30 Bilder symbolisieren 30 Jahre
Das Museum für neue Kunst in Freiburg feiert mit der Ausstellung »30+30 retro/perspektiv« sein 30-jähriges Bestehen.
Freiburg. Der Ausstellungstitel klingt ein wenig kryptisch und nach höherer Mathematik, ist mithin erklärungsbedürftig: Das Museum für neue Kunst feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen und blickt mit 30 Werken aus der Sammlung auf seine Geschichte zurück. Als Kommentar wird jedem einzelnen Exponat das Statement eines Künstlers, Dichters, Psychologen oder eines Experten einer anderen Disziplin zur Seite gestellt. So sollen neue Perspektiven auf die Werke eröffnet werden.
So ungewöhnlich die Überschrift, so speziell ist das Display der Schau. Das Freiburger Künstlerduo Hösl & Mihaljevic hat die Bilder von den Wänden geholt und auf tischähnlichen Konstruktionen an die Wand gelehnt platziert. Der Besucher kann sich auf Stühlen davor setzen und mit Kopfhörer den Kommentaren oder Expertisen lauschen, die häufig sachlich-dokumentarischer, mitunter aber auch poetischer Natur sind. Oder er kann den Kommentar in einem zu jedem Werk bereitliegenden doppelseitigen Blatt mit einer Schwarz-Weiß-Abbildung sowie weiteren Informationen nachlesen. Es ist aber auch nicht verkehrt, sich zwischendurch auf seine eigenen fünf Sinne – in Sonderheit die Augen – zu verlassen und ihre Schaltzentrale, das Gehirn, einzuschalten.
Zum Auftaktbild, K. O. Götz’ »Tunset«, einer Mischtechnik von 1958, liefert der Psychologe Marc Wittmann interessante Anmerkungen. Wittmann hat über das Empfinden von Zeit gearbeitet. Die Erkenntnis der Psychologie, dass das zeitliche Empfinden des Jetzt kein ausdehnungsloser Punkt ist, sondern eine Zeitdauer von zwei bis vier Sekunden umfasst, wendet er auf Götz’ in wenigen Sekunden entstandene Malerei an. Die dynamisch-informelle Komposition erscheint als gemaltes Jetzt, als auf die Leinwand gebannter Augenblick.
Anne Gesthuysen liefert fiktiv-erzählerische Einblicke in die Beziehung von Stefanie Grimm zu Wladimir von Zabotin, der die Freundin und Mäzenin 1924 in Öl auf Leinwand porträtierte. Der Science-Fiction-Autor Michael K. Iwoleit wiederum lässt den Maler Karl Hofer als digitale Simulation im Jahre 2148 geistig wiederauferstehen – über 200 Jahre, nachdem er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in »Laokoon« ein ausdrucksvolles Bild der Verstrickung in einen unheilvollen Weltlauf gemalt hatte.
Lyrische Kommentare finden Paula Modersohn-Beckers Porträt ihrer Schwester und Max Ernsts »Portrait Marie-Berthe Aurenche« – ein wunderbarer Neuzugang der Schausammlung. Der Journalist und Schriftsteller Dietmar Dath notiert seine Gedanken zu Karl Hubbuchs Bild »Freiburg«. Hubbuch lehrte an der Karlsruher Kunstakademie, wie auch weitere wichtige Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Etwa Wilhelm Schnarrenberger und Georg Scholz, die beide mit bedeutenden Werken vertreten sind: Scholz mit einem veristischen Frauenakt von 1928, Schnarrenberger mit dem vieldeutigen »Bildnis seiner Mutter« von 1923, einem Frühwerk.
Die Ethnologin Margarete Brüll steuert interessante Beobachtungen zu Max Pechsteins Stillleben »Masken und Blumen« bei (auch ein Neuzugang), während der Journalist Stefan Koldehoff die Geschichte des Besitzerwechsels von Otto Dix’ »Bildnis Max John« in dunkler Zeit beleuchtet. So aufwendig wie spektakulär ist die künstlerische Kommentierung von Hermann Scherers wunderbarem Figurenpaar »Adam und Eva« in Lärchenholz durch den dänischen Performancekünstler Christian Falsnaes.
Einer der eindrücklichsten Bildkommentare stammt von der niederländischen Autorin und Dramaturgin Lot Vekeman. Der in Hanna Nagels Bildnis »Das Modell« dargestellten Figur – einer aufmerksam aus dem Bild blickenden jungen Frau – leiht sie eine Stimme. Ihre Aufforderung, sie und das Bild genau zu betrachten, mündet zuletzt in eine Umkehrung der Blickrichtung: Das Bild blickt den Betrachter an.
Ausstellung » 30+30 retro/perspektiv«, Museum für neue Kunst, Marienstraße 10a, Freiburg. Bis 7. Juni, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr.