Hausacher Leselenz 2016

Erzähler und ihre Geschichten

Jürgen Haberer
Lesezeit 3 Minuten
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28. Juni 2016

(Bild 1/4) ©Jürgen Haberer

Die zweite große Abendveranstaltung beim Hausacher Leselenz wartete am Wochenende mit drei Autorenlesungen und einer nachgeschalteten Performance auf, bei der Michael Fehr das Idiom der Schweizer Mundart Wort für Wort auf die Goldwaage legte.  

Auf den bemerkenswert politischen Diskurs der Eröffnungsveranstaltung folgte am Samstagabend ein unterhaltsamer, wunderbar kontrastreicher Streifzug durch die Gegenwartsliteratur. Die in Wien lebende Syrerin Luna Al-Mousli stellte die mittlerweile auch als Buch publizierte Abschlussarbeit ihres Studiums vor, während der aus Hamburg stammende Matthias Göritz und die in St. Petersburg geborene Lena Gorlik Auszüge aus ihren aktuellen Romanen rezitierten. Die anschließende Performance des Schweizers Michael Fehr setzte dann noch einmal einen ganz anderen Akzent, bevor Michael Stavaric zum Tanz bis in die frühen Morgenstunden einlud. 

Leichte Ouvertüre

Der Einstieg in den Abend entpuppte sich als wunderbar leichte und charmante Ouvertüre, die nicht zuletzt auch im Gespräch zwischen der 26-jährigen Luna Al-Mousli und Moderator Wolfgang Niess hell funkelte. »Eine Träne, ein Lächeln«, das erzählerische Debüt von Luna Al-Mousli, ist eigentlich ein literarisches Zufallsprodukt. 

Die in Österreich geborene, in Damaskus aufgewachsene Syrierin hat in Wien Graphik und Design studiert. Als Abschluss­arbeit sollte sie eigenständig ein Buch gestalten. 
Das Konzept war schnell entwickelt, was fehlte, war ein Autor, der die noch leeren Seiten mit Inhalten füllen sollte. Luna Al-Mousli hat sich schließlich selbst hingesetzt und 44 Kurzgeschichten über ihre Kindheit in Damaskus geschrieben. Das Werk landete auf der Frankfurter Buchmesse, die junge Frau mutierte über Nacht zur Erfolgsautorin. 

Kraftvolle Sprache

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Getragen vom Charme einer kindlichen Sichtweise, erzählt das Buch auf Deutsch und Arabisch von einer im syrischen Bürgerkrieg untergegangenen Welt, in der religiöser Fanatismus, Hass und Ausgrenzung im Alltag der Menschen noch kaum ein Rolle spielte.

Ganz anders der anschließende Streifzug durch »Träumer und Sünder«, wie der aktuelle Roman von Matthias Göritz heißt. Fulminant und wortgewaltig, inszenierte der 1969 geborene Autor eine mitreißende Lesung, die sich mehr und mehr verdichtete. Der Roman gleicht einem psychologischen Kammerspiel, in dem ein junger Journalist den alternden Filmproduzenten Helmut Erlenberg, eine Schlüsselfigur des deutschen Films, interviewt. In einer blumigen und kraftvollen Sprache wird dabei auch immer wieder die Welt des Films zerlegt und manchmal förmlich aus den Angeln gehoben.

Echtes Erlebnis

Die dritte im Bunde, die 35-jährige Lena Gorelik, hatte Göritz’ Vortrag nicht wirklich etwas entgegenzusetzten, obwohl Moderator Michael Serrer in seiner Einführung gerade auch die sprachliche Leichtigkeit der seit ihrem elften Lebensjahr in Deutschland lebenden Autorin hervorhob. 
»Von Null bis Unendlich«, Goreliks vierter Roman, erzählt die Geschichte von Sanela, die als 14-Jährige vor dem Balkankrieg nach Deutschland flüchtet. In der Schule lernt sie den hochbegabten Außenseiter Nils kennen. Sie werden Freunde, verlieren sich aus den Augen. 15 Jahre später nimmt Sanela den Kontakt wieder auf. Der Roman scheint zu viel zu wollen, schmiedet episodenhaft eine ganze Anzahl nicht wirklich in Bezug zueinander stehender Eisen.

Ein echtes Erlebnis die Begegnung mit dem Schweizer Michael Fehr und »Simeliberg. Der gesunde Menschenverstand« (2015). Der Krimi strotzt vor einer kargen, in schrägem Humor überbordenden Wortkunst, die Fehr fast eine Stunde lang in einer stoischen Monotonie rezitierte. 
Inhalt und Performance verschränkten sich in einer fast aberwitzigen Geste, die das Publikum förmlich in die Aura eines abgeschiedenen Tales in der Schweizer Bergwelt hinein saugte.

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