Berlin

Fatih Akin: Angst, Horror und Gewalt

dpa
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19. Februar 2019
Fatih Akin stellt seinen Horrorfilm «Der Goldene Handschuh» auf der Berlinale vor.

Fatih Akin stellt seinen Horrorfilm «Der Goldene Handschuh» auf der Berlinale vor. ©dpa - Christoph Soeder

Nach seinem weltweiten Erfolg mit dem NSU-Drama «Aus dem Nichts» hat Regisseur Fatih Akin einen Film über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka gedreht, der in den 70er Jahren vier Frauen umbrachte.

«Der Goldene Handschuh» ist die Verfilmung des mehrfach ausgezeichneten Romans von Heinz Strunk. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt Akin, was ihm Angst macht und was das Schwierige an einem Horrorfilm ist.

Nach dem Jugendfilm «Tschick» und dem NSU-Drama «Aus dem Nichts» geht «Der Goldene Handschuh» in eine ganz andere Richtung. In welchem Genre würden Sie den Film verorten?

Fatih Akin: Horror. Ich denke, Horror definiert sich mit der Absicht, den Zuschauer zu erschrecken, zu ängstigen. Mit der Haltung habe ich das gemacht, das wollte ich: dem Zuschauer Angst machen. Und zwar auf eine Weise, dass es mir Angst machen würde.

Was macht Ihnen genau Angst?

Akin: Wenn ich das glaube, was da alles passiert. Wie kaputt musst du sein, Leichen zu zersägen und sie bei dir zu Hause in der Wohnung zu bunkern? Wenn ich mir vorstelle, dass es das wirklich gegeben hat - der Gedanke kann mir schon Angst machen.

Was ist das Schwierige an einem Horrorfilm?

Akin: Angst zu erzeugen.

Es ist also wichtig, wie man es inszeniert?

Akin: Ja, ich glaube schon. In der Phase, in der ich mich jetzt als Filmemacher befinde, reizt mich das Handwerk sehr, es interessiert mich mehr.

Aber was hat Sie jetzt genau gereizt? Die Geschichte oder der handwerkliche Aspekt?

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Akin: Beides, das gehört zusammen. Ein Serienmörder ist ja eine Figur der Populärkultur wie Jack the Ripper und Hannibal Lecter. Gleichzeitig ist das in diesem Fall jemand, den es wirklich gegeben hat - in meiner Nachbarschaft, ich wohne um die Ecke.

Seit wann kennen Sie die Geschichte?

Akin: Seit dem Buch. Ich bin zwar Hamburger, aber das ist vorher irgendwie an mir vorbeigegangen. Ich habe meinem griechischen Kumpel Adam Bousdoukos davon erzählt, und da sagt Adam zu mir: «Ey, weißt du was, mein Patenonkel war der Nachbar von Honka!» Dann habe ich in Thessaloniki seine Cousine getroffen, also die Tochter von seinem Patenonkel, und die hat mir die Geschichte von den Würmern erzählt. Da habe ich mir gedacht «Das baue ich ein!».

Wie haben Sie es hinbekommen, dass die Leinwand ständig so schmutzig und abstoßend wirkt?

Akin: Das ist ähnlich, wie wenn man Eleganz und Schönheit erzeugen will. Man braucht wahnsinnig viele Maler, man muss mit viel Licht arbeiten. Es ist eine technische Herangehensweise, eine handwerkliche, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich sitze jetzt gerade mit Diane Kruger an «Marlene Dietrich», und da geht es um Kostüme, Licht und Eleganz. Es ist ähnlich wie Dreck herzustellen. Es ist die entgegengesetzte Richtung, aber du benutzt dieselben Mittel.

Sie ahnen sicherlich, dass der Film «Der Goldene Handschuh» sehr polarisieren wird. Was sagen Sie den Menschen, die kritisieren, Sie dürften das Elend und vor allem die Protagonisten im Film nicht so zur Schau stellen?

Akin: Ich stelle die Wahrheit nach, wie immer in meinen Filmen. Ich versuche, mich an Fakten zu halten. Die Gewalt ist nicht stilisiert, sondern wahrhaftig und hässlich. Gewalt in den Medien ist überpräsent, wir sind längst abgestumpft. Es ging darum, Gewalt so darzustellen, dass sie wieder erschüttert. Das ist nicht jedermanns Sache. Der Film ist aus guten Gründen erst ab 18 Jahren freigegeben. Ich zwinge niemanden, sich das anzuschauen. Aber ich beschäftige mich auf meine Weise damit. Wenn aus einer politischen Korrektheit heraus Zensur oder Selbstzensur entsteht, dann empfinde ich das als Angriff auf die Kunstfreiheit.

Das sind ja echte Menschen, von denen Sie hier erzählen. Darf man sie so darstellen und zeigen?

Akin: Wenn du einen Film über einen Serienmörder machst, der Frauen umgebracht hat, dann musst du das auch zeigen. Das liegt in der Natur der Sache. Dann geht es aber darum: Wie zeige ich das? Wo tue ich die Kamera hin in der Gewaltdarstellung? Einerseits möchte ich unterhalten, Angst machen, aber andererseits möchte ich auch berühren und erschüttern.

Können Sie das noch etwas erklären?

Akin: Der größte Horrormoment, den ich je erlebt habe, war wahrscheinlich bei (Krzysztof) Kielowskis Film «Ein kurzer Film über das Töten», in dem ein Taxifahrer ermordet wird. Das dauert und dauert und dauert und hört nicht auf. Das war ein bisschen der Tenor am Set: Ich habe gesagt «Ich glaube, es ist nicht einfach, jemanden umzubringen, es ist nicht leicht, jemandem den Kopf abzusägen, egal wie meschugge du bist. Wie können wir das glaubhaft darstellen?» Das interessiert mich. Ich bin neugierig und interessiere mich für Menschen, vor allem für kaputte Menschen. Für kaputte vielleicht sogar mehr als für gesunde Menschen.

Zur Person

Fatih Akin

Der Regisseur Fatih Akin, 45, gehört zu den erfolgreichsten Filmemachern seiner Generation in Deutschland. Seinen internationalen Durchbruch feierte er 2004 bei der Berlinale: Das Drama «Gegen die Wand» um eine junge Türkin in Deutschland, die gegen die Moralvorstellungen ihrer Familie rebelliert, wurde mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Akin, der auch als Produzent und Drehbuchautor arbeitet, drehte außerdem Werke wie «Soul Kitchen» und «Tschick». Zu seinen größten Erfolgen zählt «Aus dem Nichts»: Das NSU-Drama mit Diane Kruger gewann 2018 den Golden Globe für den besten fremdsprachigen Film.

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