Blick in die Straßburger Kulturszene

Es gibt reichlich Kohle für junge Künstler und Start-ups

Jürgen Stark
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01. Juni 2017
Kennt sich in der Musikszene bestens aus: Pierre Poudelec, Geschäftsführer und Vorsitzender der Federation Hiero in Straßburg.

Kennt sich in der Musikszene bestens aus: Pierre Poudelec, Geschäftsführer und Vorsitzender der Federation Hiero in Straßburg. ©Jürgen Stark

Straßburg ist eine der beliebtesten Metropolen. Künstler aus aller Welt schätzen die Kombination von rustikalem Charme und buntem Leben. Die Mittelbadische Presse berichtet aus der Kulturszene des Nachbarn. Heute: Musikförderung á la France – paradiesische Zustände?

Lokaltermin in der Musikszene Straßburgs. Das rustikale »Troc’afé« mit seiner schrägen Dekoration an der Decke wirkt surrealistisch. Leitern und Stühle befinden sich nicht nur am Erdboden. Hier überwinden offenbar Künstler und Kellner die Schwerkraft – entweder mit Longdrinks oder Instrumenten. »Wir sind hier nicht im Paradies!« meint Pierre Poudelec (46) zurück auf dem Boden der Tatsachen. Dabei klingt alles erstmal abgehoben, wenn er von der üppigen Staatsknete für Popper, Rapper und Rocker berichtet. Nun gut, den Künstlern die Kohle, ihm die Formulare der Bürokratie, da kann man sein Stöhnen schon verstehen. 

Dennoch staunt man über die Bedingungen für Musiker beim Nachbarn Frankreich. Denn nicht nur junge Künstler werden in ihrer Existenz abgesichert und umfangreich gefördert. Dafür sorgen staatlich angestellte Musikfreunde wie Poudelec jenseits des Rheins. Nach Jahren in Colmar bei der dortigen Federation Hiero ist der jugendlich wirkende Poudelec inzwischen als Geschäftsführer und Vorsitzender zum Ableger nach Straßburg gewechselt. Auf Vereinsbasis wird hier das Programm des Kulturministeriums umgesetzt. »Wir helfen von der Ausbildung bis zur professionellen Arbeit als Künstler, unterstützen Veranstalter und organisieren selbst Auftritte«, erläutert Poudelec. Er und seine kreativen Kumpel sind die guten Geister der Szene, hilfreiche Hände, die überall in der Stadt die aktive Musikszene hoch halten. 

Musikfan Poudelec ist inzwischen Veteran im dichten Netzwerk diverser französischer Förderinstitutionen, die in allen zwölf französischen Departments präsent sind. Unterhalb des Pariser Zentralismus erlaubt die Regierung kleine Verwaltungseinheiten, in denen sich die Programme des Kulturministeriums regional frei entfalten können – weit gefächert und tief strukturiert. 

»Scene Music Actuelle« (SMA) heißt das Scharnier für eine ausdifferenzierte Musikförderung. Die aktuelle Popförderung beinhaltet so gut wie alle Sparten, also Jazz, Blues, Folk, Rock und Rap. Klassik und »ernste Musik« genießen ebenso Förderung, aber in anderen Strukturen. 

Schon bei der Berufsausübung beginnt die staatliche Hilfe. Wer diese in Anspruch nimmt, muss allerdings Regeln einhalten. Bei 43 Auftritten in einem Jahr entsteht ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Der Musiker erhält im Krankheitsfall bis zu vier Wochen einen Verdienstausfall von rund 1000 Euro im Monat. Freiberufliche Musiker in Deutschland müssen selbst mit Gipsbein auf die Bühne. Nicht selten geht für eine Gage der Hut herum. Almosen statt fairer Bezahlung, weil sich auch für Veranstalter bei uns Konzerte oft nicht mehr rechnen. 

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Kräftige Subventionen

Genau deshalb lassen die Franzosen kräftige Subventionen auch in die Infrastruktur der Szene fließen. Insider Poudelec gibt Einblick in erstaunliche Details. Ein gigantisches »Informations- und Ressourcenzentrum für zeitgenössische Musik« (irma) fungiert als erste Anlaufstelle für Start-ups der Musikszene. Daran angeschlossen sind wiederum Verbände wie der Centre National Varieté (CNV), der an allen Konzert-Ticket-Verkäufen im Land mit drei Prozent beteiligt ist. Da kommt eine Menge Geld zusammen. 

Ein weiterer Zusammenschluss im Labyrinth der französischen Förderkultur namens »Zenith« gibt dieses Geld dann wieder aus. Poudelec sagt süffisant: »Da wird der Ausbau großer Konzerthallen gefördert. Wenn die eine 10 000er-Halle gebaut haben, beschließen sie, dass die nächste Halle noch größer werden soll.« Kohle satt für Kultur beim Nachbarn. 

Das Ergebnis kann sich hören und sehen lassen. Die Wirkung von soviel Musikförderung führt zu blühendem Leben: Jede Menge Clubs, jede Menge Künstler, jede Menge Aufbruchstimmung. Poudelec setzt noch einen drauf: »Straßburg ist inzwischen das Kraftzentrum. Straßburg hat alles, Straßburg hat bei den Insidern Paris abgelöst.«

Größere Wertschätzung
 
Das hat aber nicht nur mit dem fürsorglichen Staat zu tun, der Künstlern gegenüber eine wesentlich größere Wertschätzung als hierzulande üblich an den Tag legt. Das liegt auch an den vielen großartigen Künstlern, die sich wegen des einmaligen Flairs und den tollen Clubs in der Stadt angesiedelt haben. 

Pierre Poudelec und seine Mitstreiter von der Federation Hiero möchten jedenfalls die aktuelle Aufbruchstimmung nutzen, um über Perspektiven der modernen Musikkultur im Rahmen eines großen Kongresses nachzudenken. Dazu sollen im kommenden Herbst dann auch deutsche Partner kommen. Denn irgendwie muss aus so viel Modellcharakter noch ein Stück Europa werden. 

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