressierte blieben deprimiert Zuhause. Und auch die erste Präsentation des „Heaven’s Carousel“ in den USA stand unter keinem guten Stern.
Wie das?
Es wurde 2015 zum 25-jährigen Geburtstag von Hubble Space Teleskop am American Visionary Art Museum in Baltimore gezeigt. Woran sich heute kaum noch jemand erinnert: Auch in Baltimore kam kurz vor der Präsentation des ein Farbiger bei einem Polizeieinsatz ums Leben. Darauf brachen unter Jugendlichen große Proteste aus, die dazu führten, dass tagelang eine nächtliche Ausgangssperre über die Stadt verhängt wurde – ausgerechnet in den Nächten, in denen sich das Karussell drehen sollte. Mit dieser Vorgeschichte sehe ich die aktuellen Absagen aus New York und dem australischen Brisbane gelassen: Verschoben heißt nicht aufgehoben.
Inzwischen dürfte das Werk bereits eine Weltreise hinter sich haben. Reagieren die Menschen überall gleich oder gibt es Unterschiede in der Rezeption?
Die Arbeit ist per se transkulturell, weil die meisten Stücke, die ich für das „Heaven’s Carousel“ komponiert habe, nichts mit den klassischen Tonleitern gemein haben, die wir aus den unterschiedlichen Kulturen kennen. Das „Heaven’s Carousel“ ist in diesem Sinne schon eine Musik, die scheinbar von einem anderen Planeten kommt. Trotzdem zieht dieses Klangufo aus einer fernen Welt die Besucher*innen in ihren Bann. Die ‚schrägen‘ Töne machen einerseits neugierig, weisen zugleich aber auch zurück. Dieses Spannungsverhältnis von Anziehung und Abstoßung macht die besondere Faszination des „Heaven’s Carousel“ aus.
Mit der Installation sind Sie seit 2016 das erste Mal wieder mit einer Arbeit in Offenburg – ist auch eine größere Ausstellung demnächst geplant?
Wie wollen Sie denn das „Heaven’s Carousel“ noch toppen? Neben dem aus 444 illuminierten Lautsprechern bestehenden, nur im Innenraum erlebbare Klangraum [aiskju:b] ist das „Heaven’s Carousel“ meine bislang größte Klangskulptur. Sie besteht aus 36 leuchtenden, kugelförmigen Lautsprechern, die an 12 Strängen am Arm eines Anhängerkrans in zehn Metern Höhe befestigt sind und sich über den Köpfen der Besucher drehen.
Das Carousel ist definitiv einzigartig.
Unabhängig vom Kunsterlebnis zeigt bereits diese kurze Beschreibung des Aufbaus, dass die Stadt Offenburg, der Fachbereich Kultur und die Städtische Galerie keine Mühe gescheut haben, Kunst- und Musikbegeisterten diese einmalige Klangskulptur im Corona-Sommer zu präsentieren. Mit dem Angebot, das „Heaven’s Carousel“ auf dem Platz der Verfassungsfreunde zu zeigen, bietet die Stadt Offenburg die beste Bühne, die es in meiner Heimat für diese Klangskulptur gibt. Dieses Engagement des Fachbereichs Kultur, in diesen schwierigen Zeiten zeitgenössische Kunst- und Musik für alle erlebbar zu machen, hat Signalwirkung.
Welche Bedeutung hat das „Heaven’s Carousel“ für Sie? Jede Arbeit ist wichtig und ein weiterer Schritt, aber es gibt sicherlich Arbeiten, die einem Künstler mehr oder weniger bedeuten.
Das „Heaven’s Carousel“ ist tatsächlich ein Meilenstein in meinem künstlerischen Werk. Es ist meine erste klangbasierte Arbeit, bei der es mir darauf ankam, mit möglichst einfachen Tönen die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Auf die Idee, Klangkörper hierfür in diesen Dimensionen in Rotation zu versetzen, kam vor mir noch niemand. Das „Heaven’s Carousel“ ist aber nicht nur eine kinetische Klangskulptur, sondern zugleich auch ein neues Instrument, für das auf völlig neue Weise komponiert werden muss.
Woher bezogen Sie die nötigen Materialien?
Auch in anderer Hinsicht war das „Heaven’s Carousel“ eine künstlerische Herausforderung. Die Ausdehnung des Universums so visuell-akustisch erfahrbar zu machen, wie ich es mir vorgestellt habe, hat mich und mein Studio vor einige Herausforderungen gestellt – das war in wenigen Monaten von Null auf Hundert mit völlig neuen Technologien. Die leuchtenden Lautsprecher sind eine Eigenproduktion, Hard- und Software wurden von meinem Team und mir entwickelt. Das „Heaven’s Carousel“ hat mir zum ersten Mal bewusst gemacht. dass ich als Künstler zugleich auch Unternehmer bin.
Das „Carousel“ habe eine „psychedelische Wirkung“, haben Sie im Gespräch vor fünf Jahren gesagt. Mit ihrer Kunst möchten Sie Resonanzen erzeugen – hier ja im doppelten Sinne. Welche Resonanzen möchten Sie unter den gegenwärtigen Lebensbedingungen erzeugen?
Das „Heaven’s Carousel“ verbreitet nicht nur „good vibrations“ in stürmischen Zeiten für die Kultur, sondern hat in mehrerlei Hinsicht auch etwas Visionäres. Hier wird Klang und Raum völlig neu gedacht und die Präsentation trotz der widrigen Zeiten ist ein wichtiges Zeichen. In Zeiten des ‚Social Distancing‘ – auch unter dem „Heaven’s Carousel“ müssen die 1,5 Meter Abstand gewahrt werden – finde ich es wichtig, eine Klangskulptur zu zeigen, die schon fast eine familiäre Klangatmosphäre bildet. So befremdlich die Beschreibung des „Heaven’s Carousel“ vielleicht auf den ersten Blick scheint, so haben doch die letzten Präsentationen gezeigt, dass Menschen aller Altersgruppen fasziniert stehen bleiben, lauschen und dann den Klangraum erkunden. Weder in Museen noch in Konzerten ist ein solches gemeinschaftliches Kulturerlebnis im Moment möglich.
Ihr Wunsch?
Insofern hoffe ich, dass die ‚good vibrations‘, die neugierig machenden Schwingungen, die vom „Heaven’s Carousel“ ausgehen, in den Alltag hineinwirken. Sie sollen den Menschen bewusst machen, dass sie im Moment mit einer großen Leerstelle leben. Die Kultur ist die eigentliche Leidtragende der Corona-Pandemie. Der Fachbereich Kultur setzt mit der Klanginstallation ein unübersehbares Zeichen, dass Kunst und Kultur in der Gegenwart wichtig sind. Jeder einzelne muss für sich dieses Erleben wieder einfordern, damit wir nicht nur in Bahn und Flugzeug Nähe erleben dürfen, sondern auch wieder in Museen, Theatern und Konzerthäusern.