Hausacher Leselenz

Finn-Ole Heinrich will mit dem Preisgeld Hochzeit feiern

Finn-Ole Heinrich
Lesezeit 8 Minuten
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10. Juli 2017
Finn-Ole Heinrich.

Finn-Ole Heinrich. ©Denise Henning

Der LeseLenz-Preis für junge Literatur wird für ein Gesamtwerk vergeben, das sich an ein junges Lesepublikum richtet, oder Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen literarischen Ort geschaffen hat.

Dazu habe ich drei Sachen zu sagen. Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: 

1.: Wow! Danke. Das ist eine große Ehre, ein großes Glück und ein wunderbarer Moment. Ich danke der Stadt Hausach, ich danke der Thumm-Stiftung, Frau Sistiaga-Thumm und dem LeseLenz Team und hier besonders José und Ulrike. Ihr macht mich sehr, sehr glücklich. Und ich danke meiner Frau, Kollegin und Mitstreiterin Dita Zipfel, die ich von dem Preisgeld aber mal sowas von heirate!

2.: Ich bin 1982 geboren, werde in zwei Monaten 35 und hier und heute wird mein Gesamtwerk ausgezeichnet. Was soll ich sagen? Hach. So hatte ich mir das immer ausgemalt: paar Jahre ordentlich buckeln, dann früh in Rente. also nochmal: Danke! Ich muss nur noch mal durchrechnen, wie viel vom Preisgeld ich wie anlegen muss, damit wir zu zweit gut über die Runden kommen, rentenmäßig.

3.: Okay, jetzt nochmal ein ernsthafter Gedanke. Der LeseLenz-Preis ist ein Preis für junge Literatur und darüber müssen wir sprechen. Was ist eigentlich junge Literatur? Wird sie von jungen Leuten geschrieben (ich meine: bin ich jung? Ich bin Rentner!) oder für junge Leute geschrieben oder gar von jungen Leuten für junge Leute? 
Sie sehen schon: zu sagen, ob ich jung oder alt bin, ist kaum möglich, fragen Sie mal die Grundschüler, denen ich heute Morgen vorgelesen habe, ob ich eher jung oder eher alt bin. Einerseits habe ich einen langen Bart und kann nicht mit dem Fidgetspinner umgehen und mein Gesamtwerk wird ausgezeichnet, wahrscheinlich habe ich Kriegserfahrungen und Rheuma. Andererseits wird in vielen Artikeln über mich wird immer noch der Begriff „Nachwuchsliterat“ verwendet. Tja. 

Ich muss an dieser Stelle jedenfalls mal sagen, dass ich ich keine Kinder- und Jugendbücher schreibe, sondern dass meine Geschichten oft als solche behandelt werden. Ich schreibe Geschichten, ich schreibe Literatur und diese wird von einem Markt dann eingeteilt in Literatur und Kinder- und Jugendliteratur. Dagegen kann ich relativ wenig ausrichten, ob ich es richtig finde oder nicht. Aber dieser Preis, wenn ich ihn richtig verstehe, zeichnet ja auch keine Kinder- und Jugendliteratur aus, sondern junge Literatur. Was ist also junge Literatur und was hat sie mit Kinder- und Jugendliteratur zu tun?
 

Alter der Helden nicht wichtig

Ist junge Literatur vielleicht Literatur mit jungen Helden? Kann sein. Ich schreibe im Moment häufig Geschichten mit jungen Helden. Dabei kommen öfter als früher Bücher heraus, die auch Kinder interessieren und die sozusagen mit Versatzstücken des Genres „Kinderbuch“ arbeiten. Ich sehe das für mich übrigens eher als Phase, vielleicht sogar als Zufall. Auf jeden Fall finde ich es nicht wichtig, besonders nicht für die Qualität, wie alt meine Protagonisten sind. Junge Helden führen nicht notwendigerweise zu banaleren Geschichten, darüber dürften wir uns einig sein, schon alleine weil es unfassbar viel banale Literatur mit alten Helden gibt. Auch dürfte Einigkeit darüber herrschen, dass es ja nicht mal so ist, dass ein junger Held automatisch dazu führt, dass das Buch sich überhaupt für kindliche Leser eignet. 

Als Autor in die Schublade Kinder- und Jugendliteratur gesteckt zu werden, hat mehrere Nachteile, der größte ist, dass Kinder- und Jugendliteratur eigentlich grundsätzlich nicht von Erwachsenen gelesen wird, weil sie fälschlicherweise annehmen, dass die als Kinder- und Jugendliteratur gebrandmarkte Literatur für Erwachsene nichts Interessantes bereit hielte. Dass es dort für sie nichts zu entdecken und denken gäbe. Es stimmt, dass es solche Literatur gibt, sie wird von Menschen verlangt, gemacht, vertrieben, verbreitet und benutzt, die mit Büchern Kinder erziehen und ihnen Sachen erklären und sie bilden wollen. Für diese Menschen sind Bücher Instrumente. Sie brauchen Bücher, die wie Werkzeuge funktionieren und zu benutzen sind. Bücher, mit denen sie ihre Vorstellung von der Welt gut in den Kopf der Kinder kriegen.
Ich aber bin Autor, ich schreibe Geschichten, um die Welt zu untersuchen. Ich bin kein Werkzeugmacher und kein Pädagoge. Und warum sollte ich mich gerade in meiner Profession an Menschen orientieren, deren Umgang mit Kindern mich gruselt?
 

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Keine Tabus und Denkverbote

Natürlich langweilen so verstandene, konzipierte und produzierte Bücher denkende Erwachsene (aber sie langweilt mit ziemlich großer Sicherheit auch denkende Kinder und Jugendliche). Vielleicht hilft dieser Preis also bei der Unterscheidung zwischen Kinder- und Jugendliteratur, also Literatur, die bestimmte Themen ausspart und Tabus befolgt, die mit Moral und Botschaft und Zeigefinger operiert und somit denkende Menschen langweilt und mit der ich also nicht in Verbindung gebracht werden möchte und solcher Literatur, die auch jungen Helden alles zumutet, ihnen Fallhöhe zugesteht, keine Tabus und Denkverbote akzeptiert und ihre Leser – welchen Alters auch immer – zum Selberdenken einlädt, Fragen aufwirft statt Weisheiten abzusondern. Der Leselenz nennt eine solche Literatur, wenn ich es richtig verstehe, junge Literatur. Warum, darüber können wir später gerne nochmal reden, vielleicht sind die Begrifflichkeiten zu leicht zu verwechseln, vielleicht sind sie auch klug gewählt, da bin ich mir noch nicht ganz sicher. 

Ich versuche hier gerade, die Begrifflichkeiten zu klären und habe das zuvor in dieser Klarheit auch für mich selbst noch nie getan. Dabei ist es dringend nötig. „Kinder- und Jugendliteratur“ ist ein Terminus, der einer Marktlogik entspringt. Es gibt gute, kapitalistisch motivierte Gründe, eine solche Einteilung vorzunehmen, irgendwie müssen die Bücher in den Buchhandlungen an den Mann, die Frau, das Kind gebracht werden, also schubladisiert man. Ich möchte mich als Autor aber entschieden dagegen wehren, dass meine Geschichten in eine Schublade gesteckt werden, von der Erwachsene denken, für sie sei darin nichts enthalten. Ich schreibe keine Kinder- und Jugendliteratur, die sich an Denkverbote und Tabus hält. Ich als Autor darf mich niemals fragen: kann ich, der Erwachsene, das einem Kind zumuten? (Das fragt sich das Leben auch nie) Darf ich dieses oder jenes Wort benutzen? Kauft dann die Oma ihrem Enkel dieses Buch nicht mehr? Damit macht man Geschichten kaputt. Und kaputte Geschichten braucht kein Mensch. 

Nicht für die Bedürfnisse des Marktes 

Ich schreibe nicht für eine Zielgruppe oder weil ich mir vorstelle, mit einer geschickt auf gewisse Bedürfnisse zugeschnittenen Geschichte viel Geld zu verdienen. Ich schreibe nicht für die Bedürfnisse eines Marktes, der Literatur in Segmente einteilt, weil sie sich so besser verkaufen lässt. Ich schreibe Geschichten, die mich interessieren, die mir Spaß machen, Rätsel aufgeben, meine Themen verhandeln oder mich irgendwie inspirieren, irritieren, kitzeln und dafür nehme ich liebend gern in kauf, dass Eltern sie später nicht ihren Kindern vorlesen wollen oder Kinder, lesende!, gar diese Bücher zuschlagen. Kann ich doch eh kaum beeinflussen, ob und wer meine Bücher in die Hand nimmt. 

Wenn dieser Preis also junge Literatur auszeichnet, dann ist das in meinem Verständnis kein Preis, der das Marktsegment »Kinder- und Jugendliteratur« zementieren will und mit dieser Einteilung besonders glücklich ist. Dieser Preis ist ein Literaturpreis. Er zeichnet Literatur aus, die sich auch mit jungen Helden befasst, weil diese jungen Helden es zur Zeit - und besonders in Deutschland - nicht ganz leicht haben, sie werden von dem derzeit vorherrschenden Literaturmarkt, der Szene, aussortiert und an den Nebentisch gesetzt. Teilliteratur, Special Interest, nicht ganz ernst zu nehmen. stimmt nicht, sagt dieser Preis. 

Mittels gut erzählter Geschichten kann man in das Denken anderer eintauchen, kann durch fremde Augen auf die Welt blicken, andere Perspektiven einnehmen. Dabei ist - per se - ein älterer Kopf nicht interessanter als ein jüngerer.

Vielleicht will dieser Literaturpreis - und ich will euch hier keine Agenda auftischen, bitte widersprecht mir, wenn ihr das ganz anders seht, ich habe nur noch nicht so viel dazu gefunden, was ihr eigentlich fördert, deshalb denke ich mir jetzt aus, wofür ich von euch bepreist wurde - vielleicht also, will sich dieser Literaturpreis eigentlich selbst abschaffen. Ein Problem auszeichnen, Aufmerksamkeit schaffen, einen Diskurs in Gang setzen und es so lösen.

Liebe Ulrike, liebe Frau Sistiaga-Thumm, lieber José, liebe alle, ich halte das für einen grandiosen, sacksubversiven Akt: Zerfördern wir das Problem einfach. Zerstoßen wir die arrogante Zerteilung der Literatur in ihre Zielgruppenkompatibilitätssegmente mit unseren Sektgläsern. Zerfeiern wir pädagogisch wertvolle Werkzeugliteratur. Prost!

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