Finn-Ole Heinrich mag keine Bücher mit Botschaften

Finn-Ole Heinrich. ©Denise Henning
über den Stellenwert von Kinder- und Jugendliteratur und was ihn an dem Begriff stört
Der Hausacher Leselenz vergibt morgen, Freitag, beim Eröffnungsabend zum ersten Mal den »Leselenz-Preis der Thumm-Stiftung für Junge Literatur«. Preisträger ist Finn-Ole Heinrich. In Hausach ist er kein Unbekannter; er eröffnete 2014 die Kinder- und Jugendliteraturtage beim Leselenz und war Gast beim Literatursalon.
2002 machte Heinrich Abitur und hat seitdem eine steile schriftstellerische Karriere gemacht. Auch wenn er jetzt einen Preis für »Junge Literatur« erhält, ist Heinrich keineswegs »nur« Kinderbuchautor. Er macht Filme und schreibt Drehbücher. Heinrich »zählt mit dieser Bandbreite zu den brillantesten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur«, hatte Leselenz-Chef José F. A. Oliver bereits 2014 im Offenburger Tageblatt angemerkt. »Poetischer Witz, gepaart mit heiterem Ernst – überwältigend jung«.
Was Preise und das Thema »Kinderliteratur« für Finn-Ole Heinrich bedeuten, erzählt er im Interview mit der Mittelbadischen Presse.
Sie sind, was Preise, Auszeichnungen, Stipendien betrifft, ziemlich verwöhnt. Was bedeutet für Sie jetzt der Leselenz-Preis für Junge Literatur?
Finn-Ole Heinrich: Preise, Auszeichnungen und Stipendien sind für Schriftsteller immer etwas Großartiges, Wunderbares und Wichtiges. Nicht nur, dass Preisgelder einem immer auch Freiraum geben, sie sind ja vor allem auch eine Rückmeldung und Anerkennung. Das kann man immer wieder gut gebrauchen.
Und der Leselenz-Preis?
Heinrich: Der Leselenz-Preis ist für mich in zweierlei Hinsicht besonders schön: Ich fühle mich diesem wunderbaren Festival sehr verbunden und: Der Preis kommt für mich zu einem sehr guten Zeitpunkt.Ich habe seit längerer Zeit kein Buch mehr veröffentlicht (habe viel für Film und Theater geschrieben und werkele seit einer Ewigkeit am nächsten Roman), da werde ich als Künstler immer nervöser und unsicherer. Schön zu spüren, dass man mich – zumindest in Hausach – nicht vergessen hat.
Wenn ich Ihre Aussagen in diversen Artikeln richtig verstanden habe, schreiben Sie jedoch keine Kinder-/Jugendbücher, sondern Bücher. Punkt. Geehrt werden Sie aber stets unter der Rubrik »Jugendliteratur«. Ärgerlich?
Heinrich: Das stimmt so nicht. Ohne gezählt zu haben: Der größere Teil der Auszeichnungen bezieht sich auf meine Bücher, die sich nicht an Kinder und höchstens zum Teil an Jugendliche richten. Und natürlich ärgert es mich nicht, ausgezeichnet zu werden, auch wenn da zuweilen Labels verwendet werden, auf die ich verzichten könnte oder inhaltlich nicht restlos überzeugend finde. Ich setze mich nie an den Schreibtisch und denke: So, heute schreib ich was für Kinder. Oder mittelalte Frauen. Oder uralte Männer, die gern Gurkensalat und Eier essen. Ich schreibe, weil mich eine Geschichte interessiert, weil sie Fragen aufwirft, weil mich Figuren und ihre Probleme interessieren.
Ihre Sprache ist letztendlich aber doch eine andere als in einem »Erwachsenen«-Roman. Auch die Perspektive ist eine andere. Eben weil Kinder anders sehen, sprechen und argumentieren. Was stört Sie also an dem Begriff »Kinder-/Jugendliteratur«?
Heinrich: Auch das sehe ich anders. Meine Sprache ist meist dem Erzähler angemessen (hoffe ich), und natürlich spricht und denkt ein Neunjähriger anders als eine Vierzigjährige. Ich erzähle aber aus allen möglichen Perspektiven, und zwar möglichst immer aus der für die spezifische Geschichte interessantesten. Wenn ein Kind erzählt, ja, dann klingt das anders, aber es macht eine Geschichte nicht automatisch zu einer reinen Kindergeschichte. Nur mal ein Beispiel: Kertész’ Roman eines Schicksallosen ist aus der Sicht eines Kindes geschrieben und ist deshalb noch längst kein Kinderbuch. Und nur weil umgekehrt unglaublich viel Literatur aus der Sicht von 50-, 60-jährigen Männern erzählt wird, käme niemand auf die Idee, von Seniorenliteratur zu sprechen.
Was stört Sie dann an dem Begriff?
Heinrich: Was mich an der Begrifflichkeit stört, ist vor allem, dass Geschichten in Schubladen gesteckt werden und man selbst als Autor gleich mit. Warum auch immer das so ist, aber zumindest in Deutschland haben Geschichten, die auch Kinder als potenzielle Leser einschließen, nicht den gleichen Stellenwert wie die Erwachsenenliteratur – merkt man auch an dieser Stelle nochmal an der Begrifflichkeit: Es gibt »Literatur« und »Kinder- und Jugendliteratur«, also eine Unterkategorie, den Terminus »Erwachsenenliteratur« gibt es ja eigentlich nicht. Das finde ich falsch und schade und deshalb störe ich mich an dem Begriff.
Kinder-/Jugendbücher werden wenig in den Medien besprochen. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Heinrich: Tja, wie ich gerade schon gesagt habe: Dieser »Teilbereich« der Literatur hat eben nicht den gleichen Stellenwert. Kinder-/Jugendbücher werden von den meisten Literaturredakteuren von vornherein aussortiert. Ich kann das in gewisser Weise auch nachvollziehen bei der Flut von Neuerscheinungen. Nach irgendwelchen Kriterien muss man ja sortieren: Damit beschäftige ich mich und diesen Stapel ignoriere ich.
Und das gilt für viele Erwachsene. »Kinderbücher« werden da eigentlich grundsätzlich nicht angefasst. Dazu kommt, dass Kinder keine verschwurbelten Rezensionen im Hochfeuilleton lesen. Also richten sich diese Texte an eine Randgruppe: Erwachsene, die sich für »Kinder-/Jugendliteratur« interessieren, entweder für sich selbst oder über Bande, weil sie Kinder haben oder mit ihnen arbeiten. Klar, dass für so eine relativ kleine Gruppe von Menschen weniger Platz in den Medien vorhanden ist.
Sie sagen auch, Sie lehnen Botschaften in Ihren Geschichten ab. Aber hat nicht jede Geschichte am Ende doch eine Moral? Kann man wirklich intentionsfrei eine Geschichte erzählen?
Heinrich: Klar kann jeder Leser, jeder Rezensent, jede Literaturwissenschaftlerin in einem Text eine Botschaft finden, dagegen habe ich auch nichts. Aber ich
sehe mich nicht als jemanden, der sich hinsetzt und Botschaften, gar eine Moral austeilt. Ich schreibe, um zu entdecken, um Fragen zu stellen, Themen aufzuwerfen, zu irritieren und nicht, um Antworten zu geben. Geschichten sind für mich kein Vehikel, um meine Ansichten ins Schaufenster zu stellen.
Warum finden Sie es denn so schlimm, wenn ein Text eine Botschaft hat?
Heinrich: Weil ich bei eindeutigen Botschaften einfach schnell misstrauisch werde. Ich habe dann immer die Vermutung, dass die Geschichte missbraucht wurde, um mir eine Ansicht, Meinung, Überzeugung des Autors in den Kopf zu feuern. Ich lese aber, um selber zu denken. Ich will eine Geschichte lesen und dann soll mein Kopf Karussell fahren, sollen sich mir neue Perspektiven eröffnen, ich möchte irritiert und nicht belehrt werden.
Andere Autoren vor Ihnen haben Romane geschrieben, die man durchaus in die Kategorie »Kinderbuch« einordnen kann, die aber auch nicht nur als »Kinderbuch« gedacht waren. Erich Kästners Geschichten zum Beispiel. Sehen Sie sich in einer gewissen Tradition?
Heinrich: Nö, keine Ahnung. Ich kenne mich nicht gut genug aus, habe zu wenig gelesen, um mich in irgendeine Tradition zu stellen, wüsste auch nicht, wozu.
Was hat Sie überhaupt dazu gebracht, Bücher zu schreiben, die von der Welt, dem Erleben junger Menschen handeln?
Heinrich: Also nochmal: Ich schreibe nicht nur über junge Menschen und/oder aus ihrer Perspektive. Ich stemme mich hier nicht nur pingelig gegen eine Schubladisierung, ich habe tatsächlich auch ganz einfach schon einen Haufen Geschichten geschrieben, der unter Erwachsenen spielt und Themen auf eine Art und Weise verhandelt, dass ich sie keinem Kind als Lektüre empfehlen würde.
Zum Schreiben allgemein haben mich Langeweile, erwachendes kulturelles Interesse, sonstige künstlerische Unbegabtheit, zwei Filme und ein Buch gebracht. Ich war siebzehn, hatte tausend Fragen an mich und das Leben im Kopf und musste den Wust irgendwie sortieren. Dann habe ich angefangen zu schreiben. »Frerk, du Zwerg!«, das erste Kinderbuch nach drei Büchern für Erwachsene, habe ich zufällig und aus Versehen im Urlaub geschrieben. Ich hatte Spaß an der Geschichte und den sich selbst entwickelnden Wortspielen.
Ihre Texte werden für die Bühne adaptiert und Sie schreiben selber Theaterstücke. In welchem Genre fühlen Sie sich wohler?
Heinrich: Ich bin wirklich sehr, sehr glücklich, dass ich auch Drehbücher und Theaterstücke schreiben kann. Jeder Job hat da seine ganz eigenen Anforderungen, Grenzen, Möglichkeiten und Spielregeln. Ich freue mich, dass ich mal im Team, mal alleine, meistens zu zweit an den verschiedensten Projekten arbeiten kann. Was mir mehr liegt oder Spaß macht, kann ich so grundsätzlich nicht sagen. Jedes Mal ist da der Reiz, die Geschichte auf die dem Medium eigene, bestmögliche Weise erzählen zu wollen, den Stoff, das Thema erzählbar zu machen, seine Wirkung bestmöglich zur Entfaltung zu bringen. Ich genieße da einfach die Abwechslung. Grundsätzlich kann ich nur sagen, dass mir die Zusammenarbeit mit Verlagen deutlich leichter fällt als mit Fernsehsendern. Filme zu schreiben dauert im Vergleich zum Bücherschreiben eeeewig. Und oft reden viel zu viele Leute mit.