Interview mit Carsten Dittrich

»Figuren können Grenzen durchbrechen«

Jutta Hagedorn
Lesezeit 5 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
01. April 2015

(Bild 1/2) ©Johanna Graupe

Wie die diesjährige Puppenparade Ortenau wieder einmal gezeigt hat, ist Figurentheater auch bei Erwachsenen eine beliebte Form. Aber was bedeutet Puppenspiel eigentlich? Schauspieler Carsten Dittrich weiß da gut Bescheid.

Oberkirch. »Das heißt nicht Puppentheater, sondern Figurentheater«, korrigiert der Schauspieler Carsten Ditt­rich schmunzelnd auf die Frage, was Puppenspiel heute noch für eine Bewandtnis habe. Was für den Laien irgendwie dasselbe ist, ist für den 38-jährigen Dittrich etwas völlig Unterschiedliches. Er muss es wissen, er hat das schließlich studiert. Dittrich ist Diplom-Schauspieler mit Schwerpunkt Puppenspielkunst. »Puppen- oder Figurentheater« sei nicht die Frage. »Es ist eher ein Ost-West-Problem«, erklärt er lachend. Sein Kollege Jan Mixsa, »Tabaluga«-Regisseur, nickt. »Figurentheater« beinhalte nämlich alle Gegenstände, die man zum Spiel einsetzen kann. »Ich benutze sogar Mars-Riegel«, sagt Dittrich.
Jahrmarkt-Kasper
Das Figurenspiel ist eine uralte Tradition »und war ursprünglich Theater für Erwachsene«, sagt Dittrich. Der Kasper war der Jahrmarktkasper, »die Stimme des Volkes«, der öffentlich das aussprach, was man sonst lieber nicht laut sagte. »Der Kasper war damals aber noch ein echter Schauspieler.« Bis etwa zur Romantik. Dann wurde er zur Puppe – und Unterhalter für Kinder. Er hatte zwar immer noch eine große Klappe, wurde aber irgendwie niedlicher. Weswegen es wohl auch lange gedauert habe, bis er die erwachsenen Zuschauer zurückerobern konnte.
Seit den 80er-Jahren habe sich eine offenere Spielweise entwickelt, die alle Formen von Theaterspiel und Figuren einbeziehe. »Es gibt nicht mehr viel traditionelle Figurentheater«, sagt Dittrich. Figuren und Menschen stehen gemeinsam auf der Bühne, verschiedenartige Figuren werden gleichzeitig genutzt, Schattenspiel wird integriert – was auch Dittrich tut. Doch warum überhaupt Figurenspiel?
Mit Figuren könne man »andere Dinge« machen, andere Ebenen bedienen als beim »echten« Theater, sagt Carsten Dittrich. Sie transportierten Komik, könnten Grenzen durchbrechen »wie in einem Comic«, könnten verblüffen – etwa wenn sie sich wie Menschen verhielten oder aussähen. Mit dem beschränkten Bühnenbild könne man Fantasie wecken. »Je weniger sich auf der Bühne befindet, desto besser.«
Derzeit probt Dittrich mit der Jungen Bühne Oberkirch Otfried Preußlers »Krabat«. Eine »düstere Geschichte voller Oednis, Verzweiflung, Magie«, die auf einer alten sorbischen Sage beruht.
Vor zwei Jahren hatte Ditt­rich die nicht weniger düstere Geschichte vom »Herrn der Fliegen« inszeniert. Was die Frage aufwirft, warum Jugendliche sich solche Geschichten antun. »Es geht um Selbstfindung und Sterblichkeit; die Geschichte macht die eigene Sterblichkeit deutlich. Und Jugendliche beschäftigt das.« Mystik und Zauberei stünden sowieso derzeit hoch im Kurs. Und es gehe um die Tricks, mit denen man dem Tod entgeht. »Da schließt sich der Kreis.« Diese Ernsthaftigkeit spreche dann auch die Erwachsenen an. Mythen und Sagen sind überhaupt Dittrichs Ding, die er gerne verarbeitet.
Spiel mit Schatten
Wie 2013 beim »Herrn der Fliegen« gibt es auch bei Krabat zwar einen Text, vor allem aber Improvisation. Ditt­rich arbeitet »sehr gerne mit Jugendlichen. Die bringen sich sehr stark ein, ihre Gefühle, ihre Sicht oder Perspektiven«. Das mache die Inszenierung so authentisch. Daher sei es für ihn auch extrem wichtig, seine Gedanken und Überlegungen mit den jungen Akteuren zu teilen. Bei »Krabat« setzt er auf Hilfsmittel, die das Zauberhafte und Mytische unterstützen, die Emotionen und die Fantasie befeuern: Licht, Musik und ganz neu Schattenspiel.
Gerade das Schattenspiel mache viele Szenen glaubwürdig – vor allem die magischen. Von einer Kollegin der Sorbischen Volksbühne Bautzen erhielt Dittrich original sorbische Volksmusik. »Die Lieder sind eher düster und spiegeln die Stimmung komplett«, beschreibt Dittrich. So mache der Zugang auch den jungen Leuten Spaß.
Wichtig bei aller Magie –Theater muss für Dittrich auf jeden Fall »handgemacht« sein und wirken. So werde es »echt«.
Und vor wem spielt er am liebsten? Vor den Zehn- bis 12-Jährigen. Nun ja, auch vor den Dreijährigen, sagt der Vater einer kleinen Tochter, und ab 25 – ach, eigentlich vor allen, sagt er lachend. Die meisten Stücke könne man jeder Altersgruppe anbieten, lediglich die Länge müsse stimmen. »Und Kindern ist es völlig egal, wenn die Hexe verbrennt. Sie war böse, also wird sie bestraft. Fertig.« Bedenkenträger seien die Erwachsenen, die meinen, man könne den Kleinen den Teufel nicht zumuten. Oder den Tod.
Wie sieht es mit dem Stückeangebot sonst aus? Auf den Theaterbühnen werden ja zunehmend Bestseller-Romane inszeniert. Das sei beim Figurentheater nicht anders. »Nur noch das, was die Leute aus dem Kino kennen, nur noch Schenkelklopfer.«
Mit »Romeo und Julia« war Dittrichs Marotte-Theater bei der Puppenparade dabei. Als nächstes Projekt könne er sich eine Neuauflage zusammen mit Piano Vocal vorstellen. In der Dittrich’schen Manier. Und wer spielt dann? Marotte oder Fiesemadände? Ditt­rich schmunzelt. Marotte sei das Figurentheater; »bei Fiesemadände prüfen wir, welches Stilmittel zu welchem Stück passt«, sagt Dittrich.
»Krabat« nach Otfried Preußler, Inszenierung Carsten Dittrich, Junge Bühne Oberkirch, Samstag, 25. April; weitere Termine: 26., 30. April, 8., 9., und 13. Mai, jeweils 20 Uhr; freche hus Oberkirch. Karten:­ Bürgerbüro Oberkirch, • 07802/82700, Geschäftsstellen der Mittelbadischen Presse, • 0800/911811711 (gebührenfrei).

Hintergrund

Krabat

Carsten Dittrich
Carsten Dittrich, Jahrgang 1977, stammt aus Oberkirch. Er studierte (1999–2003) an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin Schauspiel und Figurenspiel. Der Diplom-Puppenspieler steht für das Theater Fiesemadände und das Figurentheater »Marotte« Karlsruhe. joth

Krabat und die Mächte des Bösen
Die Geschichte von »Krabat« spielt Ende des 17. Jahrhunderts und ist eine sorbische Volkssage. Otfried Preußlers gleichnamiges Jugendbuch erschien 1971 und erhielt 1972 den Deutschen und Polnischen Jugendbuchpreis.
Preußler schrieb über sein Buch: »Mein Krabat ist ... meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation und die aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich da­rin verstricken.«
Die Hauptfigur, der 14-jährige Krabat, hat gerade erst seine Mutter verloren. Von Visionen geplagt, folgt er seiner inneren Stimme, die ihn zu einer alten Mühle führt. Der Müllermeister, eine finstere Gestalt, bietet ihm eine Lehre an. Nach einem Jahr darf er die schwarze Kunst erlernen. Krabats Kräfte wachsen. Unheimliches geht jedoch vor. Immer zum Jahreswechsel stirbt einer der Lehrlinge, während der Meister sich in dieser Zeit stets verjüngt. Die Liebe zu Kantorka befreit schließlich ihn und seine Mitgesellen und tötet den Meister.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kultur

Vida Mikneviciuté (von links), Klaus Florian Vogt und Kwangchul Youn beeindruckten bei der Wagner-Gala. Am Dirigentenpult Kirill Petrenko.
vor 2 Stunden
Osterfestspiele Baden-Baden
Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker räumten bei ihrer Gala bei den Osterfestspielen mit Vorurteilen gegen die Musik von Richard Wagner auf.
José F. A. Oliver
27.03.2024
Kulturkolumne
Einst las ich den Satz, die Zeit sei eine blinde Führerin. Übersetzt hieß das für mich nichts anderes, als dass wir diejenigen sein sollten, die diese an die Hand nehmen müssten. In einer Welt, die groß ist und klein zugleich: Die Welt ist groß. Die Welt ist klein ...
Berühmten Kollegen setzte Anna Haifisch ein Denkmal. So zeigt sie in einer Zeichnung den Karikaturisten Saul Steinberg (1914–1999) beim Kampf gegen eine Schaffenskrise.
26.03.2024
Ausstellung in Straßburg
Noch bis zum 7. April sind im Straßburger Musée Tomi Ungerer Werke der deutschen Zeichnerin Anna Haifisch zu sehen. Sie stellt Menschen gerne oft als Tiere dar und karikiert Kollegen.
Gäste im "Grand Hotel Grimm" mit unlauteren Absichten: ein Zwerg mit langem Bart, ein unscheinbarer Handlungsreisender und eine elegante junge Dame mit dem Namen Rotkäppchen.
26.03.2024
Puppenparade Ortenau
Die „Berliner Stadtmusikanten“ des Theaters Zitadelle sind in die Jahre gekommen. Mit „Grand Hotel Grimm“ boten sie bei der Puppenparade in Lahr dennoch eine erfrischende Vorstellung.
Im Mittelpunkt der Tragödie: die Schwestern Chrysothemis (Elza van den Heever, links) und Elektra ­(Nina Stemme).
26.03.2024
Festspielhaus Baden-Baden
Das archaische Thema der Oper „Elektra“ ließ das Publikum bei der Eröffnung der Osterfestspiele Baden-Baden frösteln. Umjubelt wurden Sängerin Nina Stemme und Dirigent Kirill Petrenko.
Dietrich Mack. 
26.03.2024
Kulturkolumne
„Hoffnungsglück“ hat Goethe die Aufbruchstimmung genannt, die der Frühling verbreitet..Dieses Gefühl genießt auch der Kolumnist, der verrät, warum für ihn Bach nicht nur der fünfte, sondern auch der beste Evangelist ist.
Sechshändig am Klavier: die Schwestern Alisa und Lia Benner aus Lahr und Ennco Sinner aus Kippenheim.
19.03.2024
"Jugend musiziert"
Eine Auswahl der Besten beim Landeswettbewerb in Offenburg stellte sich in der Offenburger Reithalle vor, oft begleitet von Vater, Mutter oder Geschwistern.
Harte Szene im Gemüsekrimi: Dietmar Bertram hobelt eine Gurke, um sie zum Reden zu bringen.
17.03.2024
Lahr
Ein Detektiv spielt mit Essen: Dietmar Bertram präsentierte „Hollyfood – Die Gemüsekrimis“ bei der Puppenparade Ortenau im Lahrer Schlachthof.
Am Abgrund: In "A long way down" wird über ein ernstes Thema gealbert. 
17.03.2024
Offenburg
Mit britischem Humor thematisiert die Tragikomödie „A long way down“ die Selbstmordgedanken gescheiterter Existenzen. Für die Aufführung in der Oberrheinhalle gab es viel Beifall.
Von Gier befeuert: Carsten Klemm (rechts) als Kunstfälscher Fritz Knobel und Luc Feit (links) als Skandalreporter Hermann Willié. 
17.03.2024
Lahr
Den Skandal um die angeblichen Hitlertagebücher des Kunstfälschers Kujau brachte die Landesbühne Esslingen mit „Schtonck“ auf die Bühne.
Arbeiten aus mehr als drei Jahrzehnten zeigt Karl Vollmer im Artforum.
17.03.2024
Offenburg
Karl Vollmer reflektiert das Zeitgeschehen und bezieht Position. Zwei Werke seiner Ausstellung „Wider Erwarten – Ortung“ beim Kunstverein Ortenau hat er Alexej Nawalny gewidmet.
Das Trio Van Beethoven erhielt frenetischen Schlussbeifall.
13.03.2024
Achern
Das Trio Van Beethoven eroberte am Sonntag mit Werken von drei weitgehend unbekannten Komponisten das Publikum in der Alten Kirche Fautenbach.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • HYDRO liefert etwa Dreibockheber für die Flugzeugwartung. 
    26.03.2024
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl fustionieren
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl schließen sich zusammen. Mit diesem Schritt befinden sich die Kompetenzen in den Bereichen Ground Support Equipment (GSE) und Aircraft- & Engine Tooling unter einem Dach.
  • Alle Beauty-Dienstleistungen bietet die Kosmetik Lounge in Offenburg unter einem Dach.
    26.03.2024
    Kosmetik Lounge Offenburg: Da steckt alles unter einem Dach
    Mit einer pfiffigen Geschäftsidee lässt Elena Plett in Offenburg aufhorchen. Die staatlich geprüfte Kosmetikerin denkt "outside the box" und hat in ihrer Kosmetik Lounge ein außergewöhnliches Geschäftsmodell gestartet.
  • Konfetti, Flitter und Feuerwerk beschließen die große Preisverleihung im Forum-Kino in Offenburg. Die SHORTS feiern 2024 ihr 25. Jubiläum. 
    26.03.2024
    25 Jahre SHORTS – 25 Jahre Bühne für künftige Filmemacher
    Vom kleinen Screening in 25 Jahren zum gewachsenen Filmfestival: Die SHORTS der Hochschule Offenburg feiern Jubiläum. Von 9. bis 12. April dreht sich im Forum-Kino Offenburg alles um die Werke junger Filmemacher. Am 13. April wird das Jubiläum im "Kesselhaus" gefeiert.
  • Das LIBERTY-Team startet am Mittwoch, 27. März, in die Afterwork-Party-Saison. 2024 finden die Veranstaltungen in Kooperation mit reiff medien statt. 
    22.03.2024
    Businessaustausch jetzt in Kooperation mit reiff medien
    Das Offenburger LIBERTY startet mit Power in die Eventsaison: Am Mittwoch, 27. März, steigt die erste XXL-Afterwork-Party mit einem neuen Kooperationspartner. Das LIBERTY lädt zusammen mit reiff medien zum zwanglosen Feierabend-Businessaustausch ein.