Klassiker ganz ohne Pomp
Die Freilichtspiele im Klostergarten der Schuttertalgemeinde hat die Corona-Pandemie auch in diesem Jahr ausgehebelt. Das Risiko einer aufwändigen Festspielproduktion war letztendlich einfach zu hoch. Ausgemachte Theaterfreunde sind am Wochenende trotzdem auf ihre Kosten gekommen.
Festspielintendantin Katja Thost-Hauser hat mit kleiner Besetzung und ohne Kulisse eine Werkstattfassung des „Jedermann“ aufgelegt: Eine auch szenisch entschlackte Adaption des 1911 uraufgeführten Mysterienspiels, die ohne Pomp und Massenszenen vom Sterben des reichen Mannes erzählt. Katja Thost-Hauser hat die in nur wenigen Tagen erarbeitete Inszenierung ihrem 2019 verstorbenen Vater Bruno Thost gewidmet und mit dem Stück auch den Kreis zu den Anfängen der Freilichtspiele geschlossen, die 2004 mit einer Aufführung des „Jedermann“ im Seelbacher Schloss Dautenstein aus der Taufe gehoben wurden.
Das Publikum der drei Vorstellungen im Bauhof der Gemeinde, dem Ort an dem normalerweise die Kulissen gezimmert werden, erlebte eine auf den Kern des Spiels von Hugo von Hofmannsthal reduzierte Fassung des „Jedermann“, die in einer für Katja Thost-Hauser typischen Inszenierung mit modernen Elementen kokettierte. Klassisches Sprechtheater gewürzt mit einen Hauch Gesellschaftskritik und einer Annährung, an ein poppiges, durchaus auch mit Klamauk aufwartendes Amateurtheater, das nicht zuletzt in der Verquickung von professioneller Theaterkunst und inklusivem Laienschauspiel immer wieder für Gänsehaut sorgt.
Eine Werkstattkulisse mit Rolltoren, ein starkes Dutzend überwiegend im Blaumann agierender Laiendarsteller. Der von Profi Christian Hauser gespielte „Jedermann“ wird von Gott persönlich ausgewählt. Er protzt mit seinem Geld, seiner Kaltherzigkeit, und haut mit vier lustigen Gesellen – vier Laiendarsteller aus dem Schuttertal – auf den Putz.
Katja Thost-Hausers langjähriger Regieassistent Johannes Christoph Maier kämpft als Buhlschaft derweil mit seiner feuerroten Perücke. Die Regisseurin selbst tritt mit einer Sanduhr um den Hals als Tod in Erscheinung. „Jedermann“ soll mitten aus dem Leben heraus vor seinen Schöpfer treten. Die Buhlschaft und die Vettern (die lustigen Gesellen) werden ihn ebenso wenig begleiten wie der gute Gesell (Gernot Kogler) oder der Mammon, symbolisiert durch einen Schubkarren voll Geld.
Junge Laiendarsteller
Das in ein als Gospel aufbereitete Kirchenlied (Näher mein Gott zu dir) verpackte Mysterienspiel, das zwischendurch auch mit dem Schlager „Marmor, Stein und Eisen bricht“ aufwartet, wechselt auf die metaphysische Ebene, auf der gerade auch die überwiegend jungen Laiendarsteller auftrumpfen. Die guten Werke von „Jedermann“, erst von Lia Franke, dann von Shania Bohy verkörpert und der Glaube (Verena Rohkohl) treten an seine Seite. Während „Jedermann“ Läuterung erfährt und einen weißen Blaumann überstreift, wehren sie den Teufel (Gernot Kogler) ab, der mit Feuer und Rauch aus der Werkstatt des Bauhofs tritt. Ein von Nesthäkchen Naemi Franke gespielter Engel nimmt den „Jedermann“ an die Hand – er ist bereit für seinen letzten Gang.
Die überraschenderweise bereits am zweiten Abend nicht mehr ausverkaufte Inszenierung hat die noch junge Festspieltradition in Seelbach um eine reizvolle Werkstattvariante eines professionell angelegten Volksschauspiels bereichert. „Heute kein Jedermann“ hat überzeugt und ein neues Kapitel aufgeschlagen, dabei aber auch in reduzierter Form auf all die Zutaten gesetzt, die Bruno Thost und seine Tochter Katja in fast zwei Jahrzehnten in Seelbach etabliert und kultiviert haben.